Theodor Fontane an der Schaubühne - Hiergeblieben!

Der Musikkabarettist Rainald Grebe gestaltet in Berlin einen Fontane-Abend. Zwischen albernen und berührenden Szenen zeigt sich: Der Alte aus Neuruppin bleibt uns ein Jahr vor seinem 200. Geburtstag näher, als wir es wahrhaben wollen

Rainald Grebe (l) und Damir Avdic spielen in der Fotoprobe zu dem Stück / picture alliance
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Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Schon für Kurt Tucholsky war Theodor Fontane etwas „heute völlig Unmögliches“ geworden: „Wir denken anders, wir werten anders, wir fühlen anders, und wir urteilen anders.“ Die Berliner Schaubühne druckt diese Einschätzung ab im Programmheft zum Fontane-Abend des Musikkabarettisten Rainald Grebe, der auf den langen Titel hört: „fontane.200  – Einblicke in die Vorbereitungen des Jubiläums des zweihundertsten Geburtstags Theodor Fontanes im Jahr 2019“. Womit das Meiste gesagt wäre. Zu sehen gibt es viel.

Wenige Male betritt Grebe die Bühne. Er ist weder der Conférencier einer Nummernrevue noch die Hauptperson im eigenen Dramolett. Als Regisseur und Textkompilator hat er genug zu tun. Die Haltung, die er dabei an den Tag legt, ähnelt der freundlichen Skepsis Tucholskys. Grebe beugt sich über das Riesenwerk des Spätberufenen, sieht „Groschenromane“ statt Weltliteratur – so doziert es einmal die wunderbare Schauspielerin und Sängerin Tilla Kratochwil –, versunkene Provinzen statt menschlicher Universalgeographie, Konvention statt Lebensklugheit. Letztlich hat Fontane Herrn Grebe wenig zu sagen.

Lohnschreiber und Lebenskünstler zugleich

Genau diese Fremdheit ist es dann aber, die zwei Stunden lang Funken schlägt und Fontanes Verdikt über Ruppin Lügen straft. An der Schaubühne entstand gerade nicht „eine Öde und Leere, die zuletzt den Eindruck der Langenweile macht“. Albern ist es immer mal wieder, da mag man kaum hinschauen, etwa wenn Florian Anderer einen schlechten Schauspieler spielt, der mit Plastikfiguren und Holzklötzen und jeder Menge Peitschengeknall den „Tag von Düppel“ im Deutsch-Dänischen Krieg von 1864 nachstellt. Fontane war auch Kriegsberichterstatter, Lohnschreiber, Journalist, wenngleich seinen Schlachtenbüchern keine großen kommerziellen Erfolge beschieden waren. „Die Kunst des Lebens“ sei es, schrieb er an seine Frau, „recht viele Eisen im Feuer zu haben.“ Mancher lodernde Ehrgeiz freilich kühlte aus vor der Zeit. Seinen ersten Roman schrieb er mit 58 Jahren, erst damit hatte Fontane seine Bestimmung gefunden. Worin eben doch ein sehr heutiger Zug liegt: Fontane war ein Silver Ager, eine Ich-AG, ein Lebenskünstler.

Das Briefzitat fällt in den anrührenden Momenten des Abends, als Kratochwil und Anderer einander vorlesen, was die Eheleute Fontane in jungen Jahren bewog, 1852, er in London und schreibend, sie in Brandenburg und schwanger, er hoffnungsfroh, sie dämpfend, er jubilierend, sie die schlimme Kunde überbringend vom Tod des neugeborenen Kindes. Drei Söhne starben kurz nach der Geburt, hintereinander. Dass Fontanes viel gerühmte heitere Gelassenheit auf einem knochentrockenen Realismus ruht: Hier wird es deutlich. Romantisch ist gar nichts.

Das Individuelle im Typischen

Darum mag Grebe zwar ungerecht mit den Hauptwerken „Frau Jenny Treibel“, „Mathilde Möring“, „Stine“, „Schach von Wuthenow“ und „Grete Minde“ verfahren, wenn er diese alle über einen formalen Kamm schert und sie innerhalb von 20 Minuten verseifenopert, sie abhandelt als Nummernkabarett, als Puppenspiel mit Menschen, falsche Bärte, falsche Frisuren, falsche Brüste inklusive, dazu erklingt die Titelmelodie von „Dallas“ im Live-Hammondorgel-Sound Jens-Karsten Stolls. Zugleich aber schimmert, wie es eben dialektisch so geht, durch das Übermaß des Typischen das Individuelle durch: Nur Victoire, die Geliebte des Rittmeisters von Wuthenow, hat Blattern, auch wenn Iris Becher, die alle Fontaneschen Frauenhauptpersonen energisch spielt, sich diesen Makel als Kunstfleck ins Gesicht pappt.

Die Konversationsszenen aus dem „Stechlin“ sind selbst in ihrer Fassung für Papiertheater und Zinnfigur Fragment einer Epoche, die Dialoge über Auf- und Ehebruch, „neue Zeit“  und „alte Familien“ bleiben menschlich Allzumenschliches: Das war einmal, das waren wir. Und wenn Grebe weniger nach Monty Python als nach Christoph Marthaler schielt und das Ensemble glutvoll singen darf – Pop der Achtziger („Wonderful Life“ von Black etwa,  „no need to run and hide“), italienische Schlager, Balladenliedgut – gewinnt der Abend intime Größe. Der Alte aus Neuruppin wusste: „Sich angehören ist der einzige begehrenswerte Lebensluxus.“ Fontane, unbezwingbar.

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