Reinhold Messner - „Die Geier sollten mich holen, denn nichts bleibt mehr übrig von uns“

Reinhold Messner wird heute 75 Jahre alt. Das, was er erlebte, würde wohl für drei Leben reichen. Ende 2016 erzählte die Südtiroler Bergsteigerlegende in Cicero, wie er die letzten 24 Stunden seines Lebens verbringen wollen würde

Die Südtiroler Bergsteigerlegende Reinhold Messner / picture alliance
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Autoreninfo

Björn Eenboom ist Filmkritiker, Journalist und Autor und lebt im Rhein-Main-Gebiet.

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Aufgezeichnet von Björn Eenboom

Meine letzten 24 Stunden erlebe ich nicht zum ersten Mal. Ich war dem Tod schon ein paar Mal sehr nah. In diesen Notsituationen, wenn das Sterben sehr viel wahrscheinlicher ist als das Überleben, ist der Tod eine Selbstverständlichkeit. Der Mensch lässt sich am Ende in den Tod fallen. Er ist damit einverstanden. Ich werde auch, sollte ich todkrank sein und anderen nicht mehr zumutbar, Sterbehilfe in Anspruch nehmen. Das ist eine vernünftige Lösung, eine letzte Selbstbestimmung, wie im Rest meines Lebens.

Ich werde meinen letzten Tag in Stille und Einfachheit zelebrieren. Am besten mit meiner Familie. Niemand sonst soll davon erfahren. Morgens, in der Frühe, werde ich sie einweihen und mit ihnen in Ruhe frühstücken, dann gemeinsam den Tag bestreiten, reden.

Leben voller Abenteuer

Ich habe in meinem Leben eine Vielzahl Abenteuer gesucht und erlebt. Bis an die Grenze des Möglichen. So konnte ich mein Leben intensiver leben als ein Großteil der Menschheit zu meiner Zeit. An meinem letzten Tag brauche ich das nicht mehr. Auch nicht die Erinnerung daran. Ich habe nichts versäumt. Ich werde mit meiner Familie einen Waldspaziergang unternehmen, zu einem Felsvorsprung neben meinem Schloss Juval wandern. Dieser Fels, der einem Adlerhorst gleichkommt, ist einer der schönsten Plätze in Südtirol.

Dort bin ich auf 1000 Meter Meereshöhe und schaue auf die teils vergletscherten Berge der Ortlergruppe und der Ötztaler Alpen: steil aufragende Waldhänge, ein paar Bauernhöfe, hoch oben am Berg verstreut. Dahinter, wo eine hundertjährige Himalayazeder steht, wird die letzte Ruhestätte sein. Meine Grabstelle ist in Gestalt eines Tschörten geschichtet, ein kleiner Tempel, wie es sie zu Abertausenden in Tibet gibt.

Die eleganteste Form des Verschwindens

Ich möchte verbrannt werden. Allein schon aus praktischen Gründen. Die Friedhöfe sind überfüllt. Wenn es allein nach mir ginge und gesetzlich erlaubt wäre, würde ich die Himmelsbestattung mit Geiern vorziehen. Diese Zeremonie findet in drei Phasen statt. Zuerst wird der Leichnam an vielen Stellen aufgeschlitzt. Dann stürzen riesige Geier von den Bergen herunter und bedienen sich. Es bleiben nur noch die Knochen zurück, die dann zerschlagen, zerstampft und verfüttert werden. Diese essbare Masse Fleisch, Knochenmark und Knochen wird den Geiern überlassen.

Am Ende bleibt der Schädel übrig, der ihnen in gleicher Weise präpariert zum Fraß gegeben wird. Dann steigen diese riesigen Geschöpfe in den Himmel auf, bis sie nur noch als Pünktchen zu sehen sind. Zuletzt verschwinden sie in die Unendlichkeit und sind weg. Ich finde dieses Himmelsbegräbnis sehr eindrucksvoll, für mich die eleganteste Form des Verschwindens im All.

Ich bin Possibilist

Ich habe keinen Glauben, denn ich weiß, dass ich keine Ahnung habe. Alle Religionen mit ihren Göttern sind von uns Menschen erfunden worden. Wenn die Menschheit verschwindet, werden mit ihr alle Götter verschwinden. Eine göttliche Dimension, die wir weder greifen noch begreifen können, entzieht sich unserer Vorstellung. Damit sage ich nicht, dass es nichts Göttliches gibt. Ich bin Possibilist. Ich lasse die Frage für mich offen.

Nichts katapultiert uns so sehr in diese andere Welt, die das Jenseitige repräsentiert, wie das Unterwegssein in der Wüste. Raum und Zeit lösen sich dort im Unendlichen auf. Für mich hat der Tod keinen tieferen Sinn, er gehört zur Menschennatur. Ich brauche auch keinen Trost im Diesseits für das Jenseits. Am Ende dämmern wir weg, und unser Bewusstsein schwindet. Bis es verschwunden ist.

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