Ostern - Die Zeiten sind zu ernst für Apokalyptiker

Das höchste Fest der Christenheit steht bevor. Seine Botschaft ist ein Stoppschild für alle Untergangspropheten, die nur ihren Pessimismus bewirtschaften. Gerade in diesem Jahr haben wir Grund, uns auf Ostern richtig zu freuen.

Bunter Schmuck in grauen Zeiten / picture alliance
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Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Und jetzt auch noch Ostern! Dieser Seufzer dürfte an manchem verwaisten Familientisch erklingen. Alles falle doch aus oder müsse radikal reduziert werden, was untrennbar zu Ostern gehöre: das Festgelage, die Verwandtenbesuche, die Osterfeuer, die Ostereiersuche, der Osterspaziergang, die Osternacht in den Kirchen. Schuld sei das böse Virus mit dem unnennbaren Namen.

Ein Regiment der Angst habe es errichtet, Schneisen geschnitten in Freundschaften, Gräben geschlagen zwischen Nachbarn. Nichts werde je wieder sein, wie es einmal war. Heulen und Zähneklappern allerorten, eine Rezession vor Augen, Sterbensangst im Nacken. Ostern sagt zu all diesen Beklemmungen und Befürchtungen ein einziges Wort: Nein.

Alles auf Anfang

Die Botschaft von Ostern lautet: Alles auf Anfang. Das ist exakt jene Nachricht, die unbedingt guttut in diesem Jahr 2020. Wir haben alle allen Grund, uns auf dieses Ostern zu freuen. Apokalyptiker sollten in diesen Tagen tun, was sie meistens tun sollten: schweigen.

Das ist ihr vornehmstes Recht, ihr größter Dienst an der Gemeinschaft, in deren Namen sie zu sprechen vorgeben. Wenigstens an Ostern mögen sie uns verschonen mit moralinsaurem Untergangsgeraune, dem fast immer eine Dosis Schadenfreude beigemischt ist. Schadenfreude ist das Destruktivste überhaupt in bedrängter Gegenwart. Schadenfreude verlängert jede Krise zur Katastrophe.

Schadenfreunde unter den Wachstumskritikern

Was, wenn nicht Schadenfreude treibt etwa einen deutschen „Wachstumskritiker“ an, der aus einer viralen und ökonomischen Krise die abgeschmackte Lehre ableitet, „wer nicht hören will, muss fühlen“? Der die Not von Menschen instrumentalisiert für billige Globalisierungskritik und der Krise nachrühmt, sie sei zum „Lehrmeister jenes Wandels“ geworden, „vor dem wir uns die ganze Zeit gedrückt haben“?

Das Virus wäre dann eine Strafe der Weltgeschichte fürs verstockte Menschengeschlecht. Sprach man so nicht eher in der Frühen Neuzeit als in der späten Moderne? Warum verliert sich ein kluger Schriftsteller wie Eugen Ruge im selben argumentativen Unterholz? Wie vernarrt muss man sein in die Untergänge der anderen, um eine Pandemie als antikapitalistischen Weckruf zu deuten?

Ruge, Buck und der Kapitalimus

Für Ruge zeigt sich nun, was sich wahrscheinlich immer zeige, die Verderbtheit von „Freihandelsverträgen und Austeritätspolitik, Auslagerung und Outsourcing, Privatisierung der Daseinsfürsorge und was alles sonst zum neuen, schicken, weltoffenen Kapitalismus gehört.“

Das Virus führe vor Augen, wie schädlich jenes „exponentielle Wachstum“ doch sei, das auch „dem Kapitalismus gewissermaßen eingenäht ist.“ Solche brachialen Überlegungen sind nur ein klein wenig klüger als das zynische Wünschelrutengängertum des Detlev Buck.

Ein Anfang in Kontinuität?

Der Filmregisseur weiß: „Die Erde will ihre Ruhe haben. Das entnehme ich dieser Krise ganz deutlich. Es gibt ja auch Positives. In China ist die Luft so gut wie seit Jahrzehnten nicht mehr.“ Ostern ist anders – und ein Mann von Bucks Profession könnte es erahnen. Alles auf Anfang: Das meint nicht nur das Zeichen zum erneuten Drehbeginn.

Es meint auch die Hoffnung, Neues, ganz Neues könne kreativ entstehen, jederzeit, ohne dass sich alles änderte; ohne, dass man in den Wald der Missverständnisse geriete; ohne, dass es einer Katastrophe bedarf. Man setzt die Szene zurück auf Null, man setzt einen Anfang in Kontinuität, einen Neubeginn an vertrauter Stätte. An Ostern geschah eben das.

Das stärkste Stoppschild für die apokalyptische Versuchung

Die Schöpfung hörte nicht auf, kein neuer Planet entstand, aber alle Schuld wurde durchgestrichen. Die Menschheit blickte im einmaligen Schicksal eines einzigen Menschen, in dessen irdischer Auferstehung vom Tod, zurück ins Paradies, in dem kein Tod ist und kein Leid und keine Angst regiert.

Ob wir die Geschichte Christi glauben oder nicht: Ostern ist das stärkste Stoppschild für die apokalyptische Versuchung. Darum können Untergangspropheten mit Ostern nichts anfangen. Ostern weist alle in die Schranken, deren Geschäft die Angst ist. Der italienische Philosoph Giorgio Agamben hat soeben nochmals darauf hingewiesen, dass die Menschen heute „an nichts mehr glauben – außer an das nackte biologische Leben, das es um jeden Preis zu retten gilt. Aber auf der Angst, das Leben zu verlieren, lässt sich allein eine Tyrannei errichten.“

Fest der Freiheit

Geschäfte mit der Angst werden immer auf fremde Rechnung abgeschlossen. Die besten Gegenmittel sind das eigene, freie Denken und jene Entschlossenheit in der Hoffnung, die mit blindem Optimismus rein gar nichts zu tun hat. Ostern sagt gerade nicht, dass alles gut wird. Oder dass jede Angst unberechtigt sei. Ostern sagt auch nicht, dass die Erde zum Himmelreich wird.

Ostern markiert eine Möglichkeit, eine Verheißung, verbürgt durch die Ereignisse der ersten Osternacht der Menschheit vor 2000 Jahren. Man darf das glauben, man muss es nicht. Man sollte aber die Augen nicht verschließen vor den Weiterungen dieser Geschichte, die alles auf Anfang setzte: Der Mensch ist nicht gefangen im Gespinst seiner Befürchtungen.

Er muss nicht tun, was alle tun, nicht tun, was man immer schon tat. Er steht da auf zu seiner wahren Größe, wo er sich von keiner Krise, keinem Tod bestimmen lässt. Ostern ist ein Fest der Freiheit und darum ein Grund zur Freude, heute erst recht, in diesem Annus horribilis 2020. Frohe Ostern!

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