Schriftsteller Christian Baron - Der Davongekommene

Alkohol, Schläge, zerplatzte Träume: Der Schriftsteller Christian Baron schreibt in wuchtiger Direktheit in seinem neuen Roman „Schön ist die Nacht“ über das proletarische Milieu der 1960er Jahre in seiner Heimatstadt Kaiserslautern.

„Schön ist die Nacht“ ist das dritte Buch des Pfälzer Autors Christian Baron / Antje Berghäuser
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Autoreninfo

Peter Henning lebt als Schriftsteller in Köln. Im September erscheint bei Luchterhand sein neuer Roman „Bis Du wieder gehst“.

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Er wirkt kompakt, Typ austrainierter Mittelgewichtler im schwarzen Existenzialisten-Look. Sein offenes freundliches Gesicht erscheint jünger als auf den Fotos, die von ihm im Internet kursieren. Dazu die ruhigen, sicheren Bewegungen eines Mannes, der früh gelernt hat, sich in dem Dschungel, als welchen er seine Familie als Kind erleben musste, durchzuschlagen.
Dieser Tage hat Christian Baron gut lachen. Denn gerade erlebt sein zweiter Roman einen regelrechten Boom. Elke Heidenreich feierte „Schön ist die Nacht“, in welchem er die Geschichte seiner beiden Großväter erzählt, als „fulminante Proletariergeschichte“; ein anderer Kritiker stellte das Buch gar an die Seite seines Lieblingsromans: Döblins „Berlin Alexanderplatz“.

Nicht schlecht für einen, der buchstäblich von ganz unten kommt, nämlich aus den prekären Verhältnissen einer Pfälzer Unterschichtsfamilie, in der Begriffe wie Halt und Geborgenheit aufgrund der alles bestimmenden Sauferei des Vaters Fremdwörter waren.

Die Fortsetzung nach vorn

Seine Träume und die seiner beiden Geschwister zerplatzten regelmäßig unter dessen Schlägen. Und mitansehen zu müssen, wie die Mutter darüber nach und nach zerbrach, war für Baron „die Hölle“. „Manchmal hatten wir am Monatsende nichts mehr zu essen, weil das wenige Geld, das wir noch hatten, für Alkohol draufging“, erinnert sich der heute 37-Jährige. Doch wenn er so darüber spricht, tut er es nicht wie einer, der auf verbrannte Erde blickt, sondern in der ruhigen, unaufgeregten Manier eines Mannes, der Albert Camus’ existenzialistischem Diktum folgend „etwas aus seinem Schicksal gemacht hat“.

In seinem vor knapp zwei Jahren erschienenen Romandebüt „Ein Mann seiner Klasse“ nahm Baron in schmerzhaft umrissscharfen Close-ups die in permanenten Alkoholdunst gehüllte Familien-­szenerie seiner Kaiserslauterer Kindheit und Jugend ins Visier. Und was man da lesen konnte, war zur großen Überraschung nicht eben das bitter-gallige Abrechnungsmanifest eines Davongekommenen, sondern – trotz der darin geschilderten Drastik – die Geschichte einer Vergebung, ja, einer nachgetragenen Liebe, wenn es da entsprechend über seinen Vater hieß: „Unser Vater war ein Mann, der kaum eine Wahl hatte, weil er wegen seines gewalttätigen Vaters und einer ihn nicht auffangenden Gesellschaft zu dem werden musste, der er nun mal war. Das entschuldigt nichts, aber es erklärt alles.“ So schreibt einer, der zu verstehen versucht. „Ich will verstehen, weshalb die Dinge liefen, wie sie liefen! Sie zu verurteilen hieße, sie nicht ernst zu nehmen!“

In „Schön ist die Nacht“ schreibt Christian Baron das 2020 Begonnene auf eine Weise fort, als spulte er seine eigene Familiengeschichte per Druck auf die Taste eines Kassettenrekorders um eine Generation zurück, indem er nun die seiner Großväter und weiterer Familienmitglieder erzählt.

Er wird weitermachen

Das erinnert in seiner wuchtigen Direktheit an die Romane Jörg Fausers. Denn Baron besitzt ein ähnlich feines Gehör für die Reden derer, die lieber all­abendlich in ihrer Stammkneipe volltanken, statt nach der Arbeit heimzugehen, wo sie bloß die Trümmer dessen erwartet, was einmal als das Projekt Familie hätte gedeihen sollen.

Das Resultat ist ein packendes Sittenbild der fernen 1970er, das dort seine stärksten Momente hat, wo Baron furchtlos jene Abgründe auslotet, in denen zerplatzte Träume, das Gefühl, erkennbar deklassiert zu sein, und die Unfähigkeit zur Gemeinschaft als Brandbeschleuniger fungieren – und Menschen in grimmige Alltagskrieger verwandelt werden, die nicht selten ihren Nächsten mit roher Gewalt begegnen.

Dass er heute in dieser unverstellten Klarheit auf das Vergangene zurückzublicken vermag, erklärt er vor allem mit der räumlichen Distanz, die er mit seinem Umzug in den Berliner Wedding, wo er seit Jahren mit seiner Frau und zwei Katzen lebt, zwischen sich und das Kaiserslautern seiner Schreckensjugend brachte.

Seine Anstellung als Redakteur liegt derzeit auf Eis. Denn er sitzt bereits an der Fortschreibung seiner Pfälzer Familienchronik. Die Weichen scheinen also gestellt. Trotzdem blickt er immer noch ungläubig, ja, manchmal geradezu beschämt auf seine Existenz als Schriftsteller, wenn er bekennt: „Ich komme mir immer noch ein bisschen wie ein Schwarzfahrer vor, dessen Anwesenheit im Literaturbetrieb illegitim ist!“ So wird er, davon angetrieben, weiter schreiben an seinen autobiografischen Explorationen, um sich eines Tages dazugehörig fühlen zu können. In seinem ganz eigenen, unfrisierten Ton, wie ihn derzeit kein Zweiter hierzulande anschlägt. Da jedenfalls ist er sich sicher. Und er lacht.

 

Dieser Text stammt aus der September-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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