Politisch korrektes Schreiben - Versteh mich, wer will!

Die Sprache der Identitätspolitik ist nur schwer zu verstehen und nicht leicht zu ertragen. Eine aktuelle Kolumne aus dem „Missy Magazine“ macht deutlich, dass es den Sprechern nicht um Kommunikation, sondern um Abgrenzung geht.

Eine Frau trägt einen gelben Regenmantel mit Gender- und Protestsymbol am Internationalen Frauentag vor dem Rathaus in Hamburg / dpa
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Autoreninfo

Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Ludwig Wittgenstein hatte Recht: Im berühmten fünften Satz seines „Tractatus logico-philosophicus“ behauptete der österreichische Philosoph und unangefochtene Logikweltmeister aller Klassen, dass die Grenzen seiner Sprache zugleich die Grenzen seiner Welt bedeuteten. Eigentlich eine bodenlose Gemeinheit, denn was kein Begriff hat, das ist dementsprechend auch nicht in der Welt. Und so hat Debora Antmann, Kolumnistin und Bloggerin für das feministische Fachjournal „Missy Magazine“, mit Wittgensteins These auch ein echtes Problem. Denn Antmann hat für sich selbst keine hinreichende Sprache – oder zumindest reichen ihre Worte nicht aus, um sich selbst angemessen zu beschreiben.

Das mag den eingeweihten Leser vielleicht verwundern, denn laut Selbstauskunft, die Antmann in steter Regelmäßigkeit neben ihre monatlich erscheinende Kolumne stellt, hat die engagierte Queer Feministin eine Menge Fachtermini zur Hand, Begriffe, mit denen die 31-jährige ihr verzwicktes irdisches Dasein in Sprache zu kleiden versucht. Folgt man dieser Selbstauskunft, dann ist Antmann weiß, lesbisch, jüdisch, analytisch queer feministisch. Das engt den Vorstellungsraum schon etwas ein. Hinzu kommt, dass sie als Bloggerin über „jüdische Identität, intersektionalen Feminismus, Heteronormativität/Heterosexismus und Körpernormen“ schreibt. So weit also, so normal und eindeutig.

Ein Leben zwischen den Stühlen

Und doch: Antmann befindet sich zumindest von ihrem Identitätsempfinden „zwischen den Stühlen“. Eine regelrechte Zerreißprobe muss die Autorin und bekennende Körperkünstlerin in einer solch schier unhaltbaren Position ertragen. Dieser Eindruck zumindest drängt sich auf, liest man ihre aktuelle und sehr persönliche Kolumne für den Monat August. Antmanns Problem, das sie hierin beschreibt: Sie sei von der Hautfarbe zwar weiß, aber nicht so weiß wie „wc-Deutsche“. Eine komplizierte Situation. Und die wird noch einmal besonders vertrackt, wenn man, wie die Autorin, dazu neigt, eigentlich alles ganz genau bezeichnen und sprachlich abriegeln zu wollen. 

Zeit also, verbal nachzubessern. Das Problem ist nun aber, dass Debora Antmann mit ihrer differenzierteren Betrachtung ihres „Weiß-Seins“ niemanden diskriminieren will, schon gar nicht ihre „Geschwister of Color“. Will heißen, sie kann ja auch nicht einfach schwarz oder farbig sein, weil sie ja nicht wirklich schwarz oder farbig ist. Und so hat die, die zwar weiß ist, aber eben „nicht so weiß, wie Klaus und Mareike“, vorerst keine Lösung für ihre diffizile Lage zur Hand. Fazit: Sie sei in der jetzigen Begriffswelt nicht vorgesehen. „Mit der Dichotomie von 'BIPoC' und 'weiß' bleiben weiße Jüd*innen weiterhin raumlos.“ 

Ohne Glossar nicht zu verstehen

Zwischenfrage: Habe Sie das verstanden? Oder überkommt Sie bei derlei Sätzen auch manchmal das Gefühl, es müsse sich um eine wiedergefundene Manuskriptseite aus James Joyces „Dubliners" oder um sonst  eine besonders avantgardistische Form der Literatur handeln? Liest man Altmanns Text noch etwas weiter, so will man in Anbetracht der queer-feminstischen Neologismen am Ende nur noch ehrfurchtsvoll schweigen: „Willst Du eine Veranstaltung für queere Jüd:innen machen, ist das wahrscheinlich noch möglich“, so Altmann über ihre Erfahrungen mit sich selbst und ihrer schwierigen Identitätsfindung. Und dann ein Satz, der wohl nur noch mit Glossar zu dechiffrieren ist: „Soll die flint* sein, schon schwieriger. Soll es sich um einen Empowerment-Raum für dicke oder behinderte queere Jüd:innen handeln …“

Zum Glück gibt es Abhilfe. Denn will man derlei Texte nicht achtlos als Gipfel Konkreter Poesie verschmähen, so liefert einem die Internetseite des „Missy Magazine" den notwendigen Appendix. Von „genderfluid“ über „cisgender“ bis zu „Male Assigned“ wird hier dem langmütigen Leser alles erklärt, was seit dem Turmbau zu Babel an Unverständlichkeit in der Welt ist. „Wc-Deutsche“ etwa sind demnach „weiße christlich sozialisierte Deutsche“ und „flint*“ steht für „Frauen, Leben, Inter Menschen, Nichtbinäre Menschen und Trans Menschen“. Will man das dann auch noch einmal semantisch näher aufgedröselt haben, sollte man sich genügend Zeit für die Recherche nehmen.

„Denken ohne Geländer“ hätte Hannah Arendt vielleicht diese doch sehr besondere Form des Querfeldeinschreibens genannt. Und doch, besonders verspielt, lyrisch oder gar erkenntniserhaschend ist diese nicht. Eher schläft da ein Zwang in allen Dingen und eine spürbare Angst davor, sich selbst auch einmal wortlos ertragen zu müssen.

Schöne neue Kunstworte

Am Kern von Kommunikation jedenfalls, soviel ist nach der Lektüre von Antmanns Kolumne offensichtlich, gehen die schönen neuen Kunstworte der Identitätspolitik achtlos vorbei. Was waren das noch für gesprächige Zeiten, als die Kommunikationsforscher geglaubt hatten, dass Wörter und Sätze wie Container funktionieren könnten. Ein Sender packe demnach eine Botschaft in einen Behälter, ein Empfänger packe diese am anderen Ende wieder aus – und das ganz egal wer, und ganz egal wo. 

Bei Debora Antmann geht das längst nicht mehr so verbindlich zu. Ihre Sprache ist halsbrecherisch, hermetisch und leicht elitär. Vielleicht will diese Form des Queer Feminismus aber auch gar nicht wirklich verstanden werden. Vielleicht reicht es ihr schon, wenn sie sich nach unten abgrenzen und sprachlich besonders machen kann – ganz wie einst etwa Meisterdetektiv Kalle Blomquist mit seiner geheimnisumwitterten Räubersprache. Der hat übrigens einfach jeden Konsonanten verdoppelt und dazwischen stets ein „c“ geschoben. Das ginge natürlich auch, wenn man die Grenzen seiner Welt wirklich erweitern möchte. 

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