Primatenforscher Frans de Waal - Da laust sich der Affe

Der Primatenforscher Frans de Waal kennt sich mit Schimpansen fast besser aus als mit Menschen. Unterschiede zwischen Tier und Mensch beginnen für ihn zu verschwimmen.

Nicht nur Menschen haben Emotionen, sagt Frans de Waal / Ed Alcock/M.Y.O.P./Laif
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Autoreninfo

Björn Eenboom ist Filmkritiker, Journalist und Autor und lebt im Rhein-Main-Gebiet.

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Der Jetlag ist Frans de Waal anzumerken. Er wirkt müde, verlangsamt, seine Gesten sind spärlich. Am Vortag ist der renommierte Primatologe aus Paris in seine amerikanische Wahlheimat nach Atlanta, Georgia, zurückgekehrt, wo der aus den Niederlanden stammende Professor für Psychobiologie an der Emory University seit 41 Jahren lebt. 

In der französischen Hauptstadt sprach de Waal über das Thema seines neuen Buches „Der Unterschied: Was wir von Primaten über Gender und Sex lernen können“. Darin gibt der Verhaltensforscher faszinierende Einblicke in das Wesen von Schimpansen und Bonobos, unseren nächsten Verwandten, und hält uns gleichsam den evolutionären Spiegel vor. „Wir Menschen sind weiterhin Tiere und verhalten uns auf der sozial-emotionalen Ebene nicht viel anders als andere Primaten“, sagt de Waal, der seit fast 50 Jahren das Verhalten von Menschenaffen erforscht. 

Primatenforschung und Gender-Debatte

Weltruhm erlangte er mit seinen bahnbrechenden Entdeckungen über die Gefühlswelt von Primaten, die mit dem negativen Bild des aggressiven „Killeraffen“ aufräumen. Darüber hinaus kam er zu dem Schluss, dass moralisches Handeln nicht allein auf Menschen beschränkt ist, sondern Primaten ebenso auszeichnet. Menschliche Fähigkeiten zur Empathie, zu sozialem und moralischem Verhalten, sind Teil unseres evolutionären Erbes. 

Neurowissenschaftler konnten mit bildgebenden Verfahren zeigen, dass diese Anlagen in Arealen des Gehirns entstanden sind, die entwicklungsgeschichtlich zum Teil sehr alt sind. Sie haben sich offenbar lange vor den in der linken Gehirnhälfte situierten sprachlich-­kognitiven Fähigkeiten gebildet. De Waals Weltbild des empathischen Affen ist so revolutionär, dass ihn das Time Magazine in die Liste der 100 einflussreichsten Persönlichkeiten aufnahm. 

„Ich bin kein großer Fan der Behauptung, Emotionen seien größtenteils uns Menschen vorbehalten“, sagt de Waal und bezieht sich dabei vor allem auf unseren Alltag. Etwa unser Verhalten gegenüber Freunden und Fremden, wie wir unsere Gefühle ausleben oder unsere Kinder aufziehen. Neurowissenschaftliche Daten legen sogar nahe, dass emotionale Bindungen, wie sie bei der Mutterschaft durch ein erhöhtes Niveau des Hormons Oxytocin verstärkt werden, ähnliche Effekte wie bei der Präriewühlmaus auslösen. Hat eines dieser monogam lebenden Nagetiere eine Stresssituation, spendet ihm ein Gefährte Trost durch Fellpflege.

Brisant wird es, wenn de Waal zu der hochemotional geführten Genderdebatte kommt, wie sie einst durch die amerikanische Philosophin Judith Butler neuen Auftrieb erfuhr. Butler vertritt die Annahme, dass Gender, das soziale Geschlecht, ein reines Gedankengebilde sei und das biologische Geschlecht eine untergeordnete Rolle spiele. Demnach werden Männer in der Erziehung auf ihr Konkurrenzverhalten getrimmt, und Frauen werden sich so erst ihrer fürsorglichen Fähigkeiten bewusst. Die Verhaltensunterschiede der Geschlechter sind ein Produkt der Sozialisation, so die These.

Affen sind ehrlicher

„Das ist eine Extremposition, die zudem einer recht männlichen Argumentation folgt, da Butler den Verstand von der Natur abspaltet“, sagt de Waal. Frauen galten lange aufgrund ihrer Hormone als emotionaler, nur der männliche Verstand sei frei von den Einflüssen der Natur. Behauptungen, für die es keine Belege gibt. „Ich halte das Konzept von Gender dennoch für hilfreich. In jeder Kultur gibt es tradierte Normen und Verhaltensweisen, die wie Schablonen auf die biologischen Geschlechter angewandt werden. Doch zu behaupten, unser Geschlecht sei einzig ein Konstrukt unserer Kultur, halte ich für abwegig. Wir bleiben biologische Wesen.“ 

De Waal geht sogar so weit anzunehmen, dass wir nicht die Einzigen sind, auf die ein geschlechtsspezifisches Verhalten zutrifft. In der Feldstation des Living Links Center am Yerkes-Primatenzentrum in Atlanta, das er seit 1997 leitet, machte er folgende Beobachtungen: Während junge Schimpansenmännchen ausgelassen herumtoben, agieren junge Schimpansinnen zurückhaltender und sind im Spiel erfinderischer. Von seinem Büro aus konnte de Waal einst beobachten, wie zwei vorpubertäre Mädchen versuchten, in sein Büro zu gelangen. Zuerst wurde ein großes Plastikfass unter sein Fenster bugsiert. Dann erklommen sie es, und die eine stieg der anderen auf die Schultern. Es war eine Kooperation, die sich deutlich von den Scheinkämpfen der Jungs unterschied.

Auf die Frage, wem er mehr vertraue, Affen oder Menschen, wird der Verhaltensforscher nachdenklich. „Bei Primaten weiß ich eher, was ich zu erwarten habe. Menschen sind die besseren Schauspieler.“

 

Dieser Text stammt aus der November-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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