Robert Menasse - Staatspreis für den Flunkerkönig

Der Schriftsteller Robert Menasse wird von der rheinland-pfälzischen Regierung ausgezeichnet, obwohl er Zitate erfand. Seine Entschuldigung ist unglaubwürdig, sein Hass auf Nation und Bundestag bedenklich. Dabei wäre die verfahrene Situation leicht zu retten

Hat Robert Menassse die Carl-Zuckmayer-Medaille verdient? / picture alliance
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Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Schale ist alles. Das Kleid macht den Menschen, die Uniform den Mann. Darum gibt der stellungslose Schuster Wilhelm Voigt sich als Offizier aus und wird im Kommißrock zum legendären „Hauptmann von Köpenick“. Der rheinhessische Schriftsteller Carl Zuckmayer widmete ihm sein bekanntestes Schauspiel. Das Land Rheinland-Pfalz verleiht seit 1979 jährlich die Carl-Zuckmayer-Medaille, einen inoffiziellen Staatspreis für Literatur. Wenn dieser am Freitag dem österreichischen Autor Robert Menasse überreicht wird, findet zusammen, was zusammengehört, Maske und Kostüm, Inszenierung und Bluff, Verstellung und Einbildung.

Menasse hat bekanntlich an vielen Orten und zu verschiedenen Anlässen (und manchmal unter der Ko-Autorenschaft der Politologin Ulrike Guérot) dem ersten Vorsitzenden der Europäischen Kommission, Walter Hallstein, Worte in den Mund gelegt, die dieser nie gesagt hatte, unter anderem den Satz „Die Abschaffung der Nation ist die europäische Idee.“ Menasse machte den realen CDU-Politiker der 1950er Jahre zur Spielfigur seines eigenen Gegenwartsempfindens. Hallstein ist in Menasses unangekündigtem Politdrama das Alter Ego des Dichters.

Und Menasse erfand eine Hallstein-Rede auf dem Boden der damals sozialistischen Volksrepublik Polen, im ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz. Ingo Way in der Jüdischen Allgemeinen deutet Menasses „Instrumentalisierung von Auschwitz, um der eigenen Position in einer heutigen politischen Debatte moralisches Gewicht zu verleihen“ als „doppelt perfide“. Der Literaturwissenschaftler Johannes Franzen sieht durch die Fälschungen Menasses Schreiben beschädigt: „Der reale Schwindel kontaminiert auch die erfundene Geschichte. Eine Fälschung in der Wirklichkeit wird keine Wahrheit in der Literatur.“  

Augen zu und durch

Dennoch ist man in der rot-gelb-grün regierten Mainzer Staatskanzlei wild entschlossen, am Märchen von der Unterscheidbarkeit von lauterer Absicht und unlauterer Methode festzuhalten und den Schriftsteller Menasse mit höchsten staatlichen Ehren zu bekränzen. Den Carl-Zuckmayer-Preis soll der ertappte Wirklichkeitsverbieger erhalten für einerseits seine „Verdienste um die deutsche Sprache und um das künstlerische Wort“ – das mag so sehen, wer es mag –, aber auch ausdrücklich für sein „engagiertes Streiten für die europäische Idee“, das „die politische Debatte um die Zukunft der Europäischen Union sehr bereichert“ habe. Die SPD-Ministerpräsidentin Maria Luise Dreyer zeichnet einen der Ihren aus, koste es, was es wolle. Ein EU-freundliches linkes Juste Milieu schließt die Reihen. Der Staatsakt im Staatstheater Mainz kann beginnen. Augen zu und durch.

Menasse hält derweil an jener sentimentalen Selbstgerechtigkeit fest, die der öffentlichen Person Menasse seit je eigen ist. Er gibt gerne den aburteilungsbereiten Welterklärer, und so tat er es auch nun. „Die erregten oder höhnischen Journalisten und Blogger“, die ihm jetzt allzu sehr mit Fakten kommen, lieferten „den Rechtsextremen Stoff“ – der Fälscher lädt die moralischen Kosten seiner Fälschungen denen auf, die ihn beim Wort nahmen. Die drei Tage später auf Druck der Mainzer Staatskanzlei nachgeschobene Erklärung samt verschlungenem Schuldeingeständnis wirkt im Licht dieser Attacke unglaubwürdig.

Traum des nachnationalen Europas

Doch ist Menasses „engagiertes Streiten für die europäische Idee“ (M. Dreyer) überhaupt anerkennenswert? Menasse kämpft pointiert, polemisch, hochfahrend für die Abschaffung der Nation, für die Auflösung des Bundestags, letztlich den Untergang jener Bundesrepublik Deutschland, deren Preise er gerne entgegennimmt. In seinem recht anmaßend betitelten Pamphlet „Der europäische Landbote“ von 2012 heißt es, „die nationalen Parlamente werden sterben, die regionalen Parlamente an Bedeutung gewinnen.“ Menasse kann und mag Nation und Nationalismus nicht differenzieren und stellt damit auch der Bundesrepublik das allerschlechteste Zeugnis aus. „Die EU ist unser Untergang! Und das ist gut so!“ Schreibt er im „Landboten“.

Menasse träumt von einem „nachnationalen Kontinent“ nach dem „notwendigen Absterben der Nationalstaaten“. Deutschland (mit Österreich) muss untergehen, damit Europa leben kann – so schwebt es Menasse vor. Auf dem Weg dorthin „wird Demokratie gemeingefährlich“, sofern statt des „gebildeten Citoyen“, als den wir uns nicht zuletzt Menasse selbst vorstellen sollen, „die von Massenmedien organisierten Hetzmassen“ die Mehrheit erlangen. Menasses Liebe zur freien Presse und zu den Menschen und zur Demokratie und zum offenen Diskurs ist eben nicht grenzenlos. Deshalb drischt er bereits im „Landboten“ alle Einwände gegen seinen Nationenhass mit der Nazikeule nieder: Anschließend an sein wiederholtes Plädoyer für einen „Kontinent ohne Nationen“ erklärt Menasse, „und wer sich das alles nicht vorstellen kann, der soll zumindest versuchen, sich vorzustellen, was Auschwitz bedeutet.“ Wenn also Portugal, Kroatien, Polen, Deutschland und die anderen europäischen Nationalstaaten nicht ihrer Selbstauflösung zustimmen, dann werden in Europa wieder Menschen von Staaten ermordet, dann fallen die Deutschen (und Österreicher) in den Nationalsozialismus zurück, dann droht ein neuer Holocaust. Anmaßender, gaukelhafter geht‘s nimmer.

Dichten in Zeiten der Lüge 

Man muss Robert Menasse zugutehalten, dass er bisher kaum einen Streit scheute. Warum scheut ihn die Mainzer Staatregierung? Es wäre so einfach, so gesichtswahrend, so gewissenserleichternd, so klug, wenn alle Beteiligten nicht dem Vogel Strauß folgten, sondern Kalliope, der Muse der Wissenschaft und der Dichtung. Warum erklären nicht Ministerpräsidentin und Poet gemeinsam, die Diskussion um den Preisträger habe den Preis und dessen Anliegen überlagert, und ersetzen die Preisverleihung im Mainzer Staatstheater durch eine offene, öffentliche Diskussion ebendort? Natürlich mit Menasse und Dreyer, zusätzlich aber mit Historikern, Literaturwissenschaftlern, Publizisten, ein echtes Pro und Kontra: „Dichten in Zeiten der Lüge – Heiligt der Zweck alle Mittel?“

Der Grund dürfte so klar wie erschütternd sein: Weil weder Dreyer noch Menasse das hohe Ross der guten Denkungsart verlassen wollen, und weil weder Menasse noch Dreyer der Poesie wirklich trauen, der Wahrheit wirklich trauen. So wird von Mainz leider das Signal ausgehen: Flunkern verboten – es sei denn, der Staat will es so.

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