Postscriptum - Schockbilder

Trotz Schockbildern von Lungenkrebspatienten bleibt die Anzahl der Raucher in Deutschland stabil. Vielleicht müssten die Bilder auf den Tabakwaren noch schrecklicher werden

Erschienen in Ausgabe
Illustration: Anja Stiehler/ Jutta Fricke Illustrators
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Zu einer meiner zahlreichen schlechten Angewohnheiten gehört das gelegentliche Rauchen selbst gedrehter Zigaretten. Auf das Selbstdrehen lege ich Wert, weil es den Eindruck einer gewissen Individualität vermittelt. Was es natürlich nicht tut, aber als Raucher ist man ja um jeden Distinktionsgewinn dankbar, und sei er auch nur eingebildet. Denn ansonsten zählen Tabakkonsumenten längst zu einer verachtenswerten Spezies, sie sind so eine Art AfD-Wähler unter den Genussmittelkonsumenten. Wein, Whisky, Wacholderschnaps – solche Dinge sind nicht nur sozial akzeptiert, sie werden sogar als Kulturgüter verherrlicht. Aber ein Hochglanzmagazin, das sich dem Selberdrehen von Zigaretten widmet? Undenkbar.

Bibliothek des Horrors

Als im Oktober 2014 mittels einer EU-Richtlinie sogenannte Schockbilder auf den Zigarettenpackungen angeordnet wurden, hatte ich zunächst gedacht, Tabaktüten für Selbstdreher würden davon ausgenommen bleiben. Als kleine Anerkennung für die Individualität oder weil ich ja sowieso nur die Sorten ohne gefährliche Zusatzstoffe kaufe. Eine Illusion, selbstverständlich. Seit gut einem Jahr also habe ich die Wahl zwischen den unterschiedlichsten „bildlichen Warnhinweisen“, wie es in der Richtlinie heißt; sie stammen aus einer offiziellen „Bibliothek“ des Horrors, die die EU-Kommission freundlicherweise für ihre gelungene Schocktherapie gleich mitgeliefert hat.

Mein Favorit ist übrigens das Baby mit dem Zigarettenschnuller im Mund („Kinder von Rauchern werden oft selbst zu Rauchern“). Im Vergleich zum schwarz gefärbten Fußzeh („Rauchen verstopft Ihre Arterien“) oder der Lungen-OP („Rauchen verursacht 9 von 10 Lungenkarzinomen“) ist das quarzende Kleinkind noch verhältnismäßig niedlich.

Aber selbst die gruseligsten Bilder scheinen ihre Wirkung zu verfehlen: Die Tabakumsätze sind in Deutschland trotz der Schockbilder stabil, in Österreich sind sie sogar gestiegen. Vielleicht sollte die EU umdenken und statt Raucherbeinen künftig die Gesichter unliebsamer Persönlichkeiten in ihre Schreckensgalerie aufnehmen. Denn wer würde schon noch freiwillig rauchen, wenn einem von der Packung jemand wie Donald Trump entgegengrinst?

 

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