Unabhängigkeitstag der USA - Heikle Geburtsurkunde

Am heutigen 4. Juli feiern die USA ihren Unabhängigkeitstag. Eigentlich ein Grund zu feiern. Doch wo Licht ist, ist bekanntlich auch Schatten. Die amerikanische Ein-Dollar-Note zum Beispiel lässt Gott noch immer den Völkermord an den Indigenen abnicken.

One Dollar Bill, 1935 / Privat
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Autoreninfo

Beat Wyss hat an zahlreichen internationalen Universitäten gelehrt. Er hat kontinuierlich Schriften zur Kulturkritik, Mediengeschichte und Kunst veröffentlicht. Beat Wyss ist Professor an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe.

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Heuer können die USA am Fourth of July ihren 245. Geburtstag feiern. Das Land hat turbulente Monate hinter sich, seine Politik, seine Debatten liefern Stichworte, die weltweit für Diskussionen sorgen. Altersmüdigkeit würde sich anders anfühlen. Die letzten Monate stürmte „White Supremacy“ als Reizwort durch Köpfe und Herzen, dabei wurde der anklagende Finger vor allem auf die Lage der schwarzen Bevölkerung in Amerika gelegt. 

Der hohe Geburtstag dieses großen Landes sei Anlass, einen Blick auf die Geburtsurkunde zu werfen. Dazu brauchen wir nur die One Dollar Bill aus dem Portemonnaie zu ziehen, deren Design auf das Jahr 1934 zurückgeht. Ausgestellt im sozialen Geist des New Deal, sollte das Zahlungsmittel an das amerikanische Ideal von Freiheit erinnern. Die Vorderseite des abgebildeten Großen Siegels der Vereinigten Staaten zeigt den Weißkopfseeadler, Gebieter über Frieden und Krieg, wie Palmzweig und Pfeile in den Klauen des Raubvogels darlegen. Über dem Kopf des Wappentiers schweben die Sterne der 13 Gründerstaaten. So weit ist die politische Bildsprache die einer üblichen Heraldik. 

Den Genozid abnicken

Geheimnisvoller raunt die Rückseite des Siegels in Gestalt einer Pyramide, deren Spitze von Gottes „Allsehendem Auge“ vollendet scheint. „Novus ordo seclorum“ steht unter dem ägyptischen Grabmal, jene „Neue Zeitrechnung“ behauptend, die mit dem unabhängigen Staatenbund ins Leben trat. Das Datum 1776 steht als Inschrift in römischen Zahlen am Sockel des Bauwerks. Darüber wölbt sich das Motto: „Annuit coeptis“. Die Worte sind einer Verszeile von Vergils „Aeneis“ entnommen: „Júpiter ómnipoténs, audácibus ánnue coéptis“ (Hilf’ Allmächtiger Gott, nick’ ab unser dreistes Beginnen; „Aeneis“ IX, 625).

Der notorische Schulmeister in mir hat sich erlaubt, die Akzente des Versmaßes über die Vokale zu setzen, damit die Lesenden den Wohllaut des lateinischen Hexameters, der zum Genozid aufruft, auskosten mögen. Denn nur wenige, ebenso klangvolle Hexameter später durchschlägt die Eisenspitze eines Pfeiles die Schläfen eines eingeborenen Kämpfers. Mit seinem Stoßgebet hat Ascanius, der Sohn von Aeneas, seinen Gott um Hilfe gerufen, während er den Bogen in Richtung von Remulus Numanus spannt, dem Anführer der indigenen Rutuler. Jupiter erhört die Bitte, der erste Eingeborene fällt im Land, das die Kolonisten aus Troia Latium nennen werden. 

Im Zeichen des römischen Imperiums

Das Große Siegel der Vereinigten Staaten schmückt sich mit der Ursprungslegende des römischen Imperiums: So, wie die aus der Ägäis vertriebenen Trojaner, schaffen die Siedler aus Europa in Nordamerika ein neues Rom gegen den Widerstand der Indigenen. Deren Tötung ist gottgefällig.

Die Idee für das amerikanische Siegel stammt von Charles Thomson, Lateinlehrer an der Akademie von Philadelphia. Er gehörte zu den Führern der radikalen Sons of Liberty, welche 1772 die Tea Party gegen die Britische Kolonialverwaltung ausgelöst hatten. Der hagere, strenggläubige Bibelübersetzer und Patriot war, völlig mittellos, als zehnjähriger Vollwaise aus Nordirland eingewandert. Bei einem solchen Start ins Leben geht man unter oder wird zäh wie Thomson, der das biblische Alter von 95 Jahren erreichte. Kraft gab ihm die unerschütterliche Überzeugung, Gott hätte ihm und seinesgleichen Amerika als Gelobtes Land zugeteilt. Und so steht das Bekenntnis denn auch per Gesetz auf jedem Dollarschein: „In God we trust“.

Von Gott abgesegnet

Thomson entwarf das Große Siegel, als die Ostküste von Ohio über die Great Lakes bis Kanada erschüttert war vom Kolonialkonflikt zwischen Franzosen und Briten, die beide für ihre Kriege indigene Kämpfer aus den Stämmen der Iroquois, Delaware und Shawnee einsetzten: als todesmutiges Kanonenfutter. Die Kriegshandlungen waren begleitet von Massakern, deren sich beide Parteien schuldig machten, getrieben vom Fanatismus ethnischer Säuberung. Die Niederlage Frankreichs 1763 beschleunigte die Schwächung der indigenen Stämme, die mit der französischen Kolonialmacht kooperiert hatten. Jenes späte Massaker von 1890 nach dem letzten Aufstand der Dakota Sioux bei Wounded Knee besiegelte den Indigenen die Einsicht, dass Verträge mit Weißen das Papier nicht wert sind.

Die dumpfbackene Selbstüberhöhung der Trump-Anhänger ist gefüttert von Bibelsprüchen und antiker Sage. So nährt weiße Vorherrschaft ihren Glauben, Gott habe die gewaltsame Besiedlung Amerikas gnädig abgenickt, so wie Zeus die Kolonisierung von Lazio durch die Trojaner. 

 

Dieser Text stammt aus der Juli-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

 

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