„Umweltsau-Debatte“ - Empörungszwang statt Erkenntnisdrang

Die „Umweltsau-Debatte“ hat gezeigt, wohin es führt, wenn Empörung zum Selbstzweck wird. Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen fordert, dass auch Medien-Konsumenten lernen sollten, ihre Empörung zu dosieren

Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen / picture alliance
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Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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In jeder Debatte kommt wie in betriebsinternen Konferenzen einmal der Zeitpunkt, an dem man denkt: Es ist doch jetzt wirklich alles gesagt, nur eben noch nicht von jedem. Beim morgentlichen Interview heute Früh im Deutschlandfunk zur „Umweltsau-Debatte“ mit dem Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen konnte einen anfänglich dieser Gedanke durchzucken: Jetzt ist doch aber auch mal gut.

Doch die „Umweltsau-Debatte“ um den WDR-2-Kinderchor und sein sogenanntes Omagate kochte nicht ohne Grund tagelang so hoch. Klar, das waren einerseits die sonst nachrichtlich eher ruhigen Feiertage. Anderseits war die Debatte ein Kristallisationspunkt zahlreicher Polarisierungen unserer Gesellschaft: Der öffentlich-rechtlicher Rundfunk muss sich immer häufiger hinsichtlich seines eigentlichen Auftrags rechtfertigen, ein Generationenkonflikt zwischen Älteren und Jüngeren in der Klimadebatte, rechts gegen links, Ökonomie gegen Ökologie, und viele weitere. Aber hat uns diese Debatte nun weitergebracht?

Die Grundzutat für überschießende Empörung

Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörsken brachte es mit dieser Antwort auf den Punkt: Die „Umweltsau-Debatte“ sei für ihn ein „Beispiel für weitgehend sinnlose, plötzlich hervorschießende Empörung, die große Gereiztheit, die dann dazu führt, dass sich am Ende des Tages alle übereinander aufregen und die Empörung über die Empörung der jeweils anderen Seite gleichsam zum kommunikativen Normalfall wird.“

Für ihn gebe es zwei unterschiedliche Formen der Polarisierung. „Es gibt eine durchaus erkenntnisträchtige Polarisierung: Gegensätze werden auf einmal greifbar, Alternativen des Denkens und des Handelns werden auf einmal sichtbar. Und es gibt etwas, was man die populistische oder die Spektakelpolarisierung nennen könnte, die nutzlose, sinnlose, absolut nicht erkenntnisfördernde Konfrontation.“ Dabei sei die Grundzutat für eine überschießende Empörung „die pauschale Abwertung einer ganzen Gruppe von Menschen“. Sie sei das Eskalationsmittel schlechthin.

Dass sich in der Debatte um einen Kinderchor und dessen mutmaßliche Instrumentalisierung sogar ein CDU-Ministerpräsident Armin Laschet und der WDR-Intendant Tom Buhrow einschalten, zeigte, wie groß einerseits der Zwang zur Empörung zu sein scheint und wie gering der Drang zur Erkenntnis sein muss. Für Pörksen offenbart sich hier eine Grundsatzfrage, nämlich die Frage, „was ist wirklich wichtig, was ist tatsächlich bedeutsam“. Und in dieser Debatte, wurde diese Frage „auf eine denkbar, aus meiner Sicht, vorsichtig formuliert, denkbar mickrige und sinnlose Art und Weise beantwortet“, so Pörksen.

Medienkompetenz der Medien

Eben weil es im Zeitalter der Digitalisierung längst nicht mehr nur Journalisten und Politikern vorbehalten ist, einzuordnen, was von Relevanz ist, stehe die gesamte Gesellschaft vor einer großen Aufgabe: „Wir müssen Techniken der Abkühlung trainieren unter den gegenwärtigen Bedingungen. Wir müssen uns – und zwar jeder Einzelne – mit der Frage beschäftigen, was ist tatsächlich wichtig, was verdient es, geteilt, gelikt und kommentiert zu werden und was nicht. In gewissem Sinne gilt es, die Grundfragen, die in einer anderen Zeit nur Journalistinnen und Journalisten vorbehalten waren, nämlich, was ist relevant, diese Grundfragen müssen heute zu einem Element der Allgemeinbildung werden.“ Ziel sei es deshalb, uns zu einer „redaktionellen Gesellschaft“ zu entwickeln, in der jeder Einzelne in der Lage ist, zu bewerten, zu prüfen und auszusortieren. Dafür aber brauche es eine Medienerziehung, die bereits in der Schule beginnen müsse.

Es war ein erkenntnisreiches Interview, bei dem man sich am Ende fragte, warum es nicht viel früher geführt wurde. Dann hätte man sich etliche Kommentare nämlich sparen können.

Das ganze Interview zum Nachhören beim Deutschlandfunk.

 

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