Sprache im Wandel - Die Verheißung des Unerprobten

Energiewende, Agrarwende, Mobilitätswende: Diese Metaphern sind sprachlich im Alltag verankert. Sie suggerieren die Realität, dass erst im Gegenteil alles besser wird. Dabei brauchen wir neue und durchdachte Begriffe für den technischen Wandel

Begriffe wie „Energiewende“ suggerieren, dass es einen Masterplan für CO2-freie Stromproduktion gibt / picture alliance
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Andreas Möller ist Historiker und leitet die Kommunikation des Maschinenbauers Trumpf.

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Selten waren Attribute wie Stabilität und Kontinuität in Deutschland offenbar so wichtig wie heute. Nordkorea, Russland, die Türkei: Je unsicherer sich die Welt entwickelt, desto mehr kommt es den Deutschen auf politische Erfahrung und Besonnenheit an. Nicht zufällig spielen Themen der Wirtschaft in diesem Wahlkampf eine marginale Rolle – mit Ausnahme des Verbrennungsmotors, der synonym für hunderttausende Arbeitsplätze steht.

Wende-Metaphern sind omnipräsent

Erstmals seit den neunziger Jahren kann man von einer „Rückkehr der Geschichte“ im Sinne der Dominanz der Außen- und Sicherheitspolitik sprechen. Auch im TV-Duell zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Herausforderer Martin Schulz gab es keinen Raum für die Perspektiven des Hightech-Standorts, Überlegungen zu Bildung, Forschung und Entwicklung. Einzig die Kanzlerin erwähnte den digitalen Wandel als die vielleicht größte Herausforderung.

Was für den emotionalen Zustand der Gesellschaft gilt, findet sich paradoxerweise nicht in den Debatten über die Wirtschaft wieder. Es hat im Gegenteil den Anschein, als solle das stärker werdende Bedürfnis nach Sicherheit durch die Sprache in einer ökonomischen Umkehr kompensiert werden – die Verheißung des Unerprobten, aber moralisch Gebotenen. Ob Energie, Landwirtschaft oder Verkehr: Wende-Metaphern sind omnipräsent und suggerieren, dass das Bestehende nicht nur überkommen, sondern an sich falsch sei. Und dass es einen Masterplan für eine CO2-freie Stromproduktion oder den Güterverkehr auch zu Land und zu Wasser gäbe, den man nur zur Umsetzung bringen müsste.

Die Sprache kümmert’s wenig

Keine Frage: Utopien und ehrgeizige Antworten auf technologische Veränderungen, Ressourcenprobleme oder die Weltpolitik sind überlebenswichtig. Der Historiker Joachim Radkau hat in seiner „Geschichte der Zukunft“ gezeigt, wie Prognosen und Visionen die Zeit nach 1945 kontinuierlich durchziehen. Es ist dabei ein wenig wie mit dem Pfeifen im Walde: Je größer die Verunsicherung, desto mutiger scheint der Griff nach den Sternen.

Indes gibt es heute realen Handlungsbedarf. Dies wird etwa im Bereich der industriellen Produktion unter dem Stichwort „Industrie 4.0“ deutlich, die Hand in Hand geht mit einer digitalen Transformation der Wirtschaft im Ganzen. Ziel ist eine kluge Veränderung des Bestehenden, auf das man aufsetzt – im vollen Bewusstsein dessen, worin die Stärken der heimischen Unternehmen liegen.

Die Fürsprecher des schnellen Wandels unterschlagen hingegen, dass jede neue Technologie anschlussfähig an die vorangegangene sein muss. Zumindest dann, wenn es keinen Flurschaden am Produktionsstandort geben soll. Und dass es Verbraucher gibt, die ihnen folgen müssen. Doch die Sprache kümmert’s wenig: Forderungen nach einem schnellen Ausstieg oder Umstieg sind populär, da sie das Neue zumindest virtuell vorwegnehmen. Sie können sich zudem in großen Gesten erschöpfen, weil sie den Beweis ihrer Praxistauglichkeit nicht erbringen müssen.

Gerade die Energiewende ist dabei ein Beispiel für das lineare Verständnis von Geschichte und Technik – und weniger für eine Utopie, als die sie gehandelt wird. Denn sie lebt nicht von Sprüngen und der Erwartung erst kommender Technologien, sondern von der schnellen und tausendfachen Reproduktion des Bestehenden.

Industrielle Generalkritik

Sprache schafft bekanntlich Wirklichkeit, im Bereich des Politischen wird das neudeutsch „Framing“ genannt. Dessen Auswirkungen auf das gesellschaftliche Klima ließen sich im US-Präsidentschaftswahlkampf studieren. So sensibel die Öffentlichkeit auch hierzulande auf sprachliche Verfehlungen achtet, so wenig Sorgfalt herrscht bei jüngsten Skandalen wie „Diesel-Gate“. Anstatt im Zusammenhang mit der Abgasaffäre trennscharf auf den Betrugsvorwurf innerhalb des großen und heterogenen Gebildes Wirtschaft zu reagieren, scheint sich für manchen wie im Energie- oder im Landwirtschaftsbereich die Chance zur einen industriellen Generalkritik zu ergeben.

Es geht bei den vielen begrifflichen Wenden der vergangen Jahre deshalb möglicherweise um mehr als das Ringen um die besten Technologien. Im Schatten aktueller Betrugsvorwürfe blüht auch die alte Kritik am Wachstum und dem bestehenden Wirtschaftsmodell. Man könnte auch sagen: die Skepsis gegenüber einer Zukunft, die sich aus einer erprobten Gegenwart heraus entwickelt. Die trotz mancher Veränderung in deren Tradition steht.

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