Widerspruchsregelung in der Organspende - Auf Herz und Nieren

Der Vorschlag zur Neuregelung der Organspende von Gesundheitsminister Jens Spahn wird heiß diskutiert: Sollen künftig alle Bürger nach dem Tod ihre Organe spenden müssen und dem nur mit einer Verneinung entgehen oder nicht? Ein Pro und Contra

Sollte es bei der freiwilligen Organspende bleiben? / picture alliance
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Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Chiara Thies ist freie Journalistin und Vorsitzende bei next media makers.

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Pro von Chiara Thies

Man spendet nicht Organe, sondern schenkt jemandem das Leben. Das ist meine persönliche Meinung, die ich nur vor mir selbst rechtfertigen muss und mit der ich sterben werde. Die Organspende ist ein persönliches Thema, jeder muss sich damit individuell auseinandersetzen. Das geschieht in Deutschland auch: Laut der Deutschen Stiftung für Organtransplantation (DSO) stehen 84 Prozent einer Organspende positiv gegenüber. Trotzdem sank die Zahl der Spenden 2017 in Deutschland auf einen Tiefpunkt. Denn obwohl 71 Prozent bereit für eine Organspende wären, besitzen gemäß einer Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) nur 35 Prozent einen Organspendeausweis. 

Die Widerspruchsregelung ist nötig, damit auch die restlichen 65 Prozent der „Ja“-Sager ihre Organe spenden. Trotzdem wird bei der Widerspruchsregelung jedes genauso berechtigte Contra-Argument respektiert: Nein heißt nein. Wer nicht will, der muss nicht. Nur muss er es vorher eben entweder deutlich artikulieren, oder seine Angehörigen übernehmen das nach dem Todesfall. Denn auch die Hinterbliebenen besitzen nach Jens Spahns Vorschlag ein Einspruchsrecht. Da einen der eigene Partner, die Kinder oder die Eltern kennen, kann man davon ausgehen, dass ihr Urteil im eigenen Sinne ausfällt. Auch religiöse Bedenken können so respektiert werden.

Gleichzeitig kann eine Widerspruchsregelung den vielen Menschen ein Überleben sichern, die ein Spendeorgan benötigen. Denn momentan ist es wahrscheinlicher auf eine Organspende angewiesen zu sein, als selbst zu spenden. Eine traurige Bilanz, bedeutet sie doch den Tod so vieler Menschen. Da die Bereitschaft zur Organspende in Deutschland so hoch ist, kann man den restlichen 29 Prozent der Bürger, die gegen eine Organspende sind oder sich noch nicht damit auseinandergesetzt haben, zumuten, ihren Widerspruch deutlich zu artikulieren. 

Niemand wird gezwungen

Sogar die überwältigende Mehrheit der Angehörigen von Organspendern, die sich für die Transplantation entschieden hat, würde wieder so handeln – 90 Prozen, um genau zu sein. Weitere 88 Prozent geben laut DSO an, dass die Organspende ihres Familienangehörigen keinen Einfluss auf ihren persönlichen Trauerprozess hatte. Die Hinterbliebenen können selbst entscheiden, ob sie sich vor oder nach der Transplantation verabschieden möchten. 

Außerdem ist die Widerspruchsregelung längst nötig: Weil in Deutschland so viele Spenderorgane fehlen, müssen sie aus Eurotransplant-Ländern eingeflogen werden. Und das perfiderweise aus Ländern mit Widerspruchsregelung wie Spanien. Dort gilt das Gesetz seit Jahren, sogar ohne das Einspruchsrecht der Angehörigen. Warum sind wir Deutschen also so unsolidarisch, wenn es um unsere Mitmenschen geht?

Bei der Widerspruchsregelung geht es draum, die Menschen vor eine Entscheidung zu stellen: Beim Arztbesuch könnten Patienten aufgeklärt werden. Der Arzt kann ihnen die Angst nehmen, dass bei Todesgefahr „nicht alles für ihn getan“ werde. Die Ärzte schauen niemandem beim Sterben zu, damit sie später zehn Leben retten können. Aus gutem Grund: Menschenleben dürfen nicht gegeneinander aufgewogen werden. 
 
Und wie gesagt: Wer nicht spenden möchte, kann immer noch „nein“ sagen. Niemand wird gezwungen gegen seinen Willen zu handeln. 

 

Contra von Antje Hildebrandt

Der Vorschlag von Jens Spahn ist eine Mogelpackung. Was uns der Bundesgesundheitsminister als  Organspende verkaufen will, ist ein Eingriff in das persönliche Freiheits- und Selbstbestimmungsrecht. Ja, man ist geneigt, von Leichenfledderei zu sprechen. 

Schließlich will Spahn Transplantationsmedizinern die Möglichkeit eröffnen, jedem hirntoten Patienten Organe zu entnehmen, sofern sich dieser nicht schon zu Lebzeiten dagegen ausgesprochen hat. Von einer Spende als Akt der Freiwilligkeit kann also keine Rede sein. Es ist eine beklemmende Vorstellung. Zwar würde die so genannte Widerspruchslösung nur einen kleinen Prozentsatz von Toten betreffen – nämlich Menschen, die hirntot sind. Zwei Ärzte müssten unabhängig voneinander feststellen, dass die Gesamtfunktion des Hirns unwiederbringlich erloschen ist.   

Doch dieser Nachweis ist nicht immer zweifelsfrei möglich. Das hat der Fall eines 13-jährigen Jungen in den USA gezeigt. Die Ärzte hatten ihn nach einem Unfall schon für hirntot erklärt. Einen Tag vor der Organ-Entnahme wachte der Junge wieder auf. Es gibt Ärzte und Ethiker, die sagen, Hirntote seien Sterbende, die erst durch die Organentnahme getötet werden. Ja, es ist schon vorgekommen, dass Blutdruck und Herzfrequenz während einer Organentnahme plötzlich wieder sprunghaft angestiegen sind. Sind das nur Nervenreflexe, oder ist es ein Zeichen für Schmerzempfinden? Vor der Organ-Entnahme werden in der Regel keine schmerzlindernden Medikamente verabreicht. Bekommt der Sterbende von der Transplantation noch etwas mit? Und was ist mit seiner Seele? 

In Deutschland ist in den vergangenen Jahren das Bewusstsein dafür gewachsen, was einen würdevollen Tod ausmacht. Es gibt Kurse zur Sterbebegleitung. Kein Patient hat es verdient, dass er allein in seinem Krankenhausbett stirbt, ohne dass jemand in den letzten Minuten seines Lebens seine Hand hält. Und dann kommt der Gesundheitsminister einer Partei mit dem C im Namen und macht Druck beim Sterben? Er fordert Mediziner zu Eingriffen auf, die weder ethisch noch rechtlich zu vertreten sind. 

Hauptproblem: Kliniken

Spahn argumentiert rein ökonomisch – mit nackten Zahlen. Jeden Tag, so sagt er, sterben in Deutschland drei Menschen, weil es hierzulande nicht genug Organspender gäbe. 797 waren es 2017. So wenig wie noch nie. Damit gehört Deutschland zu den Ländern mit dem geringsten Aufkommen an hirntoten Organspendern. Man kann sagen: Die Lage ist dramatisch. 

Denn die Warteliste für Spenderorgane ist lang. Mehr als 10 000 Menschen warten derzeit auf eine neue Niere, eine neue Leber, ein neues Herz oder eine neue Lunge – immer häufiger vergeblich. 

Trotzdem geht der Vorstoß des Ministers an der Realität vorbei. An der mangelnden Spendenbereitschaft der Bürger liegt der Rückgang der Transplantationen nämlich nicht. Schließlich, das hat eine Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ergeben, stehen über 84 Prozent der Deutschen einer Organ- und Gewebespende positiv gegenüber. Die Zahl der Inhaber eines Organspendeausweises hat sich seit 2008 sogar verdoppelt. Sie stieg von17 auf 36 Prozent. 

Der Hauptgrund für den Rückgang liegt offenbar nicht bei den Spendern, sondern bei den Kliniken. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Studie des Uniklinikums Schleswig-Holstein. Sie offenbart ein Paradoxon. Denn obwohl mit der Zahl der Todesfälle mit Hirnschädigung die Zahl der potenziellen Organspender gestiegen sei, hätten weniger Krankenhäuser mögliche Spender an die Deutsche Stiftung für Organtransplantation gemeldet. Vielen Kliniken fehlten schlicht und einfach die personellen Voraussetzungen, resümieren die Forscher.

Vor diesem Hintergrund geht der Vorschlag des Bundesgesundheitsministers nicht nur an der Realität vorbei. Er ist auch Verrat an den christlichen Werten seiner Partei an. Wiegt das Recht zu leben schwerer als das Recht auf einen würdevollen Tod? 

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