Rechts und links - Besteht der Mond aus Vanillepudding?

Glaubt er den Medien, muss sich Bernd Stegemann für einen gefährlichen Rechten halten. Er selbst sieht sich aber als einen durchaus aufgeklärten Zeitgenossen. Welche Realität stimmt denn nun?

Manchmal ist es auch heute noch sinnvoll, auf seinen Rat zu hören: Sigmund Freud als Wachsfigur / picture alliance
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Autoreninfo

Bernd Stegemann ist Dramaturg und Professor an der Hochschule für Schauspiel (HfS) Ernst Busch. Er ist Autor zahlreicher Bücher. Zuletzt erschienen von ihm das Buch „Die Öffentlichkeit und ihre Feinde“ bei Klett-Cotta und „Identitätspolitik“ bei Matthes & Seitz (2023).

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Unter Medizinern kursiert der Witz, dass es keine gesunden Menschen gibt, sondern nur solche, bei denen der Arzt noch nicht genau genug untersucht hat. Dieser tiefgründige Humor findet offensichtlich immer mehr Nachahmer, auch jenseits des Gesundheitswesens. So wurde mir jüngst attestiert, dass ich bei genauerer Betrachtung AfD-nah sei. Mein Vergehen bestand, so vermute ich, in der öffentlich gestellten Frage, wie der Sozialstaat mit der Forderung nach offenen Grenzen für alle vereinbar sein soll. Die Antwort bekam ich scheibchenweise.

Laut Zeit Online bin ich ein ganz besonders übles Subjekt, das als „Götz Kubitschek der Linken“ sein Unwesen treibt. In der Welt konnte ich mich kurz darauf als Rechtslinks-Deutscher wiederfinden. Außer mir gehörten zu der seltsamen Kategorie noch Frank Schirrmacher, Dirk Kurbujweit vom Spiegel und einige andere. Frank Schirrmacher ist bekanntlich tot und Dirk Kurbjuweit habe ich als einen freundlichen und aufgeklärten Zeitgenossen kennengelernt. Wenn wir drei also eine Gefahr für die innere Sicherheit darstellen, muss niemand übermäßig besorgt sein.

Mit Marc Jongen in einem Boot

Das dachte ich zumindest, bis ich vor wenigen Tagen in der Berliner Zeitung lesen musste, dass ich zusammen mit Marc Jongen in einem Boot sitzen würde. Wohin dieses Boot fährt und wer sonst noch darin reist, wurde leider nicht ausgeführt. Auch gab es vom kritischen Journalisten keine Nachfrage, welcher Notfall diese beiden doch sehr unterschiedlichen Positionen zu einer gemeinsamen Bootspartie gezwungen hätte. So bleibt der Gesamteindruck diffus und doch beunruhigend.

Vor einigen Jahren gab es einen Horrorfilm, in dem bösartige Aliens die Menschen von innen her aufgefressen haben. Nach ihrer inwendigen Besetzung sahen sie zwar noch wie normale Menschen aus, tatsächlich waren sie aber zu Aliens geworden. Die allgemeine Verunsicherung kann man sich leicht ausmalen. An dieses Szenario musste ich denken und begann, mich zu fragen, ob ein rätselhafter Virus von mir Besitz ergriffen hatte, der mich mich selbst als aufgeklärten Zeitgenossen sehen ließ, obschon ich für andere längst ein gefährlicher Rechter war.

Überall Nazis?

Bei diesem Nachdenken fiel mir eine Anekdote über Sigmund Freud ein. Ein junger Mann kommt zu Dr. Freud und behauptet, der Mond bestünde aus Vanillepudding und man müsse sofort dorthin fliegen, um das zu überprüfen. Freud antwortete darauf mit großer Weisheit: Sicherlich könne man das tun, aber in diesem Fall wäre es ratsamer, die Blickrichtung zu ändern, und sich einmal denjenigen genauer anzuschauen, der den Mond für Vanillepudding hält.

Diesem Rat will ich hier folgen und fragen: Was treibt immer mehr meiner Mitmenschen dazu, ihre Umgebung argwöhnisch zu durchleuchten, ob sich hinter der freundlichen Fassade nicht doch ein schlimmer Nazi verbergen könnte? Wozu dient diese Untersuchung, da doch Nazis bisher vor allem dadurch aufgefallen sind, dass sie ziemlich offensiv auftraten und Dezenz nicht gerade zu ihren Stärken zählte.

Nur noch Freund und Feind

Die Antwort findet sich in einer derzeit beliebten Strategie gegen Rechts. Sie besteht darin, dass man Menschen ins rechte Lager schiebt, die nicht dorthin gehören und die von sich aus auch niemals dorthin gehen würden. Was damit erreicht werden soll, ist mir nicht ganz klar. Es scheint sich wohl um den Versuch zu handeln, das rechte Lager dadurch zu schwächen, dass man es mit Nicht-Rechten flutet. Vielleicht bin ich mit meiner Beobachtung allein, aber mir kommt es so vor, als würde diese Methode vor allem die Rechten stärker machen als sie sind.

Aber vielleicht geht es bei diesem Trick auch gar nicht um die Rechten, sondern um diejenigen, die ihn anwenden. Indem man den freundlichen Kurbjuweit oder den seltsamen Stegemann nach rechts schiebt, formuliert man vor allem eine Botschaft an die eigene Moralblase: Seht her, wir liefern euch im Minutentakt neue Rechte, von denen ihr bisher nichts wusstet. Es ist also höchste Wachsamkeit gefordert, denn die Situation ist längst außer Kontrolle. Alle soll Panik befallen, dass wir schon im Ausnahmezustand sind. Und hier gilt bekanntlich nur noch die Unterscheidung in Freund und Feind.

Auf der guten Seite der Moraltrompeter

Die Eigenart des moralischen Ausnahmezustands besteht darin, dass diejenigen, die ihn ausrufen, automatisch auf der Seite der Guten stehen. In Zeiten, in denen der eigene moralische Wert einer permanenten Prüfung unterzogen wird, ist ein solches Verfahren sehr vorteilhaft für alle, die rechtzeitig „Alarm“ rufen. Ob der Mond aus Pudding besteht oder nicht, ist völlig egal. Man selbst hat sich als Moraltrompeter auf jeden Fall in eine gute Position gebracht.

Was hingegen mit einer Gesellschaft passiert, die Panik und Angst zur Triebkraft politischer Entscheidungen macht und im öffentlichen Raum nur noch Freunde und Feinde kennt, werden wir notgedrungen gemeinsam erleben. Sei es beim Klimawandel oder bei totalitären Tendenzen in der Gesellschaft, da sitzen wir alle wieder in einem Boot.

 

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