TV-Kritik „Hart aber fair“ - Doch kein Che Guevara aus Würselen

Ist Martin Schulz der Heilsbringer der SPD oder kocht er auch nur mit Wasser? In der Runde bei „Hart aber fair“ erwies sich der SPD-Kanzlerkandidat als Diskussionsvariable. Jeder darf mal sagen, wofür Schulz angeblich steht oder nicht

Der „Schulz-Check“ bei „Hart aber fair“ brachte nur ein mageres Ergebnis / WDR
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Fernsehdebatten über Martin Schulz haben den Vorteil, dass sie thematisch alles andere als eng geführt werden. Auf den Kanzlerkandidaten der SPD können offenbar derart viele Erwartungen projiziert werden, dass die Zuschauer sich nicht wundern würden, käme das Gespräch irgendwann auch auf Raumfahrttechnik oder Tiefkühlkost. Jeder darf mal sagen, wofür Schulz angeblich steht oder wofür er nicht steht, und so dient der ehemalige Präsident des Europaparlaments als eine Art Diskussionsvariable. Sicher ist eigentlich nur, dass er als „der Alternative“ bei der nächsten Bundestagswahl „gefährlich“ für Merkel werden kann, um den Titel der gestrigen Sendung von Frank Plasberg aufzunehmen.

Merkel-müde Bürger

Viele Bürger dieses Landes seien eben „Merkel-müde“, bekannte ein Herr, den das „Hart aber fair“-Team in einer Fußgängerzone für eine Straßenumfrage gekeilt hatte. Und der Studiogast aus der Mitte des Volkes, eine junge Frau namens Katharina Litz, die „wegen Martin“ soeben Sozialdemokratin geworden ist, bekannte freimütig: „Programmpunkte sind jetzt eh nicht die oberste Priorität.“ Dass ausgerechnet ein alter weißer Mann zum Hoffnungsträger von Mitte-Links werden würde, entbehrt da nicht einer gewissen Ironie der Stunde. Wie überhaupt der aktuellen Schulzomanie etwas Aberwitziges anhaftet.

Das wurde schon beim ersten Statement der nordrhein-westfälischen Ministerpräsidentin deutlich. Auf die Frage, wie sie sich den kometenhaften Aufstieg ihres Kanzlerkandidaten zum Publikumsliebling erkläre, antwortete Hannelore Kraft freimütig, dieser sei jetzt eben „neu“, was den Vorteil habe, dass die Menschen ihm zuhörten. Zwar saß der 61-jährige Schulz fast das gesamte vergangene Vierteljahrhundert im Europäischen Parlament, so dass man sich wundern könnte, ob sein gefühlter Neuigkeitswert heute nicht eher gegen ihn spricht. Aber das ist egal, wenn das Gefühl eben da und einfach stärker ist als die Frage, welche Politik Martin Schulz zwischen 1994 und 2017 in Straßburg und Brüssel denn so betrieben hat.

Spielverderber Herbert Reul

Vor diesem Gefühlshintergrund hatte der CDU-Europaparlamentarier Herbert Reul naturgemäß schlechte Karten. Der versuchte zwar hartnäckig, Wasser in den Schulz-Messwein zu gießen, indem er etwa zu Protokoll gab, der heilige Martin habe sich in der Flüchtlingskrise und beim entsprechenden Türkei-Deal als „gnadenloser Opportunist“ erwiesen. Aber das prallte irgendwie an der Runde ab, und Reul stand da wie der Spielverderber vom Dienst (wobei erschwerend hinzukam, dass er mit seinem verkniffenen Gesichtsausdruck glatt als Vater des sozialdemokratischen Sympathieträgers Ralf Stegner durchgegangen wäre).

Eine lustige Erklärung für das von Martin Schulz initiierte Umfragehoch der deutschen Sozialdemokratie kam ausgerechnet vom Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge, den die Linkspartei unlängst als Kandidaten für die Bundespräsidentenwahl aufgestellt hatte: Der Reiz von Schulz liege darin, dass die SPD über lange Zeit an inhaltlicher Schwäche gelitten habe. Aber vielleicht hat Butterwegge ja auch nur messerscharf erkannt, dass das inhaltliche Programm von Martin Schulz im wesentlichen „Martin Schulz“ heißt. Denn ob die vom vermeintlichen SPD-Retter artikulierte Kritik an der von seiner eigenen Partei erfundenen Agenda 2010 ausreicht, um einen kompletten Wahlkampf zu bestreiten, das erscheint doch ein wenig zweifelhaft. So blieb dem Journalisten Hajo Schumacher der Hinweis darauf überlassen, dass Authentizität und Kampfgeist noch kein Parteiprogramm ersetzen.

Versöhnliche Worte von Christian Lindner

Interessant waren die recht versöhnlichen Worte, die der FDP-Vorsitzende Christian Lindner für die auferstandenen Sozialdemokraten fand: „Die SPD war über lange Zeit unterbewertet“, so Lindner. Das klang schon beinahe wie eine Bewerbung als künftiger Koalitionspartner. Und seine Spitze gegen die „narkotisierende“ Bundeskanzlerin Merkel dürfte auch eine kleine Revanche für die unfreundlichen Worte gewesen sein, die der CDU-Generalsekretär Peter Tauber unlängst in Richtung FDP abgefeuert hatte. Jedenfalls wirkt die Union derzeit irgendwie ziemlich alleingelassen. Daran konnten oder sollten auch Lindners dezente Attacken gegen Schulz nichts ändern von wegen, dieser sei Anhänger einer europäischen Arbeitslosenversicherung und wolle die Schulden vergemeinschaften.

Eine hübsche Volte war der „Schulz-Check“, den sich die „Hart, aber fair“-Leute zum Schluss der Sendung ausgedacht hatten, um den Kanzlerkandidaten der Herzen auf die inhaltliche Probe zu stellen. Das Ergebnis war erwartungsgemäß zwar eher mager. Aber die Kameraeinstellung zeigte das ikonische Porträt von Martin Schulz in Verbindung mit den Worten „Schulz-Check“ so, dass ausgerechnet die letzten beiden Buchstaben nicht zu sehen waren. Wer als Zuschauer in diesem Moment aus dem Dämmerschlaf erwachte, musste deshalb glauben, dass Schulz schon als Wiedergänger von Che Guevara gehandelt wird. Doch dafür fehlt dann wohl sogar dem Rebellen aus Würselen das revolutionäre Potential.

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