Rassismus-Debatte in Deutschland - Wer nicht fragt, bleibt dumm

Ist „Woher kommst du“ rassistisch? Diese Frage wird anlässlich Elke Heidenreichs Auftritt in einer ZDF-Talkshow mal wieder kontrovers diskutiert. Doch zu meinen, diese Frage dürfe gar nicht erst gestellt werden, ist falsch. Sie kann nämlich nicht nur Vorurteile abbauen, sondern auch den Horizont erweitern.

Die Autorin Elke Heidenreich bei einer Veranstaltung der Lit.Cologne im Juni / dpa
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Autoreninfo

Thomas Dudek kam 1975 im polnischen Zabrze zur Welt, wuchs jedoch in Duisburg auf. Seit seinem Studium der Geschichts­­wissen­schaft, Politik und Slawistik und einer kurzen Tätigkeit am Deutschen Polen-Institut arbei­tet er als Journalist.

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Wo hört höfliche Neugier auf, wo beginnt der unterschwellige Rassismus? Diese Frage wird mal wieder heftig diskutiert, nachdem Elke Heidenreich am Dienstag Gast in der Talkshow von Markus Lanz war und sich dort zu Sarah-Lee Heinrich äußerte. Der neuen Bundessprecherin der Grünen Jugend, der alte Tweets um die Ohren gehauen werden, die sie vor fünf, sechs Jahren als 15-Jährige in das nichts vergessende Universum des World Wide Web rausschickte. Dumme Tweets, über die man als Außenstehender mit einem gewissen Alter nur sagen kann: Zum Glück gab es in meiner Jugend noch kein Twitter.

Im Zusammenhang mit Heinrichs Hautfarbe sagte Heidenreich einen Satz, der in den sozialen Netzwerken einen wahren Sturm der Entrüstung auslöste. „Wenn einer aussieht wie sie, frage ich natürlich, wo kommst du her oder wo kommen Sie her? Und zwar nicht, um sie zu diskriminieren“, erklärte die Buchautorin, Literaturkritikerin und Erfinderin und Darstellerin der Else Stratmann, einer schnoddrigen Metzgersgattin aus Wanne-Eickel, die in den 70er- und 80er-Jahren ein fester Bestandteil in der deutschen Fernsehlandschaft war. „Und zwar nicht, um sie zu diskriminieren, alle fühlen sich sofort diskriminiert und beleidigt, sondern weil ich sofort sehe, die kommt nicht aus Wanne-Eickel oder Wuppertal, sondern die hat Eltern, die von woanders kommen. Und ich finde das keine diskriminierende Frage, wenn ich einen netten dunkelhäutigen Taxifahrer habe, der perfekt Kölsch spricht und ich sage: Wo kommen Sie eigentlich her“, erläuterte Heidenreich weiter.

Ist Dieter Bohlen ein Rassist?

Seit diesem Auftritt wird mal wieder diskutiert, ob die Frage „Woher kommst du?“ rassistisch ist. Nicht das erste Mal. Bereits 2019 sorgte diese Frage für Empörung, als Dieter Bohlen in der Sendung „Deutschland sucht den Superstar“ ein kleines Mädchen mit thailändischem Migrationshintergrund wie verbohrt fragte, woher sie und ihre Eltern kommen. „Aus Herne“, antwortete das fünfjährige Kind sichtlich irritiert und auch überfordert, ohne den selbsternannten Popgiganten damit zufriedenstellen zu können. Als Reaktion auf diesen Vorfall etablierte sich in den sozialen Netzwerken das Hashtag #vonhier. Diesmal beschränkt man sich auf die Kritik an Elke Heidenreich.

Es ist eine Diskussion, die mich persönlich wegen des Inhalts und der beteiligten Hauptakteure irritiert zurücklässt. Und bevor der Vorwurf kommt, es melde sich ein „alter weißer Mann“ zu Wort, der sich zu einem Thema äußert, von dem er keine Ahnung habe, dem sei klargestellt: Laut dem Bundesstatistikamt habe ich einen Migrationshintergrund. In meinem Ausweis steht als Geburtsort zwar „Hindenburg“, einen deutscheren Stadtnamen kann es eigentlich nicht geben, doch seit 1945 heißt der Ort Zabrze und liegt im heutigen Polen. Ich gehöre zu den rund 1,5 Millionen Spätaussiedlern, die zwischen 1950 und 1989 aus Polen nach Deutschland eingewandert sind. Ich habe meinen Spaß dabei, wenn ich auf die Frage „Pole?“ von meinem Großonkel erzähle, der als ehemaliger Schwarzer Husar und treuer Monarchist mit Wilhelm II. bis zu dessen Tod im niederländischen Exil noch Briefverkehr pflegte. Ich mache kein Geheimnis aus meiner Herkunft, wie ein Blick auf meine Autoreninfo beweist, und man hört es auch raus. Ich kam zwar mit neun Jahren nach Deutschland, doch den leichten slawischen Singsang konnte ich mir nie abgewöhnen. Musste ich auch nicht. In meiner Heimatstadt Duisburg kam ich in ein Umfeld, welches sich daran nicht störte und mir stattdessen klar erklärte, dass ich einer von ihnen sei.

Alltäglicher Rassismus in Deutschland

Mir ist bewusst, dass ich damit enormes Glück hatte. Ein anderer Duisburger Stadtteil, in denen es Wohnanlagen gab, die abfällig als „Klein-Warschau“ bezeichnet wurden, und ich hätte vielleicht schon eine ganz andere Sozialisierung erfahren, als ich sie persönlich hatte. Und wie alltäglich Rassismus ist, erfuhr ich, als ich mit meiner ersten großen Liebe zusammenkam, einer in Duisburg geborenen Spanierin. Die sich an Supermarktkassen wie selbstverständlich mit den Worten „Beiseite Türkin“ vordrängelnden „Bio-Deutschen“ machten mich sprachlos. Erstaunlich war es dann immer, wie kleinlaut sich diese Personen gaben, wenn meine damalige Freundin im fließenden Deutsch antwortete, sie sei Spanierin. Das Wort Spanien scheint bei vielen Deutschen offenbar gastfreundlichere Gefühle zu erwecken. Jedenfalls mehr als Türkei.

Daher kann ich es auch verstehen, wenn Menschen mit Migrationshintergrund zum Teil empfindlich auf die Frage „Woher kommst du?“ reagieren. Diese Frage einem dunkelhäutigen Taxifahrer zu stellen, in dessen Fahrzeug man gerade fünf Minuten sitzt, kann nicht nur unhöflich sein, sondern auch verletzend und nervig. Deutschland war und ist ein Einwanderungsland und daher sollte man sich langsam auch an Menschen gewöhnen, die fließend Deutsch sprechen ohne wie ein typischer Deutscher auszusehen, und sie nicht sofort nach ihrer Herkunft fragen.

Guter Migrant, schlechter Migrant

Gleichzeitig ist es aber auch falsch, diese Frage generell als rassistisch abzutun, so wie es nun seit Tagen einige der üblichen Dauerempörten tun wie der Journalist Malcolm Ohanwe, die Autorin Jasmina Kuhnke, besser bekannt als „Quattro Milf“, oder Hasnain Kazim, die alle ihren eigenen Migrationshintergrund zu ihrer Geschäftsgrundlage gemacht haben. Denn sie vergessen einen wichtigen Punkt: Solche Fragen können nicht nur Vorurteile abbauen, sondern auch den Horizont erweitern angesichts der Migration nach Deutschland in ihrer Vielfältigkeit. Ein Horizont, der bei vielen der woken Berufsmigranten selbst dringend der Erweiterung bedarf. Sie müssten nur selbst mal öfters fragen: Woher kommst du?

Bestes Beispiel dafür ist Malcolm Ohanwe, der unter anderem für den Bayerischen Rundfunk arbeitet. „Die die plärren ‚Oh fragt mich gern wo ich ~wirklich~ herkomme! Bin stolz drauf! ‘ schön für euch! Ich persönlich müsste jedes Mal PowerPoint machen über christliche Palästinenser die schon seit 4 Generationen hier sind & igbos aus Nigeria. Ich kann nicht einfach sagen ‚Polnisch‘“, twitterte dieser am Donnerstagabend. Ein Tweet, der nicht nur zeigt, wie selbstbezogen Ohanwe auf den eigenen Migrationshintergrund ist, sondern auch, wie diskriminierend er selbst gegenüber anderen Migranten agiert. Ganz nach dem Motto „Guter Migrant, schlechter Migrant“. Denn in das Weltbild von Ohanwe passt einfach nicht, dass ein Migrant aus Polen auch eine komplizierte Migrationsgeschichte haben kann und nicht gleich polnisch ist.

Vielschichtige Migration in Deutschland

Gleiches gilt für Hasnain Kazim. Im vergangenen Jahr sorgte dieser für Empörung, als er in den sozialen Netzwerken schrieb, dass in den 1990er-Jahren bei Russlanddeutschen schon ausreichte, als Deutsche anerkannt zu werden, wenn sie im Besitz eines deutschen Schäferhundes waren. Ein diffamierender Tweet, der nicht nur Klischees deutscher Rechtsradikaler der 1990er-Jahre wiedergab, sondern diese Einwanderergruppe diskriminierte. Mal wieder, wie betont werden muss. In Russland, Kasachstan oder anderen ehemaligen Republiken, aus denen Russlanddeutsche kommen, wurde diese Menschen über Jahrzehnte wegen ihrer Herkunft diskriminiert und ausgegrenzt. Jetzt tut man es wieder, indem man sie in Deutschland nur zu Russen macht und ihre Migrationsgeschichte ausblendet.

Bessern kann sich dies nur werden, wenn man sich endlich mit der Realität der vielfältigen Migration nach Deutschland beschäftigt. Nicht jeder Russe, Pole, Türke oder Syrer, der nach Deutschland kommt, ist auch Russe, Pole, Türke oder Syrer. Und herausfinden kann man dies nur, wenn man die Menschen nach ihrer Herkunft auch fragt. Ganz nach dem Motto: Wer nicht fragt, bleibt dumm.

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