Theater in der Corona-Krise - Das große Warten

An allen Theatern und Opernhäusern kann wegen der Corona-Pandemie derzeit nicht gespielt und kaum geplant werden. Vom Hoffen auf den Tag X, an dem es endlich wieder losgehen wird, erzählt Enrico Lübbe, Intendant des Schauspiels Leipzig.

Der finanzielle Verlust für das Schauspiel Leipzig ist noch nicht absehbar /picture alliance
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Autoreninfo

Irene Bazinger ist Theaterjournalistin und lebt in Berlin. Zuletzt gab sie das Buch „Regie: Ruth Berghaus“ heraus (Rotbuch-Verlag)

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Enrico Lübbe leitet seit 2013 das Schauspiel Leipzig. Der gebürtige Schweriner ist Intendant und deutscher Theaterregisseur.

Herr Lübbe, das Schauspiel Leipzig ist ein riesiges, leicht neoklassizistisches Gebäude im Herzen der Stadt und fasst im großen Saal knapp 700 Zuschauer. Wie ist die Atmosphäre jetzt?
Still ruht der See, zumindest äußerlich, wie wahrscheinlich überall in Deutschland. Von unseren rund 190 Mitarbeitern ist gerade noch eine Handvoll im Theater tätig, etwa in der Verwaltung und in der Technik, der Rest arbeitet im Homeoffice, klärt Verträge, regelt buchhalterische Angelegenheiten, macht alles, was in einem Theaterbetrieb von außerhalb zu erledigen ist.

Manche der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gehören zu einer Risikogruppe, da haben wir gleich dafür gesorgt, dass sie nicht mehr vor Ort arbeiten müssen. Ansonsten finden regelmäßige Leitungsrunden im kleinen Kreis statt, auch um gemeinsam die aktuelle Lage zu erörtern. Das Haus ist dafür gut geeignet, es ist groß, da kann man leicht viel Abstand zwischen den beteiligten Personen halten! Wir haben natürlich auch längst die nächste Spielzeit geplant, das Spielzeitheft müsste bald in Druck gehen.

Enrico Lübbe/ Foto: picture alliance

Was können Sie unter solchen Umständen bereits an Vorkehrungen für die kommenden Monate treffen?
Das ist sehr kompliziert. Denn allein eine Verlängerung der Pause um zehn Tage zieht für uns eine komplexe Terminkette nach sich. Welche Schauspieler können wir wann wo besetzen, wie sind die Proben zu disponieren, um künstlerische Qualität zu garantieren? Das ist Höchststress. Nächste Wochen sollten zum Beispiel die Bauproben für die Eröffnungspremieren im Herbst stattfinden, die Theaterwerkstätten müssten ihre Ressourcen entsprechend einteilen, um rechtzeitig die Bühnenbilder bauen und die Kostüme herstellen zu können. Wir hatten eine sehr gute Spielzeit und einen super Lauf, jetzt hätten allmählich die Festivals angefangen – und dann kam dieser Totalstopp. Es dauerte wirklich eine Weile, bis wir das ganze Ausmaß begriffen haben. Weder probieren noch vor Publikum spielen zu können, das ist schon sehr schmerzhaft.

Über die neuen Termine können wir erst reden, wenn es so weit ist. Und dann brauchen wir viel Zeit und gute Nerven, um alles vernünftig organisieren zu können. Aber das kriegen wir hin, uns Theaterleuten ist das Improvisieren nicht fremd, und andere Menschen, Branchen, Institutionen haben viel größere Probleme als wir.

Wie läuft die Abstimmung mit den politischen Entscheidungsträgern?
Wir stehen in regelmäßigem telefonischen Kontakt zur Kulturbürgermeisterin Skadi Jennicke. Sie hat viel Verständnis für die Probleme der Künstler und weiß zum Beispiel auch, wie ein Theaterbetrieb gestrickt ist, sie war ja selbst Dramaturgin, unter anderem bei uns am Hause. Auch durch Videokonferenzen mit Oberbürgermeister Burkhard Jung und anderen politisch Verantwortlichen erfahren wir den Stand der Dinge und bekommen neue Anweisungen, die sich allerdings sehr schnell ändern können.

Das Theater ist geschlossen, können Sie Ihrerseits der Stadt trotzdem helfen?
Oh ja, es gab Anfragen an einzelne Berufsgruppen, wer einen Lkw-Führerschein, wer eine medizinische Vorbildung hat oder wer über bestimmte handwerkliche Fähigkeiten verfügt - da haben sich gleich die Techniker und Beleuchter gemeldet. Die Hilfsbereitschaft von allen ist unglaublich!

In den Kostümwerkstätten, die wir zusammen mit der Oper unterhalten, produzieren die rund 50 Mitarbeiter im Auftrag des Rathauses jetzt Schutzmasken und Schutzanzüge, entweder daheim oder in den Werkstätten, mit genügend Abstand zwischen den Nähmaschinen. Unsere Schauspieler und Dramaturgen stehen als Sprachdolmetscher bereit, falls dies nötig sein sollte. Und das künstlerische Personal kümmert sich außerdem um unsere sozialen Netzwerke und füttert die Medien mit Trailern, Informationen und mit allem, was nötig ist, um in der Öffentlichkeit präsent zu bleiben.

Werden die Schauspieler noch weiter bezahlt?
Ja, da geht es uns relativ gut. Wir sind ein kommunaler Betrieb und können die Gehälter der fest angestellten Schauspieler weiter bezahlen. Anders ist es bei den freischaffenden Schauspielern, da können wir die Abendgagen für die Vorstellungen, die aus „höherer Gewalt“ jetzt eben nicht stattfinden, auch nicht entrichten.

Haben Sie noch andere Gäste im Ensemble?
Haben wir, vor allem die Regisseure, die Bühnen- und Kostümbildner. Und die wissen derzeit nicht, ob die fest vereinbarten Folgeaufträge an anderen Häusern – vielleicht für Produktionen in zwei Jahren – fristgerecht klappen werden. Das ist wie beim Domino: Der erste Stein ist gekippt, und wahrscheinlich werden die nächsten ebenso umfallen. Das Theater ist ja ein hochkomplexer Betrieb und gerade bei den Freiberuflern und anderen reisenden Künstlerinnen und Künstlern hängt alles mit allem zusammen.

Wie viele Stücke müssen Sie konkret verschieben?
„Medea“ in der Regie von Markus Bothe wurde schon um einen Monat auf Ende April verschoben, da mussten wir in den Endproben aufhören. Philipp Preuss wird „Das Schloss“ inszenieren, diese Aufführung wandert komplett in die nächste Spielzeit. Das Projekt „Last but not least“ von Lina Majdalanie und Rabih Mroué zu neo-nationalistischen Ideologien ist vorerst abgesagt, wir suchen noch nach einem neuen Premierentermin. „Vater“ von Florian Zeller in der Regie von Tilo Krügel ist eine Produktion im Kunstkraftwerk Leipzig im Rahmen der diesjährigen ClubConvention, die zunächst auf Eis liegt. Allein diese ClubConvention umfasst vier weitere Premieren der Theaterspielclubs der Region, an denen sehr viele Menschen - Jugendliche, Senioren – ein Jahr lang in ihrer Freizeit geprobt haben. Dies abzusagen wäre wirklich seelische Grausamkeit. Aber man kann niemand fragen, wie es weitergeht, die Glaskugel dafür muss erst noch erfunden werden. Das macht die Situation so unbefriedigend und schwierig.

Ihre eigene Inszenierung, „Drei Tage auf dem Land“ nach Turgenjew, die als Open-Air-Sommertheater ab Mitte Juni stattfinden soll, ist demnach auch betroffen.
Dabei wäre sie so wichtig, denn sie soll in verschiedenen Stadtteilen gezeigt werden und bewusst zu den Menschen vor Ort kommen. Selbst wenn wir dafür nur zwei Wochen Proben hätten, würden wir das sogar in dieser kurzen Zeit schaffen, weil alle so motiviert und glücklich sein werden, endlich wieder arbeiten können. Und um allen zu zeigen, wir sind noch da, wir spielen wieder für euch.

Gibt es dann unter Umständen in der nächsten Saison eine erhöhte Premierenfrequenz?
Das können wir erst austüfteln, wenn feststeht, wann wir wieder loslegen können. Davon hängt wie bei einem Rechenspiel ab, welche Produktion mit welchen Mitarbeitern terminlich wohin rückt, welche daneben vorbereitet werden kann, was das für das übrige Programm bedeutet. Der Spielbetrieb ist das eine, aber wir wissen auch nicht, wann der Probenbetrieb wieder möglich sein wird. Wenn wir proben könnten, ließen sich schon Inszenierungen „fürs Regal“ vorbereiten, die man dann, wenn es wirklich losgeht, in kurzer Zeit aktivieren und herausbringen könnten. Alles hängt vom Tag X ab.

Lässt sich ungefähr einschätzen, wie hoch der finanzielle Verlust für das Schauspiel Leipzig durch die Zwangspause sein wird? 
Nein, das ist derzeit nicht möglich, es kommt einfach darauf an, wie lange wir nicht spielen können. Zuerst hieß es, die Schließung würde bis 11. April dauern, dann wurde sie auf 20. April verlängert. Ich weiß ja, dass niemand sagen kann, wie lange sie nun definitiv dauern wird. Bis dahin heißt es für uns: Warten, so schwer es auch fällt.

Wenn die Corona-Gefahr gebannt ist und die Theater, Opern, Konzerthäuser, Museen, Galerien wieder öffnen dürfen – werden wir dann die Kunst ganz besonders schätzen oder werden wir sie vergessen haben?
Ich glaube, es wird eine riesige Freude herrschen. Wir haben schon besprochen, dass wir, egal, wann wir wieder spielen können, zuerst einmal ein großes Theaterfest feiern weder – und wenn jeder selbst Stullen und Getränke mitbringt! Das wird ein Jubel sein, wir haben ja zum hohen Anteil ein sehr junges, studentisches Publikum, sehr kunstaffin, sehr beweglich. Dann werden die Straßen und die Theater auch ganz schnell wieder voll sein.

Die Corona-Krise hat alle anderen Themen weggefegt. Hängt denn am Schauspiel Leipzig noch das Transparent mit dem schönen Goethe-Zitat?
Natürlich, aus dem „West-Östlichen Divan“: „Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter“. Und das bleibt auch dran!
 

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