Verleger Gunnar Cynybulk - Mann mit Mütze

Gunnar Cynybulk ist nicht nur Verlagsgründer. Er hat auch die Pop-up-Buchmesse in Leipzig mit ins Leben gerufen: eine der bodenständigsten und schönsten seit langem.

Gunnar Cynybulk hat im März in Leipzig eine Pop-up-Buchmesse veranstaltet / Antje Berghäuser
Anzeige

Autoreninfo

Klaus Ungerer ist Autor, Schriftsteller und Mitbegründer der Buchreihe edition schelf. Jüngst erschienen seine Novellen „Das Fehlen“ und „Ich verlasse dich nicht mehr“.

So erreichen Sie Klaus Ungerer:

Anzeige

Frühlingstag, Prenzlauer Berg. Den Mann mit der Mütze müssen wir uns als einen zufriedenen, etwas müden, leicht verkaterten Menschen vorstellen: Gunnar Cynybulk. Die Sonne scheint, wir sitzen vor einem der wenigen Cafés, die frei von Touristenbefall sind, der Verleger Cynybulk hat eine Buchmesse in den Knochen, die er selbst organisiert hat. Gestern Abend, zurück in Berlin, war dann noch eine Buchpremiere zu bewältigen – unser Gespräch ist leise, dezent. Bloß keinen Stress jetzt. Ab und zu stromern Verlagsmenschen und Autoren zufällig vorbei, die dem leicht Müden fröhlich zuwinken, zwischendurch suchen wir nach einem Harald-Juhnke-­Ausspruch, der die Stimmung einfängt, und können uns für den Moment nur auf ein paar Fragmente von Zitaten einigen. Okay. Erst mal liegen lassen.

Gunnar Cynybulk hat sich diesen entspannten Vormittag – oder sollen wir sagen: Mittag? – verdient. 18 Jahre hat er beim Aufbau-Verlag geackert, mit viel Engagement, mit vielen erbittert-kompetenten Debatten, vielen Erfolgen auch: etwa der Megaseller „Auerhaus“ von Bov Bjerg, den Cynybulk durchgesetzt hat. 2017 hat er sich dann weglocken lassen zu Ullstein, dem Konzernverlag: gefühlt drei Millionen neue Bücher täglich, keine Zeit für nichts. Nicht mal, um sich zu freuen, wenn etwas geklappt hat. Noch mehr, noch größere Strukturen, mit denen man noch mehr zu kämpfen hat. Nicht so sein Ding. Cynybulk sah zu, dass er Land gewann. Und gründete seinen eigenen Verlag. Der Verlag heißt, natürlich, Kanon-Verlag. Eine hübsche Ansage im Land der pseudosakralen Germanistendebatten, der Kafka-, ­Goethe- und Mann-Religionen. 

Die Leipziger Ersatzbuchmesse

Da mag also jemand seine Duftmarken setzen. Zuletzt hat Gunnar Cynybulk noch draufgesattelt: neuer Verlag, schön und gut. Im März bescherte er der Stadt Leipzig eine ganze Verlagslandschaft. Die Leipziger Buchmesse hatte sich selbst gecancelt, nachdem sie zuvor von diversen Verlagen gecancelt worden war. Statt Frühjahrs-Leselust also: Wüste in Leipzig.

Das mochte Cynybulk, der in der Messestadt seine Wurzeln hat, nicht hinnehmen. Ein Telefonat später war klar: Zusammen mit Leif Greinus vom ehrenwerten Verlag Voland & Quist würde er eine Ersatzbuchmesse aus dem Hut zaubern!

Es war die bodenständigste, vielleicht schönste seit langem: eine alte Industriehalle. Identische, schlichte Stände. Lesungsorte in Gehnähe. Für Cynybulk gab’s zur Genugtuung noch die Aufmerksamkeit: Mit der Handstreich-Pop-up-Messe hat er für bestes PR-Karma gesorgt. Ein, zwei Wochen lang ist er der Mann, der die Buchkultur gerettet hat. Vor Corona. Ignoranz. Vor Selbstgenügsamkeit und Kommerz. Und der zufällig selber lauter Bücher am Start hat, die letztlich vor allem einem gefallen: Gunnar Cynybulk.

Fünf Werke pro Saison bringt der Kanon-­Verlag heraus, aktuell haben sie das zweite Programm auf den Markt geschoben. Manfred Krug. Stine Pilgaard. Max Dax. Bei der Auswahl verlässt Cynybulk sich gerne auf seinen Instinkt. „Integrität“, sagt er, sei ihm wichtig. Puh, das ist ja erst mal nur ein Wort. Was bitte meint er damit? Cynybulk sammelt sich kurz. Bietet dann einen kleinen, intensiven Monolog.

Über Geschmack lässt sich streiten

„Mit integer meine ich, dass man nicht zuerst nach dem Markt guckt. Dass man nicht irgendwas macht, wovon man nicht überzeugt ist. Dass man ein absolutes Gehör für das Falsche herausbildet – also heraushört, wenn jemand ästhetisch, humanistisch, menschlich und erzählerisch danebenliegt. Es gibt so viel Kitsch auf dem Buchmarkt – und so viel Literatur, die nach einem bestimmten Schnittmuster gemacht ist. Integer heißt für mich auch: Komplexität anzunehmen, Schwierigkeiten beim Erzählen auftauchen zu lassen, ein suchendes Erzählen zuzulassen. Erzählen ist schwierig!“ 

Nicht übel gebrüllt, Löwe! Ich fürchte, jetzt hat er mich auch erst mal gekriegt. Wir sprechen über Buchcover. Über das Glücksgefühl, wenn sie den Inhalt zum Schwingen bringen. Cynybulk kramt sein Handy heraus, er will ein, zwei Cover aus dem nächsten Programm zeigen. Es dauert ein bisschen, dann hat er sie. Er findet das eine besonders schön, hier, die Farben! Die speziell angefertigte Typo. Ich finde es vielleicht ein bisschen cheesy. Aber nun noch disputieren?

Einer von uns sollte vor allem noch einen Kaffee besorgen. Der andere klebt unterdessen die Scherben der Juhnke-­Zitate zusammen, zwischen denen wir sitzen. Google hilft mit, hier, bitte: „Meine Definition von Glück? Keine Termine und leicht einen sitzen.“ Guter Mann, der Juhnke. Ich beschließe, kein Termin mehr zu sein. Beende das Gespräch. Und freue mich auf heißen Kaffee.

 

Dieser Text stammt aus der Mai-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

Sie sind Cicero-Plus Leser? Jetzt Ausgabe portofrei kaufen

Sie sind Gast? Jetzt Ausgabe kaufen

Anzeige