Toast Hawaii - Untote in deutschen Küchen

Unser Genusskolumnist wollte es kaum glauben, aber es gibt noch Gaststätten, in denen „Toast Hawaii“ angeboten wird. Für ihn Anlass, sich mit dem kulinarsoziologischen Hintergrund dieses Irrwegs der deutschen Esskultur zu beschäftigen.

Toast Hawaii / dpa
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Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Eigentlich dachte ich ja, dass das woke Geplapper über den „Toast Hawaii“, der dringend umbenannt werden müsste, weil der Name „rassistisch“ sei, eine Geisterdebatte ist. Weil es diese merkwürdige Speise faktisch nicht mehr gibt. Doch weit gefehlt. Neulich berichtete mir ein – kulinarisch komplett schmerzfreier – Bekannter, dass er in einer Restaurantkarte tatsächlich besagten Toast gesehen und dann auch verspeist habe. Das sei „total lecker“ gewesen, so „wie früher“.

Das hat natürlich meine Neugier geweckt. Also nicht auf dieses Restaurant, sondern auf die historische und aktuelle Verbreitung dieses von dem Schauspieler Clemens Wilmenrod erfundenen und erstmals am 20.Februar 1953 in der TV-Sendung „Es liegt auf der Zunge“ präsentiertem Snacks. Und tatsächlich ergab eine kurze Internet-Recherche, dass dieser gustatorische Alptraum noch immer relativ weit verbreitet ist. Oft findet er sich auf einschlägigen Speisekarten in unmittelbarer Nähe von Scheußlichkeiten wie „Ragout Fin“ oder „Gebackener Camembert an Preiselbeeren und Toast“.

Fernweh in der Ananasdose

Für die 1950er und frühen 60er Jahre lässt sich das genusssoziologisch ja noch einigermaßen nachvollziehen. Die Verfügbarkeit und Erschwinglichkeit von Südfrüchten wie Ananas aus der Dose waren Insignien des beginnenden Wohlstands nach den kargen Nachkriegsjahren. Das gilt auch für gekochten Schinken, der seinerzeit noch als recht edel galt und in vielen Haushalten dem Sonntagsfrühstück vorbehalten war. Und die Assoziation mit der Südseeinsel Hawaii dockte an dem erwachenden Fernweh der Deutschen an.

Jeder Schlagerstar dieser Epoche hatte mindestens einen Südsee-Song im Repertoire, wie etwa Freddie Quinn („Alo-Ahe) Lale Andersen („Blue Hawaii“), Gus Backus („So eine Hula-Nacht“), Peter Krau („Hula-Baby“), Vico Torriani („Waikiki“), seine Schwester Caterina Valente („Haiti Cherie“) und natürlich Udo Jürgens („Immer wieder denk ich an Hawaii zurück“). Nicht selten kam dabei eines der (neben der Panflöte) schrecklichsten Instrumente der Musikgeschichte zum Einsatz, die unerträglich jaulende „Hawaii-Gitarre“. 1963 war es dann dem großen Musiker und Entertainer Paul Kuhn vorbehalten, in diesen unerträglichen, redundanten Südseekitsch mit seinem genialen Song „Es gibt kein Bier auf Hawaii“ reinzugrätschen. 

Was hat die Deutschen bloß dabei geritten?

Bier wird es auf Hawaii mittlerweile geben, aber was es dort weder gab noch gibt, ist der „Toast Hawaii“. Wieso sollten Bewohner eines tropischen Früchteparadieses auch auf die Idee kommen, eine Ananas in der Mitte auszuhöhlen, in Scheiben zu schneiden, in einen zuckrigen Sirup einzulegen und schließlich mit anderen merkwürdigen Zutaten im Ofen zu erhitzen?

Doch was die Deutschen dabei geritten? Die Journalistin Gudrun Rothaug schrieb dazu in der 2004 bei Suhrkamp erschienenen Antologie „In aller Munde. Ernährung heute“, der Toast Hawaii habe „auf wenigen Quadratzentimetern Weizenbrot die Sehnsüchte einer ganzen Epoche“ gebündelt. Die „verschwenderische Kombination aus Schinken und Käse“ habe „den neu gewonnenen Wohlstand, Ananas und Cocktailkirschen die Sehnsucht nach der weiten Welt“ demonstriert.

Der Hawaii-Quatsch auf deutschen Tellern blieb in der Folge nicht ohne weitere Auswüchse. Bekannt und berüchtigt ist die „Pizza Hawaii“, oder auch Steak- oder „Schnitzel Hawaii“.  Beides ist ebenfalls nach wie vor in einschlägen Speisekarten und Koch-Portalen im Internet präsent.

Ein letzter Selbstversuch – auch wenn es weh tut

Ich bin mir ziemlich sicher, in meinem ganzen Leben bislang maximal drei „Toast Hawaii“ verzehrt zu haben, und das vor sehr langer Zeit. Doch jetzt muss es natürlich noch mal sein; schließlich galt es, mein Entsetzen über diese offenbar anhaltende gustatorische Geisterfahrt sensorisch zu untermauern. Als Genusskolumnist muss man manchmal auch dahin, wo es weh tut.
 

Zuletzt in „Genuss ist Notwehr“ erschienen:


Also ab zu einem einschlägigen Discounter. Auf dem Zettel standen Toastbrot, abgepackter Kochschinken, Schmelzkäse in Scheiben, eine kleine Dose Ananasscheiben in Sirup und ein Glas Cocktailkirschen, ebenfalls in Sirup. Also alles Dinge, die ganz oben auf dem Index der Geschmackspolizei stehen. Und ab ging es – Back to the Fifties: Toastscheiben leicht bräunen und buttern. Dann (in dieser Reihenfolge) mit Schinken, einer gut abgetropften Scheibe Ananas und einer Scheibe Käse belegen. Den Toast Hawaii auf ein mit Backpapier ausgelegtes Backblech legen und für rund 10 Minuten in den auf 200 Grad vorgeheizten Ofen schieben, bis der Käse geschmolzen ist. Raus aus dem Ofen, und dann noch eine Cocktailkirsche in das inzwischen halb mit Käse zugeschmolzene Mittelloch der Ananasscheibe stecken. Fertig.

Lieber mal was hawaiianisches essen

Was soll ich sagen: Das schmeckt halt, wie es schmeckt. Und weckte bei mir auch keine Südseeträume, sondern eher trübe Gedanken über die Lebensmittelindustrie, denn die Produktinformationen bei den verwendeten abgepackten Zutaten sind nichts für zarte Gemüter. Das war jetzt wohl der letzte Toast Hawaii in meinem Leben. Mit Sicherheit werde ich dagegen mal ein hawaiianisches Gericht probieren, auf das ich beim Rumstöbern gestoßen bin. Es heißt „Poke“, und Zutaten wie roher Thunfisch, Mango, Avokado und Seetang sagen mir deutlich mehr zu, als Dosenananas und Schmelzkäse.

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