Nachruf auf Jon Lord - Rock ist doch sterblich

Eigentlich war er viel zu virtuos, um primitive Rockmusik zu machen. Deshalb schuf Deep Purples Hammond-Organist Jon Lord Momente, die ewig bleiben. Gestern ist er im Alter von 71 Jahren verstorben. Ein Nachruf

(picture alliance) Deep Purples Hammond-Organist Jon Lord ist gestorben.
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Jetzt gibt es ihn nur noch auf dem Datenträger. Einen davon habe ich sofort aus dem Regal gezogen, als ich die Nachricht hörte, dass Jon Lord tot ist. Es ist eine BBC-Produktion über das Machine-Head-Album von Deep Purple im Rahmen einer Reihe über die ganz großen Alben der Rockgeschichte.

Jon Lord sitzt da, die weißen Haare zu einem Zopf gebunden, in einer Szene an seiner Hammond-Orgel, spielt einen perlenden Lauf: „May I Introduce The Beast?“, sagt er dann mit wunderbar sonorer Stimme.  Daraufhin schaltet er einen Marshall-Verstärker/Verzerrer zu, es gibt ein Knacksen, und mit einem Mal ist bei seinem Fingerlauf über die Tasten das rollende Grollen zu hören, das Tier, das eines der Attribute war, vielleicht das wichtigste, das den Sound von Deep Purple bis heute so einzigartig gemacht hat.

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Nichts gegen Ian Gillan und Roger Glover, zwei mehr als solide Handwerker ihres Faches, der eine die beste Stimme, die Deep Purple je hatte, der andere der coolste und wie die BBC-Produktion erweist auch britisch-witzigste Bassist, den Deep Purple hatte. Aber im Zentrum der Band standen immer die Großen Drei: Ian Paice, der einen unnachahmlichen Takt schlug und schlägt, so kraftvoll und präzise und virtuos. Die Gitarre von Ritchie Blackmore, der diesem Instrument Töne entlocken kann, als spiele er etwas anderes als all die anderen, die auch eine Fender Stratocaster in der Hand halten.

Und dann Jon Lord und das schwere Grollen seiner Orgel. Er unterlegte die Riffs zum Beispiel bei „Smoke On The Water“ wie eine Rhythmusgitarre, ähnlich wie Lemmy Kilmisters Bass bei Motörhead den Rhythmus-Part (noch mehr) übernimmt, wenn sein Gitarrist Solo-Ausflüge auf dem Gitarrenhals unternimmt.

Blackmores Exkursionen gehören (im Unterschied zu jenen bei Motörhead) zum Feinsten und Filigransten, was die Rockmusik bereit hält. Getoppt nur noch von den Dialogen zwischen dem Mann an den Keyboards und dem Mann an der Gitarre. Minutenlang unterhielten sich die beiden regelrecht über ihre Instrumenten miteinander. Der eine sagt etwas, gibt eine Melodie vor, die der andere aufgreift und weiterentwickelt. So geht das und steigert sich meist zu einem virtuosen Finale: Beide dabei unverkennbar inspiriert vom  Blues und von Johann Sebastian Bach, beide mit einem Gespür für Musik, das auch beim hundertsten Mal Hören die Härchen auf den Armen aufstellt.

John Lord, den Mann mit dem Günter-Grass-artigen Walrossbart habe ich mir immer als  den ruhenden Pool vorgestellt, als denjenigen, der den Feuerkopf Blackmore bändigte, wenn der wieder Gefahr lief, mit seinem Ego die ganze Band zu sprengen, was ja dann auch irgendwann gelang. Jedenfalls für viele Jahre. Er ist derjenige, der Blackmore nötigte, eine Platte mit dem Royal Philharmonic Orchestra einzuspielen. Und er hat mit „Sarabande“ Bach seine Reverenz erwiesen, die der verhinderte Hofkapellmeister von  Dresden ganz sicher auch mit Genuss gehört hätte.

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Lord gehört zu jenen Musikern, die eigentlich viel zu virtuos sind oder waren, um primitive Rockmusik zu machen. Aber immer wenn das passiert, wenn Genies sich auf die archaische triebhafte Urform von Musik einlassen, die Rock‘n Roll nun mal ist, dann entstehen Momente, die für ewig bleiben. Seinen Trick, mit der rechten Hand und den hohen Tönen permanent die Spannung zu halten, hat er sich übrigens bei Jimmy Smith abgeschaut und für Deep Purples Sound urbar gemacht. So wie bei „Highway Star“ oder „Lazy“. Solche Songs werden nie verblassen.

Das ist eine wichtige Erkenntnis. Denn nur wenige Tage nach dem 50-jährigen Bühnenjubiläum der Rolling Stones wird mit Lords Tod deutlich: Rock ist doch sterblich. Wir machen uns was vor zu glauben, dass ein Lederapfel wie Keith Richards noch jahrzehntelang die Gitarre in den Kniekehlen hängen haben wird und mit einer unverschämten Verschleppung das Riff von „Honky Tonk Women“ anschlägt. Sie sind zwar so eine Art Götter. Aber eben nur so eine Art.    
 

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