Politische Korrektheit - Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen

Die Debatte um eine geschlechtergerechte Nationalhymne zeigt, wie tief die Gräben zwischen Befürwortern und Gegnern einer politisch korrekten Sprache sind. Der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch reagiert in seinem neuen Buch auf die häufigsten Vorwürfe

Kanada und Österreich haben ihre Nationalhymnen bereits geschlechtergerecht formuliert / picture alliance
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Autoreninfo

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin sowie Wissenschaftsblogger und Vortragsredner mit den Schwerpunkten Lehnwörter, Sprachpolitik und sprachliche Diskriminierung.

Foto: Bernd Wannenmacher/FU Berlin

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Seitdem rechte Bewegungen und Parteien wieder Aufwind haben, drängt mit deren menschenverachtendem Gedankengut auch ein Sprachgebrauch in die Öffentlichkeit, der wegen seiner offensichtlichen Brutalität auf breite Ablehnung stößt. Wenn Flüchtlinge pauschal als Asylinvasoren und Rapefugees verunglimpft und als Teil einer Umvolkung dargestellt werden, die Deutschland zu einer Moslem-Müllhalde verkommen lässt, dann besteht Einigkeit, dass hier nicht nur abwertende Ideen geäußert werden, sondern dass dies auch in einer abwertenden Sprache geschieht. [...]

Diese Einigkeit steht in einem merkwürdigen Gegensatz zu den sonst üblichen Reaktionen auf Versuche, einem abwertenden Sprachgebrauch entgegenzuwirken. Als etwa Otfried Preußler 2013 in einer Neuauflage seines erstmals 1957 erschienenen Kinderbuchs Die kleine Hexe aus zwei kostümierten und im Original als N~lein bezeichneten Kindern zwei ethnisch unbestimmte Messerwerfer machte, sah das deutschsprachige Feuilleton darin den „Rotstift der Political Correctness“, dem unser „kulturelles Erbe zum Opfer falle“, oder gar eine „orwellsche Auslöschung unserer Vergangenheit“.

Der Vorwurf der Sprachverhunzung

Bei der jüngsten großen Reform der Straßenverkehrsordnung – einem trockenen Gesetzestext ohne Potenzial für nostalgische Kindheitserinnerungen – wurden, ebenfalls 2013, die seit dem ursprünglichen Erlass von 1934 ausschließlich männlichen Personenbezeichnungen weitgehend durch geschlechtsneutrale Formulierungen ersetzt: Statt von Fußgängern ist nun von zu Fuß Gehenden die Rede, statt Radfahrer müssen einzeln hintereinander fahren heißt es nun Mit Fahrrädern muss einzeln hintereinander gefahren werden, und aus jeder Verkehrsteilnehmer wurde wer am Verkehr teilnimmt. Auch hier gab es heftige Ablehnung: Den Verantwortlichen wurde politisch korrekte „Sprachverhunzung“ vorgeworfen, sie seien „gaga“ und vom „Gender-Wahnsinn“ befallen.

Ähnliche Reaktionen gab es, als die Universität Leipzig in ihrer Satzung die bis 2013 ausschließlich männlichen Personenbezeichnungen (Student, Professor usw.) durch ausschließlich weibliche ersetzte (Studentin, Professorin usw.), als die Grünen 2015 beschlossen, Personenbezeichnungen in Anträgen nur noch mit „Gender-Sternchen“ (Politiker*innen) zu schreiben, oder als aus der Heimat großer Söhne der österreichischen Nationalhymne die Heimat großer Töchter und Söhne wurde. [...]

Der Vorwurf der Bilderstürmerei

Wie erklärt sich die Heftigkeit dieser Reaktionen? Und worin genau besteht der Vorwurf der „politischen Korrektheit“? 

Das ist zunächst der Vorwurf der sprachlichen Bilderstürmerei. Einzelne Wörter in älteren Texten mögen aus heutiger Sicht problematisch scheinen, heißt es dann, aber das sei eben die Wortwahl der Autor/-innen, die dem Sprachgebrauch der damaligen Zeit entspreche. In das so entstandene sprachlich-literarische Gesamtkunstwerk dürfe man nicht eingreifen. Wenn Preußler einmal N~lein geschrieben habe, solle er auch fünfzig Jahre später dazu stehen, und erst recht dürfe ein Text nicht verändert werden, wenn die Autorin – wie im Fall von Astrid Lindgren – bereits verstorben sei.

Diese Vorstellungen mögen auf den ersten Blick durchaus vernünftig klingen: Texte sind (auch) Zeitzeugnisse, die durch nachträgliche Eingriffe verfälscht werden. Allerdings darf bezweifelt werden, dass die Kritiker/-innen der politischen Korrektheit tatsächlich der Meinung sind, Kinderbücher fielen in die Kategorie schützenswerter zeitgeschichtlicher Dokumente: Kinderbuchverlage greifen bei Übersetzungen und Neuauflagen oft sehr viel tiefer in den Originaltext ein als in den oben beschriebenen Fällen, ohne dass im Feuilleton auch nur ein leises Murren vernehmbar wäre. In Enid Blytons 1941 erschienenem Kinderbuchklassiker „The Adventurous Four“ etwa entdecken die Arnold-Kinder während des Zweiten Weltkriegs einen geheimen U-Boot-Stützpunkt der Nazis vor der Küste Schottlands und werden von deutschen Soldaten mit Hakenkreuz-Armbinde gefangen genommen. Als das Buch 1969 ins Deutsche übersetzt wurde, machte man aus den deutschen Nazis Unpolitische und Waffenschmuggler ungenannter Nationalität, ließ die Geschichte aber weiterhin im Zweiten Weltkrieg spielen. Die Sorge des Feuilletons bezüglich der damit begangenen Verfälschung des literarischen Werkes oder der jüngeren deutschen Geschichte lässt bis heute auf sich warten. [...]

Der Vorwurf der Unverständlichkeit

Andere Kritiker/-innen der politischen Korrektheit halten sich nicht mit der Literatur und Kultur auf, sondern sorgen sich gleich um die deutsche Sprache insgesamt. Die, sagen sie, könne sich ausschließlich organisch aus sich selbst heraus weiterentwickeln und würde unwiederbringlich zerstört, wenn man von außen in die Entwicklung eingreife. Zum Beispiel seien neumodische Sprachverdrehungen wie die oben genannten Partizipien Studierende oder zu Fuß Gehende zur Schaffung von Personenbezeichnungen ungeeignet, da sie sich nicht auf allgemeine Eigenschaften, sondern auf konkrete Vorgänge bezögen. Der ansonsten klarsichtige Max Goldt argumentiert in einer häufig zitierten (und merkwürdig morbiden) Glosse, man könne nach einem Massaker nicht sagen: Die Bevölkerung beweint die sterbenden Studierenden. Man könne nämlich nicht „gleichzeitig sterben und studieren“. Auch hier ist die Kritik sehr selektiv: Diese Formen werden nur dann als unlogisch kritisiert, wenn sie der Geschlechtergerechtigkeit dienen sollen. Niemand stört sich an den Wörtern Vorsitzende/-r, Reisende/-r oder Anwesende/-r. [...]

Ernster zu nehmen ist der gelegentlich gegen die „politisch korrekte“ Sprache ins Feld geführte Einwand, sie störe die Kommunikation. In manchen Fällen ist eine solche Störung tatsächlich beabsichtigt: Radikale Eingriffe in die Sprache sollen dann die Aufmerksamkeit auf bestimmte sprachliche Strukturen lenken, zum Beispiel bei den „dynamischen“ Unterstrichen und x-Formen von Lann Hornscheidt (Hornscheidt ist einx ehemal_igx Professorx der Humboldt-Un_iversität). Aber im Allgemeinen soll die Sprache zwar gerechter, aber nicht weniger verständlich gemacht werden. Insofern dürfen und müssen sprachliche Reformvorschläge natürlich daraufhin überprüft werden, ob sie zu Missverständnissen führen können. [...]

Eine Frage der Moral

Es ist also weder die Unversehrtheit literarischer Texte und kultureller Traditionen (...) noch eine allgemeine Abneigung gegen Sprachverbote, die die Kritiker/-innen politisch korrekter Sprache antreibt. All diese Argumente werden immer nur dort ins Feld geführt, wo es darum geht, abwertende Bezeichnungen und Sprachstrukturen zu vermeiden, um eine sprachliche Gleichbehandlung bislang diskriminierter Bevölkerungsgruppen herzustellen.

Wenn wir alle Vorwürfe der Zensur und Geschichtsfälschung, Sprach- und Literaturverdrehung abziehen, bleibt eine Gemeinsamkeit der beschriebenen Beispiele übrig: dass sie sich gegen die sprachliche Herabwürdigung bestimmter Gruppen richten. Da daran eigentlich nichts kritikwürdig ist, wird es durch Wörter wie „Gutmenschen-“ oder „Moralaposteltum“ lächerlich gemacht.

Die Kritiker/-innen treffen damit aber unfreiwillig den Kern der politisch korrekten Sprache – sie ist tatsächlich eine Frage der Moral. 

„Eine Frage der Moral“ von Anatol Stefanowitsch erscheint am 12. März im Duden-Verlag, 64 Seiten, 8,- Euro.

 

 

 

 

 

 

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