Braune Esoterik - Der Spuk der Vandalen

In den letzten Wochen wurden in Berlin, Wewelsburg und Potsdam drei Fälle von Vandalismus in bedeutenden Gedenk- und Ausstellungshäusern bekannt. Der Verdacht drängt sich auf, dass hinter den zerstörerischen Taten das gefährliche Gedankengut rechter Esoteriker schlummern könnte.

Eingangsbereich der Wewelsburg bei Büren im Kreis Paderborn / dpa
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Autoreninfo

Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Wahrheit schafft Wahnsinn. Es war Michel Foucault, der als einer der ersten auf diese merkwürdige Dialektik stieß: Im Schatten der Aufklärung blühten seiner Meinung Irrsinn, Demenz und Unvernunft: „Auf jeden Fall stellt das Verhältnis von Vernunft und Unvernunft für die Kultur des Abendlandes eine der Dimensionen ihrer Ursprünglichkeit dar“, so der französische Philosoph in seinem 1973 erschienenem Buch„Wahnsinn und Gesellschaft“.

Damit aber waren nicht nur die side effects der Wissenschaft umschrieben; auch künstlerische Wahrheit scheint vorm Abgleiten in Narreteien nicht gefeit zu sein. Es war sechs Jahre nach Erscheinen von Foucaults Buch, als die italienische Psychologin Graziella Magherini erstmals ein Symptom unter ihren Patienten am florentinischen Krankenhaus Santa Maria Nouva beschrieb, das fortan als „La sindrome di Stendhal“, also als sogenanntes „Stendhal Syndrom“ in die Literatur eingehen sollte. 

Kunst treibt in den Wahnsinn

Laut Magherini gäbe es immer wieder sonderbare Patienten in ihrer Einrichtung, die bestimmte pathologische Anomalien aufwiesen: Touristen, die nach Florenz gekommen waren, um sich die einzigartigen Renaissance-Kunstwerke anzuschauen, wurden von plötzlichen und mysteriösen psychosomatischen Episoden heimgesucht, die durch ihre Identifikation mit ausgewählter Kunst ausgelöst wurden. 

Das Stendhal-Syndrom, benannt nach dem französischen Schriftsteller gleichen Namens, führe bei Magherinis Patienten zu Gedächtnislücken, Halluzinationen, Allmachtsphantasien, ja sogar zu Psychosen. Das Wahre, Schöne und Gute rutschte hier ins Irrwitzige, Fratzenhafte und Gemeine ab. Laut der italienischen Psychologin trete das Syndrom „am häufigsten in Florenz auf, weil es dort die größte Konzentration von Renaissance-Kunst in der Welt gibt.“ 

Der Anschlag auf die Kunst

Indes, die Krankheit scheint letztlich bezugs- und ortlos zu sein. Manch einen befällt sie eben jenseits der Alpen, einen anderen diesseits. Der eine wird auf der Berliner Museumsinsel vom Wahn übermannt, der anderen im Potsdamer Schloss Cecilienhof oder in der einige Kilometer südwestlich der Bischofsstadt Paderborn gelegenen Weweslburg. Einwandfrei diagnostiziert worden ist das Stendhal Syndrom an den besagten letzten drei Orten zwar nicht, doch der Verdacht einer psychischen Infektion drängt sich auf, studiert man einige Fälle von Vandalismus an Kunstgegenständen in deutschen Museen, die in den letzten Wochen aktenkundig geworden sind.

Das Ganze muss wohl im Juli dieses Jahres begonnen haben: Im Kreismuseum Wewelsburg, gelegen in einer dreieckigen Renaissance-Festung im Landkreis Büren, hatten Unbekannte gut 50 Ausstellungsobjekte mit einer ölhaltigen Flüssigkeit beschmiert. Betroffen von diesem nicht zu erklärendem Vandalismus, der einen Schaden von gut 3.500 Euro verursacht hat, waren Gemälde, Kaminsimse, Grenzsteine. Ein Täter indes ist bis dato nicht dingfest gemacht worden, und Indizien für einen politischen Hintergrund der Schmiererei hat man ebenso nicht finden können. In Anbetracht der düsteren Historie des Ortes – zwischen 1933 und 1945 hatte Heinrich Himmler versucht, die Wewelsburg zur zentralen Kult- und Schulungsstätte der SS auszubauen – eine zunächst befreiende Diagnose.

Der größte Schaden seit 1945

Dann aber ereignete sich ein weiterer Anschlag. Wieder war es eine ölhaltige Flüssigkeit, wieder waren wertvolle Kunst- und Kulturgegenstände betroffen: Am Tag der Deutschen Einheit hatten Unbekannte auf der Berliner Museumsinsel 63 Objekte aus den Beständen des Neuen Museums, des Pergamonmuseums sowie der Alten Nationalgalerie binnen einer Stunde mit Öl beschmiert. Es soll der umfangreichste Schaden für die Häuser des Weltkulturerbes Museumsinsel seit dem Zweiten Weltkrieg gewesen sein. 

Und das vielleicht Verrückteste: einige Wochen vor dem Berliner Anschlag hatte der einschlägig bekannte Koch Attila Hildmann auf einem Social Media-Account offenbart, dass sich seiner Erkenntnis nach „der Thron des Satans“ und der „Ursprung allen Übels auf der Erde“ im Inneren des Pergamonmuseums befinden solle. Am Samstag, so Hildmann in einer Online-Botschaft vom 23. August, müsse „das Allerheiligste dieser Satanisten abgerissen werden! Das Pergamon Museum, der Baal Tempel!“

Schäden im Schloss Cecilienhof

Steckt am Ende also wirklich der braune Esoteriker Attila Hildmann hinter den zerstörerischen Taten? Oder zeugt ein solches Erklärungsmodell nur davon, dass man sich in hiesigen Feuilleton-Stuben den Verstand längst an übermäßiger Dan Brown-Lektüre wundgelesen hat? Eines zumindest ist offensichtlich: Bei so viel Phantastik wie im Falle Hildmann scheint Stendhal durchaus eine Erklärung zu liefern.

Doch es sollte noch dicker, noch verrückter kommen: Laut einer Meldung des Deutschlandfunks vom Donnerstag soll es bereits zwei Wochen vor dem Anschlag auf die Objekte auf der Museumsinsel weitere Ölspuren an bedeutenden Kunstgegenständen gegeben haben. Im Potsdamer Schloss Cecilienhof, einst Schauplatz der Dreimächtekonferenz, die 1945 das Ende des Zweiten Weltkriegs und somit den Sieg über die Nazi-Barbarei markiert hatte, soll die Skulptur einer Amazone des deutschen Bildhauers Louis Tuaillon beschädigt worden sein. Der genaue Tatort: das einstige Arbeitszimmer der amerikanischen Delegation unter Harry S. Truman. Der Täter: bis dato unbekannt.

Die Spur führt zur Esoterik

Dreimal ein Furor teutonicus, und dreimal ein geschichtsträchtiger Ort. Der Verdacht drängt sich auf, dass die Vandalen tatsächlich aus Kreisen brauner Esoterik stammen könnten. Doch bewiesen ist nichts – allenfalls dass die Täter in Anbetracht von Kunst- und Kulturgegenständen anders reagieren als der Durchschnitt. Nervosität, Gereiztheit, ja Aggression scheinen sie zu befallen, spiegeln sie ihre existenzielle Winzigkeit in der Gegenwart kulturhistorischer Überbauten. 

Ganz ähnlich übrigens muss es 1933 schon Heinrich Himmler ergangen sein, als der erstmals die gut tausend Jahre alte Wewelsburg besichtigt hatte, die mit den aktuellen Ereignissen nun wieder im Zentrum der Aufmerksamkeit steht. Realität und Wahn schienen sich in der alten ostwestfälischen Wehrburg sowie im Kopf des Reichsführers SS zu verhaken: Bald schon wollte der von Neuheidentum und Germanenkult beseelte Himmler in der historisch letztlich unbedeutenden Festungsanlage eine Art zweite Marienburg erblickt haben; und seine Mörderbande im Zeichen der Doppel-Siegrune wurde ihm in diesem phantasierten Walhall zur Wiedergeburt des Deutschritterordens.  

Wahn ohne Ende

250 Millionen Reichsmark hatte Himmler in den folgenden Jahren in den Umbau der Anlage zur SS-Ordensburg investiert, und mindestens 1.285 Insassen des nahegelegenen KZ Niederhagen, darunter zumeist Zeugen Jehovas, Homosexuelle und Juden, hatten ihr Leben für den Wahn eines rechten Esoterikers hingeben müssen. 

Zu glauben, das Spiel mit heidnischen Anspielungen und okkulten Zeichen sei nur eine lustige Schrulle oder allenfalls der digitale Schmock eines irgendwie doch witzigen Vegan-Kochs, verkennt vollkommen die Realität. Schnell ist der Finger unter einer Zeile Guido von Lists oder Alfred Rosenbergs in die Realität abgerutscht. Vielleicht beschädigt er dort am Anfang nur ein Gemälde oder eine alte Plastik; doch schon der Philosoph Seneca wusste davon zu berichten, dass die aus einem Wahn entstandenen Bedürfnisse kein Ende finden werden.

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