Unwort des Jahres - Hysterie um „Klimahysterie“

Seit 1991 küren Sprachwissenschaftler das Unwort des Jahres. Kaum ein Gewinner polarisierte so sehr wie der diesjährige Gewinner: „Klimahysterie“. Kritiker werfen der Jury vor, sie instrumentalisiere den Begriff, um seine Schöpfer mundtot zu machen. Eine Presseschau

Waffe im Kampf um die Deutungshoheit? Das „Unwort des Jahres“ polarisiert / picture alliance
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Tagesspiegel:„Denunziatorisch”

„Solche Bilder, versammelt im allgemeinen Unbewussten, sorgen bis heute dafür, dass die Hysterie mit ihrem kräftigen Schuss Sexismus sich vorzüglich zum Denunzieren eignet. Wie von allein vermännlicht das Wort den Denunzianten und verweiblicht das Denunzierte, und befestigt dabei noch schön die tradierten Zuschreibungen für männlich und weiblich.

Wer die Sorge um den globalen Klimawandel desavouieren will, die Millionen Leute auf allen Kontinenten mit Tausenden in der Wissenschaft teilen, der braucht schon starkes Geschütz, und da kommt die erprobte Wunderwaffe „Hysterie“ wie gerufen. Allerdings kann gerade das zum Bumerang werden, denn wer „Klimahysterie“ ruft, verbirgt damit nur mäßig bis miserabel, dass ihm schlicht die Argumente fehlen und entlarvt, worum es ihm geht.

Leute, die „Nation“ als Schrebergarten wollen, hübsch völkisch eingezäunt und abgeschottet, haben in der Ära des Green Deal ganz schlechte Karten. Klimapolitik funktioniert nun einmal international, supranational. Wolken und Wind, Stürme, Fluten, Meeresströmungen und Regen halten sich nicht an Grenzen. Schon dieser, auf missliche Weise so faktische Umstand, beleidigt die Engstirnigen. Klima nutzt ihnen nüscht, und das ärgert sie.“

Bild:„Diffamierend“

„Damit kritisiert die Jury NICHT die alarmistischen Reden von Klimaschutz-Ikone Greta Thunberg (17), die nach einer wohlbehüteten Kindheit im reichen Schweden den älteren Generationen vorwirft, ebenjene Kindheit gestohlen zu haben – und die Welt offen zur Hysterie auffordert: „Ich will, dass Ihr in Panik verfallt!“ Sie kritisiert NICHT die immer extremistischer werdende Öko-Bewegung „Extinction Rebellion“, deren wirrer Gründer allen Ernstes den Klimawandel mit dem Holocaust vergleicht. Kritisiert wird auch NICHT, dass bei Klimaschutz-Demonstrationen SUV-Fahrer verhöhnt, ausgelacht und als psychisch krank dargestellt wurden.

Nein, die Sprach-Spezialisten sind in Sorge, dass mit dem Begriff „Klimahysterie“ die Bemühungen der Klima-Aktivisten „diffamiert und wichtige Debatten zum Klimaschutz diskreditiert“ würden. Dabei merken die Sprachwissenschaftler nicht, dass sie mit der Kür des Begriffs genau das selbst tun: Sie diffamieren und diskreditieren alle Bürger, die sich an den radikalen Auswüchsen der Klimaschutz-Bewegung stören.

Wer die Liste der „Unwörter“ der letzten Jahre durchgeht, könnte meinen, dass die Debatten ausschließlich von rechts angeheizt werden. Anti-Abschiebe-Industrie, Lügenpresse, Sozialtourismus – Begriffe, die streitbar bis völlig daneben sind, aber nur eine Seite der Medaille zeigen. Unter den „Unwörtern“ der letzten 15 Jahre findet sich kein einziger Begriff, der dem linken politischen Spektrum entstammt. Das liegt nicht daran, dass es keine solchen Begriffe gibt. Es liegt auch nicht dran, dass sie der Jury nicht zugesendet werden. Das werte Gremium scheint sich an Kampfbegriffen und Schmähungen nicht zu stören, solange sie von der Klimaschutz-Bewegung kommen.“

taz:„Irrational“

Wer „Klimahysterie“ sagt, der kaschiert die eigene Irrationalität, die Unfähigkeit, rationale Argumente gegen eine wirksame Klimapolitik zu finden. Was bleibt, ist, vor imaginären Gelbwesten zu warnen oder vor Arbeitsplatzverlusten, der „Arbeitsplatzverlust“ ist die Hysterie des selbstverliebten Mannes. Oder man findet, die ganze Klimawissenschaft sei Unfug, weil CO2 gab es doch schon immer. Und verhöhnt damit die gesamte Kultur empirischer Wissenschaft jenes Abendlandes, das man doch vermeintlich verteidigen will.

Also soll man jetzt „Klimapanik“ sagen? Ja, warum nicht. Das Begriffspaar hat Greta Thunberg gekapert, die von uns verlangt, endlich Panik zu bekommen. Ob Panik als Ratgeber sinnvoll ist, darüber lässt sich streiten. Aber bitte auf der Basis, einfach mal anzuerkennen, dass Thunbergs Panik eine absolut rationale Grundlage hat.

Deutschlandfunk: „Moralisierend“

Die Autorin Juli Zeh im Interview: „In diesem Jahr geht es ja um einen Diskurs, von dem ich den Eindruck habe, dass der sich in den letzten Monaten auf eine sehr starke Weise moralisch aufgeladen hat, und wenn wir jetzt das Wort „Klimahysterie“ als Unwort klassifizieren, dann stellt man sich dadurch ja quasi auch auf eine Seite. Das ist ja nicht nur die Bewertung eines Wortes, sondern es ist ja auch die Bewertung einer Haltung in einer kontroversen und sehr, sehr aktuellen, politischen Diskussion, die sich um die Frage rankt, wie man denn jetzt konkret mit dem Klimawandel umzugehen hat. Und ich finde das einen doch sehr stark parteiergreifenden Zugriff auf dieses Wort.“

Die Zeit: „Pseudoklinisch“

„Klimahysterie" aber ist just in seinem gängigen Gebrauch das vielleicht gefährlichste Wort dieser Tage. Indem es sich auf die größte Frage zur Fortexistenz unserer Zivilisation, wenn nicht gar unserer Spezies (von anderen Arten ganz zu schweigen) bezieht, impliziert es nicht nur, dass junge Aktivistinnen wie Greta Thunberg und Luisa Neubauer blind seien gegenüber den „wahren“ Problemen und Zusammenhängen der Welt. Es stuft in einem Zug auch die drängenden Mahnungen von Wissenschaftlerinnen zum Kleine-Mädchen-Problem herab und hat dabei eben, anders noch als der verwandte „Klimawahn“, neben der pseudoklinischen auch noch eine dezidiert frauenfeindliche Komponente. Es wird damit zur Waffe im Sprachgebrauch all jener, die das Unvergleichliche des Klimawandels zugunsten bestehender Diskursmachtverhältnisse tapfer leugnen.

Magdeburger „Volksstimme“: Zutreffend 

„Ab sofort ist 'Klimahysterie' ein Pfui-Wort. Weil es den Klimawandel verharmlost und von den falschen Leuten gebraucht wird, fand die Sprachjury und kürte es zum Unwort des Jahres. Nun soll dies dazu dienen, sachlich falsche oder antihumane Begriffe zu geißeln. Wenn aber ein deutscher Nachrichtensender die Ankunft von Greta Thunberg in New York stundenlang zelebriert, als hätte gerade Kolumbus Amerika entdeckt, ist das nicht hysterisch überdreht?

Wenn ,Fridays for Future'-Mitorganisatorin Luisa Neubauer sich binnen kurzem zur Ober-Aktivistin emportwittert und in keiner einschlägigen Talkshow fehlt, hat das hysterische Züge. Ebenso wie die Einladung von Siemens-Chef an die bereits genannte Ikone Umweltfrau in den Aufsichtsrat. Das geht neuerdings offenbar ohne Berufsabschluss. Klimahysterie ? Ein Unwort? Von wegen. Der zweitplatzierte Begriff hätte viel eher den Spitzenrang verdient. ,Umvolkung' kommt direkt aus der braunen Hexenküche."

 

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