Politik im Wandel - Die Stunde der Populisten

Die Politik hat sich verändert: Populismus ist salonfähig geworden, nicht zuletzt seit Donald Trump US-Präsident ist. Florian Hartleb schreibt in seinem neuen Buch, was wir dagegen tun können. Dem Nationalstaat kommt dabei eine besondere Rolle zu

Gesellschaftliche Veränderungen durch Migration und Digitalisierung werden Populisten weiterhin Nährboden geben / picture alliance
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Autoreninfo

Dr. Florian Hartleb ist Politikwissenschaftler. Er lebt seit fünf Jahren in Tallinn, Estland, und ist als Politikberater und -experte zu den Themen Flüchtlinge und Digitalisierung tätig. Im Oktober 2018 erschien sein Buch „Einsame Wölfe. Der neue Terrorismus rechter Einzeltäter“ bei Hoffmann und Campe. Im Februar 2020 wurde das Buch aktualisiert und in englischer Fassung vom Springer-Verlag veröffentlicht. 

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Was ist mit unseren westlichen Demokratien los? Geben Demagogen bald den Takt vor? Ist US-Präsident Donald Trump ein Vorbote für Europa? 

Und wie wurden aus Mutbürgern, die freiheitsliebend den Fall des Kommunismus bejubelten, die das Ende der Ideologien herbeisehnten und sich in den Dienst der Zivilgesellschaft stellten, egogesteuerte Wutbürger, die sich von der Demokratie abwenden und in fataler Konsequenz skrupellosen Narzissten auf dem Leim gehen? 2016, das Jahr des Populismus, Menetekel eines Zeitalters der Angst und Unsicherheit und einer allgemeinen, virtuell befeuerten Empörungswelle, hat viele Fragen aufgeworfen – vieles scheint möglich.

Permanenter Krisenmodus

Der Beziehungsstatus lautet „Es ist kompliziert“: Die Wahl Donald Trumps hat das Weltgefüge beziehungsweise die bisherige transatlantische Achse als Fixpunkt der Nachkriegsordnung verändert. Die USA werden sich stärker auf sich selbst beziehen. Für die anstehenden Wahlen in Europa verheißt das nichts Gutes. Nun häufen sich Schreckensnachrichten zur politischen Großwetterlage. Es wird einige Zeit brauchen, die aktuellen Entwicklungen aufzuarbeiten und daraus die notwendigen Schlüsse zu ziehen. Griechenland-Krise, wirtschaftliche Probleme in Ländern wie Spanien und Italien, die russische Aggression auf der Krim und in der Ukraine, die Flüchtlingsherausforderung, der bevorstehende Brexit, islamistischer Terrorismus, die „Säuberungswelle“ in der Türkei, der Glaubenskrieg im Nahen Osten mit einem zerstörten Syrien – all das hat dazu geführt, dass sich die etablierte Politik Europas in einem permanenten Krisenmodus befindet.

In der Flüchtlingskrise sind tiefe Gräben entstanden. Das Europa der offenen Grenzen weicht dem der Abschottung – mehr Viktor Orban und weniger Angela Merkel, die zeitweise für eine naiv wie gefährlich anmutende „Willkommenskultur“ stand. Keine Politikeransprache aus Europa, den USA, Russland oder der Türkei kommt derzeit ohne den Hinweis aus, dass wir in schwierigen und unsicheren Zeiten leben. Die Grenzen zwischen demokratischen und demagogischen Beschwörungen scheinen dabei zunehmend zu verschwimmen.

Politische Zäsur durch „Trump“?

Der vergangene US-Präsidentschaftswahlkampf gibt wenig Anlass zur Hoffnung. Donald Trump übertraf jede Vorstellung davon, was an Demagogie und Tabubruch in einer alteingesessenen Demokratie möglich ist. Der Neologismus der Trumpetisierung eignet sich auch deshalb, da er eher unfreiwillig eine Nähe zum Musikinstrument der Trompete suggeriert. Im Alten Testament wurde die Stadt Jericho unter dem Klang der Trompeten zerstört. Durch den Lärm stürzten die dicken Stadtmauern am siebten Tag ein, so dass die Stadt schnell erobert und geplündert werden konnte.

Aus europäischer Warte haben sich die Hoffnungen, das europäische Demokratiemodell von 1989/90 als Erfolgsschlager zu exportieren, nicht erfüllt. Die Maidan-Revolution in der Ukraine oder der Arabische Frühling gaben kurzzeitig Anlass zum Optimismus. Dann aber hat sich eine neue Unübersichtlichkeit hat eingestellt, sowohl im Bezug auf die transatlantischen Beziehungen, als auch die fehlende Solidarität innerhalb Europas. Osteuropa ist nun erstmals mit der Immigration von Menschen anderer, islamisch geprägter Kulturkreise konfrontiert, will dabei aber nicht die Fehler Westeuropas wiederholen. Die Ablehnung gegenüber Einwanderung ist dort auch deshalb so groß, weil die eigene Geschichte die Problematik von Integration zeigt, beispielsweise im Hinblick auf Roma in Ostmitteleuropa.

Populismus ist Allgemeingut geworden

Schon jetzt ist populistische Politik zum Allgemeingut, vielleicht sogar zum dominanten Stil geworden. In der Auseinandersetzung mit Populismus gibt es keinen Königsweg, weder in der Euro- noch in der Flüchtlingspolitik. Die fundamentalen gesellschaftlichen Veränderungsprozesse, die sich durch Migration und Digitalisierung ergeben, werden Populisten weiterhin Nährboden geben. Es bleibt nur noch wenig Zeit für die Etablierten, hier Deeskalation zu betreiben.

In einer sich aus Partikularinteressen zusammensetzenden Gesellschaft ist es jedoch schwierig, einen gesamtgesellschaftlichen Ruck zu erzeugen. Es stellt sich die Frage, wofür der Westen eigentlich steht. Freiheit, Toleranz, Wohlstand und Weltoffenheit müssen verteidigt werden – ebenso geht es aber auch um Wachsamkeit und Wehrhaftigkeit gegenüber einer extremistischen, gar terroristischen Bedrohung. Autoritäre Entwicklungen müssen beim Namen genannt werden. Wladimir Putin ist ebenso wenig ein „lupenreiner Demokrat“, wie Recep Tayyip Erdogan unschuldiges Opfer eines Putsches und zu totalitär anmutenden Säuberungsaktionen berechtigt ist.

Salonfähiges Pöbeln

Das „Wegadministrieren“ von Problemen unter Verweis auf Sachzwänge wird hier ebenso wenig ausreichen wie ein hilflos-lethargisches „Weglächeln“. Vieles steht auf dem Spiel – von den Grundkoordinaten gesellschaftlichen Zusammenhalts bis hin zu den Funktionsmechanismen der aus dem Tritt geratenen westlichen Demokratien. Der Vormarsch der Populisten macht unsere Demokratien intoleranter, soziale und multikulturelle Inklusion um jeden Preis scheint aus der Mode zu geraten. Wird es salonfähig, ein ganzes Volk als „Vergewaltiger und Kriminelle“ zu beschimpfen, wie es Donald Trump mit Blick auf die Mexikaner in seiner Wahlkampagne vormachte? Werden Wahlen auch bei uns durch Hackerangriffe manipuliert?

Europäische Politik trumpetisiert sich, zumindest dem Stil nach. Es zeichnet sich wie in den USA die Tendenz ab, dass die Mehrheit der Bürger sich mittlerweile über die sozialen Medien informiert. Der starke Mann zieht, ebenso die Rhetorik der Verachtung und Verkürzung. Für den Westen bedeutet das einen Abschied von alten Gewissenheiten. Ohne vertrauensbildende Maßnahmen in die Beharrungskräfte seiner repräsentativen Institutionen sowie bessere Antworten auf die gegenwärtigen Modernisierungsschübe wird der europäische Ruck nicht gelingen. Es gibt schließlich keine Ewigkeitsgarantie, zumal der Populismus eine ganz neue Qualität erreicht hat, die vor wenigen Jahren keiner vorhersah. Vor einem zivilisatorischen Rückschritt sind wir keineswegs gefeit.

Nationale Identität trotzdem wichtig

Antipopulismus sollte dabei nicht heißen, die Bedeutung von Identität zu unterminieren und dabei dem Kosmopolitismus bedingungslos zu folgen. In der Flüchtlingskrise entstand der fatale Versuch seitens der politischen Meinungsführer in Deutschland, bedingungslose Grenzöffnung grundsätzlich als modern und moralisch richtig, kontrollierte Einwanderung hingegen als nationalistisch und rückwärtsgewandt hinzustellen. Wir wissen auch: Eine Gesellschaft braucht Heimat, Folklore, Brauchtum und eine gemeinsame Feierkultur, um im globalen Zeitalter sinnstiftend zu bleiben und von der Modernisierung nicht überfordert zu werden.

Bei allem Abgesang über das Ende des Nationalstaats darf dieser nicht nur als Zweigstelle des Kosmopolitismus und Relikt von Hinterwäldlertum und Provinzialität wahrgenommen werden. In diese Lücke könnten dann Rechtspopulisten leicht stoßen, nicht nur bei den Modernisierungsverlierern oder Abgehängten. Mit intellektuellen Mitteln ist jemanden wie Donald Trump jedenfalls kaum beizukommen. Wer so agiert, läuft direkt in die Falle: Populismus überschreitet Normen, greift zu absichtlichen „Ausrutschern“, die immer wiederholt werden. Es wirkt: Ein dumpfer Antiintellektualismus ist auf den Vormarsch – trotz aller Worte von der aufgeklärten Gesellschaft, vom Informationszeitalter, von der Weltgesellschaft im liberal-demokratischen Zeitalter. Immerhin galten die USA in jedem politischen Lehrbuch der westlichen Hemisphäre einmal als Referenzpunkt von Demokratie.

 

Dieser Text ist ein Vorabauszug aus Florian Hartlebs Buch „Die Stunde der Populisten – Wie sich unsere Politik trumpetisiert und was wir dagegen tun können“, das am 13. März 2017 im Wochenschauverlag erscheint. 260 Seiten, 16,90 Euro.

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