Umgang mit dem Terror - Die Dekadenz ist unsere beste Waffe

Kolumne Grauzone: Nach jedem neuen Terroranschlag beschwören Regierungsvertreter und Kommentatoren formelhaft die Standfestigkeit des Westens. Tatsächlich aber geht man umgehend zur Tagesordnung über. Gerade darin liegt eine unglaubliche Stärke

Ein wirksames Rezept gegen Terrorismus: Abwarten und Latte Macchiato trinken / picture alliance
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Terror ist Kommunikation. Das klingt zynisch, doch wer etwas anderes behauptet und im Terrorismus lediglich besonders drastische oder infame Verbrechen sieht, verschließt die Augen vor dem eigentlichen Problem – und ergreift die falschen Gegenmaßnahmen.

Es war der russische Anarchist Michail Bakunin, der schon 1870 formulierte: „Wir müssen unsere Prinzipien nicht mit Worten, sondern mit Taten verbreiten, denn dies ist die populärste, stärkste und unwiderstehlichste Form der Propaganda.“ Nur wenige Jahre später brachte der französische Anarchist und Publizist Paul Brousse dieses Konzept auf die griffige Formel von der „Propaganda der Tat“.

Die Propaganda der Tat war eine revolutionäre Strategie. Sie sollte Vorbildcharakter haben und zur Nachahmungen animieren. Ihr Ziel war die Heraufbeschwörung einer revolutionären Situation. Nicht um den Mord selbst ging es also. Die Tat war vielmehr ein Kommunikationsakt, ein Appell. Noch die Rote Armee Fraktion hing in den siebziger Jahren unter Verkennung der gesellschaftlichen Tatsachen dieser verquasten Kommunikationslogik an.

Propaganda an unterschiedliche Adressaten

Wie alle modernen Terrorismen, so hat auch der islamische Terrorismus dieses Konzept der Propaganda der Tat tief verinnerlicht. Allerdings kämpfen die islamischen Terroristen in zwei Kulturkreisen. Innerhalb ihrer eigenen, islamischen Kultur, hat ihre Propaganda der Tat den gleichen Appell-Charakter wie schon bei den europäischen Revolutionären des 19. Jahrhunderts: Sie will zu einem Aufstand gegen die traditionellen Eliten oder Anhänger sie tragender Konfessionsgemeinschaften aufrufen.

Im europäischen Kulturkreis sieht die Situation etwas anders aus. Hier richtet sich die Propaganda der Tat an zwei vollständig unterschiedliche Adressaten: Der eine Adressat ist die Diasporagemeinschaft der im Westen lebenden Muslime. Sie soll zu Nachahmungstaten zum Zwecke der Herstellung einer bürgerkriegsähnlichen Situation animiert werden.

Terror als Absage an westliche Lebensweise

Zugleich richtet sich der terroristische Kommunikationsakt an die westliche Mehrheitsgesellschaft selbst. Seine Botschaft lautet in etwa: Seht her, wie wir eure Dekadenz und eure Liebe zum Leben verachten. Wir sind die Stärkeren, denn wir hängen nicht an den kleinen diesseitigen Lüsten einer träge gewordenen Wohlstandswelt. Und weil das so ist, werden wir siegen.

Anders ausgedrückt: Der islamistische Terror im Westen ist aus Sicht seiner Akteure der Versuch, kulturelle Überlegenheit zu demonstrieren, sie geradezu zu veranschaulichen. Durch asketische Opferbereitschaft, archaische Gewalt und Diesseitsverachtung.

Hass trifft auf Gleichgültigkeit

Doch genau hierin liegt sein Denkfehler. Denn die westlichen Gesellschaften sind für die Sprache des Terrorismus vollkommen taub. Tatsächlich ist der Westen durch seine historischen Erfahrungen, vor allem aber durch seine sozio-ökonomische Entwicklung so zivilisiert, pazifistisch und gewaltverachtend, dass er dem archaischen Vokabular der Propaganda der Tat verständnislos gegenübersteht. Sie läuft ins Leere.

Zwar beschwören Regierungsvertreter, Meinungsmacher und Kommentatoren nach jedem neuen Anschlag formelhaft die Standfestigkeit des Westens und seinen entschlossenen Willen, seine Werte zu verteidigen. Doch dieses kriegerische Vokabular ist Teil eines offiziellen Kommunikationsrituals. Tatsächlich aber geht man umgehend zur Tagesordnung über und lässt sich seinen Latte macchiato schmecken.

Terror wird als lächerlich entlarvt

Man könnte das als Schwäche verstehen. Allerdings ist diese Schwäche eine unglaubliche Stärke. Denn nichts dämmt den Terrorismus effektiver ein als die Kommunikationsverweigerung. Und umgekehrt gilt: Das Vokabular der Terroristen aufzugreifen und ihrer Gewalt unsererseits eine Propaganda der Tat entgegenzusetzen, wäre mehr als kontraproduktiv.

Man kann es auch anders formulieren: Unsere Dekadenz ist unsere beste Waffe. Sie macht die islamitische Propaganda der Tat nicht nur stumpf, sie entlarvt sie auch als lächerlich. Denn was gibt es Absurderes, als sich Anfang des 21. Jahrhunderts im Namen eines Gottes und in der Hoffnung auf ein angebliches Paradies in die Luft zu sprengen? Das ist nicht heroisch. Es ist nur peinlich. Es ist die Karikatur einer Pathosformel. Dass bei diesen albernen Unternehmen Menschen sterben müssen, macht die Sache noch schlimmer.

Etwas anders sieht es mit Blick auf die frustrierten islamischen Jugendlichen in den Ghettos der westlichen Großstädte aus. Zumindest einige von ihnen fühlen sich durch die scheinbare Schwäche des Westens in ihren Ressentiments bestätigt. Hier liegt die eigentliche Herausforderung. Aber auch diese Jugendlichen würden mit Sicherheit lieber auf einem Popkonzert tanzen, als sich dort in die Luft zu sprengen. Wir sollten mehr auf den unwiderstehlichen Reiz unserer Dekadenz vertrauen.

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