Reaktion auf umstrittenes Hofreiter-Interview - „Rücksichtslos am Bedarf vorbei“

Der Grünen-Fraktionschef hat mit einem Interview für Aufsehen gesorgt, weil er angeblich ein Verbot von Einfamilienhäusern forderte. Im Interview sagt der Stadtplaner und Architekt Hans Kollhoff, was er von Anton Hofreiters Vorschlägen hält – und warum Gebäude aus der Gründerzeit immer noch am besten sind.

Hans Kollhoff / Foto Max Kratzer
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Hans Kollhoff ist einer der bekanntesten deutschen Architekten. Der 74 Jahre alte gebürtige Thüringer studierte Architektur in Karlsruhe und Wien und ging dann zur Cornell University in den Vereinigten Staaten, wo er Assistent von Oswald Mathias Ungers war. 1984 machte er sich mit einem eigenen Architekturbüro selbstständig. Zu seinen bekanntesten Bauten zählen der Kollhoff-Tower am Potsdamer Platz in Berlin und das Main-Plaza-Wohnhochhaus in Frankfurt am Main.

Herr Kollhoff, haben Sie die vom Fraktionsvorsitzenden der Grünen, Anton Hofreiter, angestoßene Debatte zum angeblichen Einfamilienhaus-Verbot verfolgt?

Soweit mir das möglich war, ja. Ich habe das Interview mit Anton Hofreiter gelesen.

Wie war Ihr Eindruck?

Grundsätzlich hat die Position von Herrn Hofreiter meine ganze Sympathie. Denn es geht ja primär darum, mit den Siedlungsflächen an den Stadträndern nicht noch mehr Landschaft zu verbrauchen.

Konkret hat Anton Hofreiter gesagt: „Einparteienhäuser verbrauchen viel Fläche, viele Baustoffe, viel Energie, sie sorgen für Zersiedlung und damit auch noch für mehr Verkehr.“ Hat er mit dieser Einschätzung Recht?

Im Prinzip ja. Die Aussage, die der Spiegel dann allerdings geradezu erzwingen wollte, dass das freistehende Einfamilienhaus de facto erledigt sei oder gar verboten werden sollte, impliziert das aber nicht.

Sie sind Stadtplaner und Architekt. Hat denn aus Ihrer Sicht das Einparteienhaus seine Berechtigung? Und wenn ja: wo?

Es hat absolut seine Berechtigung. Das Einfamilienhaus ist das bürgerliche Haus. Denken Sie an die wunderbaren Einfamilienhausquartiere, die bis in die 1920er Jahre entstanden sind. Es kommt eben darauf an, wie gebaut wird und an welchen Orten. Die Ausbreitung von Häusern, wie man sie heute landauf, landab erdulden muss, ist etwas anderes.

Für viele Menschen in Deutschland ist es noch immer eine Lebenserfüllung, sich ein eigenes Haus neu auf der grünen Wiese zu bauen. Ist dieser Wunsch noch zeitgemäß oder sehen Sie bessere Alternativen?

Den Traum vom eigenen Haus sollte man niemandem nehmen. Der Wunsch ist zeitlos. Wer will nicht mit seiner Familie ein glückliches Leben führen – wenn nicht in der unberührten Natur, so doch von einem Garten umgeben? Die Frage ist, in welchem Kontext und in welchem gesellschaftlichen Rahmen das erfolgen kann. Wenn das Bauen draußen vor der Stadt nur noch möglich ist, indem man der Zersiedelung Vorschub leistet, weitere Bauflächen ausweist, um hässliche Quartiere zu überhöhten Preisen entstehen zu lassen, dann fängt man an, der Sache kritisch gegenüberzustehen. Aber man könnte auch mit entsprechenden Strategien – und das wäre meine Kritik an der Hofreiter-Position – verhindern, dass die Diskussion in Richtung Verbot geht. Man sollte aufhören, vom Existenzminimum her zu denken wie beim „sozialen“ Wohnungsbau, sondern stattdessen die Alternativen aufzeigen und das Wohnen in der Stadt, im Stadtzentrum, attraktiver machen. Da würde ich den Hebel ansetzen.

Aber wie kann das konkret passieren? Hofreiter selbst empfiehlt ja, Kommunen finanziell zu bezuschussen und damit alte Häuser attraktiv zu machen und bestehende Gebäude auf Vordermann zu bringen. Ist das nicht eine sinnvolle Idee?

Das ist ein sehr guter Vorschlag. Im Übrigen könnte man auch in Richtung Eigentumsförderung denken. Die Eigentumsquote in Deutschland ist ja im Verhältnis zu anderen europäischen Ländern beschämend niedrig. Es gibt reihenweise Förderprogramme für alles Mögliche – warum nicht für Eigentumswohnungen in den Städten, vor allem in den kriegszerstörten und nach dem Leitbild der „durchgrünten und aufgelockerten Stadt“ hergerichteten Quartieren? Sie können sich ja umschauen, hier gibt es überall vernachlässigte Flächen, die man städtischer bebauen könnte – mit Spontanvegetation, die Abstands- und Verlegenheitsgrün durch gepflegte Gärten und Parkanlagen ersetzt und aufwertet, sodass eine urbane Wohnqualität entsteht. Das passiert zum Teil ja schon.

Wo denn?

Hier in Berlin etwa an der Lietzenburger Straße, wo eine Nachkriegsschneise allmählich ein neues Gesicht zeigt. Das Dilemma ist nur, dass es in der Regel Luxuswohnungen sind, die dort entstehen. Das muss aber nicht zwangsläufig  so sein. Es könnte Förderungen für gemischte Wohnprojekte aus Eigentum und Miete oder auch subventioniertem Wohnen geben. Warum kann man mit dem „Penthouse“ nicht die Sozialwohnungen darunter quersubventionieren? In Holland geht man damit viel lockerer und überaus erfolgreich um. Man sollte Menschen mit mittlerem Einkommen ermöglichen, im Stadtzentrum Wohneigentum zu erwerben. Schauen Sie doch, wie in dieser Krise Millionen und Milliarden für nicht ganz so wichtige Dinge ausgegeben werden.

Gleichzeitig leisten wir uns in Berlin riesige Freiflächen wie das Tempelhofer Feld des ehemaligen Flughafengeländes Tempelhof. Ist das nicht ein Widerspruch?

Nein, das ist gar kein Widerspruch. Wenn durch glückliche Umstände eine solche Fläche in der Stadt freigemacht wurde, die eine verschwenderische Großzügigkeit und atemberaubende Weite vermittelt, dann fällt einfachen Geistern schnell ein, was man damit alles machen könnte. Auf dem Tempelhofer Feld sollte man eine anspruchsvolle Randbebauung errichten, die, begleitet von einer Platanenallee, diesen riesigen Park wie in einem Bilderrahmen fasst und seine Besonderheit unterstreicht. Das sollten keine Gartenarchitekten planen, die dann alles wieder aufteilen in Fußballplätze, Hundewiesen, Biotope, Seniorenschach und so weiter. Sondern einfach diese großzügige Fläche belassen, vor sich hin wuchern lassen und zweimal im Jahr mähen. Das Augenmerk muss sich doch vielmehr auf all die öden Flächen, still gelegte Bahntrassen, verwahrloste Friedhöfe, verwaiste Lagerhallen und freiwerdende Shopping-Center richten, wo man befürchten muss, dass mit Subventionen hier nur der Grundstückswert hochgehalten werden soll.

In vielen deutschen Großstädten herrscht Knappheit an Wohnraum. Die Mieten steigen deswegen entsprechend. Berlin reagiert darauf mit einem Mietendeckel. Ist das aus Ihrer Sicht ein sinnvoller Weg? Immerhin entstehen dadurch ja keine neuen Wohnungen. 

Nein, das ist kein sinnvoller Weg. Ich denke, man sollte sich auf die Innenstadt konzentrieren und auf die Verbesserung dessen, was schon da ist. Statt Verboten plädiere ich für Angebote, die attraktiver sind und dafür sorgen, dass die Menschen nicht lieber draußen in ihren billigen Einfamilienhäusern leben wollen mit Carport und bekiestem Vorgarten, in großer Distanz zur Stadt und mangelhafter Infrastruktur.

Anton Hofreiter, um ihn nochmal zu zitieren, sagt in dem Spiegel-Interview, die ideale, nachhaltige grüne Stadt sei „ein Ort mit lebendigem Zentrum und kurzen Wegen, ein Ort, an dem Wohnen, Arbeiten und Einkaufen gemischt ist, mit ausgebautem Bus- und Bahnverkehr, fahrradfreundlich, fußgängerfreundlich, mit weniger Raum fürs Auto und unterschiedlichen Wohnformen und ohne Segregation“. Ist das für Sie eine zutreffende Beschreibung des idealen Lebensraums?

Im Wesentlichen ja. Ich kann das alles unterstreichen. Entscheidend ist, dass man bei der Lebensqualität in der Stadt ansetzt und nicht bei wirtschaftlichen oder politischen Aspekten wie dem – auch von den Grünen favorisierten – Kreislaufdenken der Nachhaltigkeit. Häuser baut man für die Ewigkeit. Woran soll sich Erinnerung festmachen, wenn alle 50 Jahre abgerissen und, natürlich noch minderwertiger, neu gebaut wird?

Das Auto aus der Stadt zu verbannen, das ist ja eine grüne Forderung, die nicht nur Anton Hofreiter vertritt. Sehen Sie das auch so? Hat das Auto in der Innenstadt nichts verloren?

Nein, so sehe ich es nicht. Wir haben in den vergangenen Jahren erlebt, wie der Verkehr in vernünftigere Bahnen gelenkt wurde und das städtische Leben nicht mehr so in Mitleidenschaft zieht wie in früheren Zeiten. Wenn mehr Autos mit Elektroantrieb gefahren werden, können Lärm und Luftverschmutzung weitestgehend vernachlässigt werden. Das wird sich also ändern. Die Frage ist doch: Schafft man es, Angebote zu machen, die die Leute dazu bringen, auf das Auto in der Stadt zu verzichten? Eine bezahlbare Wohnung im Zentrum wäre da von Vorteil.

Zur Zeit ist der Einzelhandel in Deutschland Corona-bedingt schon seit mehr als zwei Monaten geschlossen. Welche Auswirkungen wird der Lockdown Ihrer Ansicht nach langfristig auf die deutschen Innenstädte haben?

Das ist schwer zu sagen. Ich befürchte, dass die Deutschen wieder zum Schnäppchenjägertum zurückkehren. Natürlich hoffe ich, dass man sich endlich überlegt, ob dieser billige Ramsch die Innenstädte vermüllen muss. Sollten wir nicht gegensteuern und diese Flächen reduzieren? Dort, wo eine Fußgängerzone verfällt oder ein Shopping-Center Pleite geht, geht dann auch der Grundstückspreis runter, und wir können wieder Wohnhäuser bauen. Vor allen Dingen würde ich mir wünschen, dass man endlich sieht, welche Qualität die Gründerzeitbebauungen haben und welche großartigen Stadtstrukturen mit diesem Haustypus geschaffen wurden.

Welche denn?

Dass sie eine funktionierende Straße bilden und eine hohe Dichte ermöglichen. Schauen Sie doch, wo die Menschen, die sich das leisten können, leben – in Charlottenburg oder in Wilmersdorf. Dort findet man den Bäcker und Metzger um die Ecke, und man kann in Filzpantoffeln zur Trattoria gehen. Und wenn Sie das ökologisch durchrechnen und die Lebenszeit dieser Häuser in die Waagschale werfen, dann gibt es keinen besseren Haustyp und keine bessere städtische Struktur. Alles, was Hofreiter im Interview aufzählt, ist hier gegeben. Da müssen Sie keine ökologischen und sozialen Wohnformen erfinden. Nehmen Sie die Hamburger Hafencity –  im Vergleich zu diesen städtischen Quartieren ist das absolut schäbig. In 50 Jahren kann das alles geschreddert werden, während  die Gründerzeitquartiere die Ansprüche der Menschen kommender Generationen weiterhin auf hohem Niveau befriedigen werden. Mit einer mineralischen Dämmung unter dem Dach und einer vernünftigen Modernisierung der Heizanlage sind diese Häuser nachhaltiger als alles, was heute so futuristisch daherkommt.

Sehen Sie die Chance, dass durch Corona eine neue Qualität in den Städtebau kommt?

Ich hoffe es! Nehmen Sie die Frage, wie eine Wohnung aussehen muss, damit man in einer Situation wie dieser auch mit den Kindern zu Hause den ganzen Tag leben und nebenbei noch arbeiten kann: Das können Sie wunderbar in den Altbauquartieren, in den sozialen Wohnungsbauten nicht. Das können Sie auch in der Hafencity nicht, weil die Großzügigkeit fehlt, angefangen beim Luftvolumen. Die kommerzialisierten Innenstädte gehen doch rücksichtslos am täglichen Bedarf vorbei. Am Kudamm finden Sie kein Caféhaus mehr. Und die Tauentzienstraße wird jetzt noch in den Kudamm hinein mit riesigen Kaufhausprojekten erweitert, obwohl diese am anderen Ende ausgeschlachtet und dicht gemacht werden. Ich befürchte, dass diese Absurdität unter den Augen der Politik, welcher Couleur auch immer, weiter geht. Aber vielleicht ist damit jetzt auch endlich Schluss.

Das Gespräch führte Alexander Marguier.

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