Rassismus-Streit um „American Dirt“ - Dürfen Weiße über Latinos schreiben?

In den USA werden Anti-Diskriminierungsdiskussionen besonders hart geführt. Dieses Mal geht es um den Roman „American Dirt“. Die Autorin Jeannine Cumming wird derart heftig wegen angeblicher „kulturelle Aneignung“ angefeindet, dass sie ihre Buchtour absagen musste

Mauer zwischen den Kulturen / picture alliance
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Autoreninfo

Eva C. Schweitzer arbeitet als freie Journalistin für verschiedene Zeitungen in New York und Berlin. Ihr neuestes Buch ist „Links blinken, Rechts abbiegen“.

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Ein neuer mexikanisch-amerikanischer Krieg ist ausgebrochen, diesmal auf dem Buchmarkt. Es geht um den Roman „American Dirt“ und dessen Autorin Jeannine Cumming. Der Thriller, herausgegeben von der Holtzbrinck-Tochter Flatiron, handelt von der Mexikanerin Lydia und ihrem achtjährigen Sohn, deren ganze Familie von Drogenkartells ermordet wurde und die nun durch die Wüste nach Amerika fliehen.

Ähnlich verfolgt fühlt sich nun die Autorin: Ihre geplante Buchtour durch die USA wurde nach Drohungen abgesagt. Allerdings sind nicht Kartellbosse verantwortlich; Cumming wird von Autoren und mehr noch Autorinnen mexikanischer Abstammung angefeindet. Sie werfen ihr „Cultural Appropriation“, kulturelle Aneignung vor.

Warnungen vor Gewalt

Denn sie sei keine Latina – oder, Latinx, wie es in den USA politisch korrekt heißt –, sondern weiß. Die Kontroverse hat dazu geführt, dass etwa die Schauspielerin Salma Hayek verschreckt ihre Werbebilder für das Buch auf Instagram gelöscht hat, und dass Amazon die Kritiken auf tatsächliche Buchkäufer beschränkt, um eine gesteuerte Kampagne zu unterbinden. Die Zeitschrift Commentary sprach von Zensur für „selbsternannte Progressive auf Twitter“, und der Schriftstellerverband PEN warnte vor Gewalt, die inakzeptabel sei.

Migration aus Mexiko ist in den USA ein heißes Thema. Und so wurde der Roman von Cumming – die bereits eine Erfolgsautorin war – in einer Bieterschlacht ersteigert, die mit einem Vorschuss vor einer Million Dollar endete. Flatiron sorgte für lobende Vorab-Erwähnungen von Größen wie Stephen King und der Autorin Sandra Cisernos; Oprah Winfrey, die Fernseh-Königin der Buchclubs, empfahl „American Dirt“ als Spitzentitel. Das lohnte sich. Bei Erscheinen Ende 2019 waren bereits 50.000 Stück verkauft, seitdem befindet sich das Buch an der Spitze der New York Times-Bestsellerliste.

Gesichtslose braune Masse

Prompt folgte aber dann der Backlash. Myriam Gurba, eine kalifornische Autorin, deren Großvater nach ihren Angaben Publizist in Mexiko war und eine Social-Justiz-Kriegerin im Rang mindestens eines Jedi-Generals beschimpft Cumming als „gabacha“, ein abwertendes Wort für Ausländerin und nennt das Buch „Trauma-Porno“. Cumming eigne sich geniale Werke von farbigen Autoren an, garniere sie mit (weißer) Mayonnaise, um sie für US-Amerikaner genießbar zu machen und verpacke sie neu, damit sie „farbenblind“ für den Massenverbrauch würden, so Gurba. Die Heldin Lydia wirke, als betrachte sie ihr eigenes Land mit den Augen einer amerikanischen Touristin, die ihre Perlen umklammert, während die Mexikaner als gesichtslose braune Masse dargestellt würden.

Andere stimmten ein. Die mexikanisch-amerikanische Schauspielerin Sara Ramirez („Grey's Anatomy“) nannte das Buch „gefälschte Social-Justiz-Literatur“. Und die New York Times, die „American Dirt“ erst gelobt hatte, verglich es nun mit einer Telenovela und schrieb von einem „Flickwerk von Stereotypen und melodramatischen Ausdrücken.“ Dabei ergreift Cummings Story ja Partei für mexikanische Immigranten, in einer Zeit, wo die Trump-Regierung Kinder aus Lateinamerika in Käfige in der Wüste sperrt.

Eingenommen gegen ausländische Autoren

Nun ist es nicht ungewöhnlich, dass US-amerikanische Autoren über fremde Länder schreiben, von denen sie wenig Ahnung davon haben. Anders aber als Europäer haben sich Migranten aus Mexiko und Mittelamerika in eine Phalanx eingereiht, die sich gegen die Vorherrschaft von alten weißen Männern in Kunst und Wissenschaft wendet. Die Bewegung hat auch schon Kunstausstellungen oder Universitätsseminaren den Garaus bereitet, die nicht hinreichend divers waren. „People of Color“, also Afro-Amerikaner, Asiaten und Latinos pochen darauf, in der Unterhaltungsindustrie repräsentiert zu sein und ihre eigenen Geschichten erzählen zu dürfen.

Das Problem gibt es nicht nur, solange es Mexikaner betrifft: Die US-Verlagslandschaft ist generell gegen ausländische Autoren schwer voreingenommen. Und: Die Verlage tendieren immer mehr dazu, ihre ganzen Ressourcen in ein einziges Buch zu investieren und so den Bestseller produzieren, während die Werke von weniger bekannten Autoren kaum Werbegelder abbekommen. Und dieses einzige Buch hat meistens einen weißen, amerikanischen Autor. Die Mexican-Americans beschweren sich also nicht grundlos.

Unklare Klassifizierungen

Andererseits; dass eine Autorin wegen ihrer Hautfarbe aus dem Markt gemobbt wird, finden manche dann doch besorgniserregend. Der Schriftstellerverband PEN begrüßte zwar die „längst fällige“ Debatte, die aber nicht in persönliche Angriffe oder gar Gewalt abdriften dürfe; schon gar nicht könne es rigide Regeln geben, wer welche Geschichte erzählen dürfe. Gleichviel müsse die Verlagsindustrie mehr tun, ihre Probleme mit Diversity anzugehen.

Aber wie weiß ist die Verlagsbranche in den USA überhaupt? Nach einer neuerlichen Umfrage von der Agentur Lee & Low Books sind 76 Prozent der Mitarbeiter in der Verlagsbranche weiß, sieben Prozent asiatisch, sechs Prozent Latino und fünf Prozent schwarz – die letzten beiden Gruppen wären damit schwer unterrepräsentiert. Allerdings gibt es auch Latinos, die als Weiße identifizieren – immerhin stammt ein Gutteil von ihnen von Spaniern ab, die in den USA, so wie die Italiener, als weiß gelten –, und es ist unklar, in welcher Kategorie weiße Latinos in dieser Umfrage klassifiziert wurden.

Europäische Wurzeln

Auch ob Cumming nach den eher widersprüchlichen US-amerikanischen Maßstäben weiß ist, ist nicht so ganz klar, denn wie so viele in der gebildeten mexikanischen Mittelschicht hat sie europäische Wurzeln. Sie ist in Spanien als Tochter eines irischen Vaters geboren, die Großmutter stammt aus Puerto-Rico. Vor fünf Jahren identifizierte sie noch als weiß, mit der Veröffentlichung ihres neuen Buches hat sie aber ihre braunen Wurzeln entdeckt.

Allerdings: Ihre Kritikerin Sara Ramirez ist ebenfalls halb irisch. Es könnte also gut sein, dass sich eigentlich nur weiße Frauen über Vorschüsse streiten.

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