Zum Tod von Ruth Klüger - Gegen den Kitsch

„KZ-Kitsch“ nannte die Schriftstellerin und Auschwitz-Überlebende Ruth Klüger den betroffenheitsschwangeren Umgang der Deutschen mit dem Holocaust. Am Dienstag ist sie im Alter von 88 Jahren verstorben. Ein Nachruf von Alexander Grau.

Ruth Klüger / dpa
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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„Wir Überlebenden sind nicht zuständig für Verzeihung“, äußerte Ruth Klüger einmal gegenüber der österreichischen Nachrichtenagentur APA und störte damit ebenso barsch wie unnachgiebig die kuschelige Erinnerungskultur, in die sich das schuldbewusste Latte-Macchiato-Deutschland so heimelig eingerichtet hatte. Dem betroffenheitsschwangeren Duktus, den betretenen Mienen, den wohlfeilen Ansprachen und dem verklemmten Streberstolz eifriger Vergangenheitsbewältiger stand die Germanistin und Schriftstellerin immer mit großer Skepsis gegenüber.

„KZ-Kitsch“ nannte sie das mit jener Unerbittlichkeit, die vielleicht nur aus dem Mund und der Feder einer Überlebenden legitim ist. Die gängigen Formeln von der Einzigartigkeit und Unvergleichbarkeit des Holocaust waren für sie „Kitsch-Wörter, sentimentale Flucht aus der Realität“. Denn sie seien der offene Beleg dafür, dass man sich das grauenvolle Geschehen gar nicht vorstellen wolle, sondern lieber „durch den Heiligenschein seiner Unsagbarkeit, also durch eine Kitsch-Aura, verklärt“.

Unbestechlicher und schonungsloser Blick

Jede „Pseudovergangenheitsbewältigung“, der es nicht um die Betroffenen geht, sondern um „Selbstbespiegelung, um das Vergnügen die eigene Sensibilität auszukosten“, war Ruth Klüger ein Gräuel. Auch die in Deutschland so beliebte Flucht in den Philosemitismus war ihr verdächtig. Zwar sei ihr, schrieb sie nicht ohne Ironie, von Philosemiten schon manche Freundlichkeit zuteil geworden, die sie nicht undankbar abwerten wolle. „Und doch beruht auch der Philosemitismus auf der Denkfaulheit der Sentimentalität, die vor allem auf Selbstbefriedigung hinzielt“.

Was Ruth Klüger auszeichnete, war ihr unbestechlicher und schonungsloser Blick auf die psychologischen Verwerfungen, die das Verbrechen des Holocaust auch bei den Nachgeborenen mit sich bringt. Etwa, wenn sie die „Gemeinde der Shoa-Beflissenen“ beschrieb, denen die Überlebenden als Märtyrer gelten, denen man „allerdings eben auch mit einer Mischung aus Abscheu und Ehrfurcht“ gegenübertrete. „Sterbende werden so behandelt, Krebskranke und Krüppel“. Klüger ging in ihrem Denken und Schreiben bis an die Schmerzgrenzen und manchmal darüber hinaus. So auch wenn sie den Haufen Kinderschuhe in Auschwitz als „Fetisch“ analysierte und als „Kitschwerk“, zu dem er durch die Betrachtung notwendig würde.

Ihr Gegner war der Kitschmensch

Falsche Gefühligkeit erzeugte jedoch nicht nur hinsichtlich der Shoa Ruth Klügers heftigen Widerspruch. Auch in Hinblick auf ihren Forschungsgegenstand – seit 1980 lehrte sie Germanistik in Princeton, danach an der UCI in Kalifornien und in Göttingen – verwahrte sie sich gegen jene Sentimentalität, die letztlich nur die Realität verschleiert, statt sich ihr zu stellen. Ihr Gegner ist der Kitschmensch, „der willige Rezipient von verlogenem Kulturgut, um dessentwillen es hergestellt wird. Für ihn ist es angenehmer und lustvoller, sich in der Lüge einzurichten, als sie zu entlarven“.

Ruth Klüger aber wollte die Lüge entlarven. Zur Not unter Verzicht auf jede Form von Rücksicht. Alles Erbauliche, das letztlich nur Wohlbefinden und Genuss bereitet, zerriss sie energisch. Kitsch sei letztlich vergleichbar mit Pornografie, wobei die Pornografie ehrlicher sei als der Kitsch, der vorgebe, „er wolle wie die Kunst eine Bewusstseinserweiterung und -bereicherung erzielen“.

„Weiter leben“

1992 erschien Ruth Klügers Jugenderinnerungen „Weiter leben“, die ihre Kindheit in Wien umfasst, die Jahre in Theresienstadt und Auschwitz, die Flucht und schließlich die Emigration 1947 nach New York. Das Buch wurde ein Sensationserfolg mit 300.000 verkauften Exemplaren.

Als Zwölfjährige in Auschwitz dichtete sie die Zeilen: „Fressen unsere Leichen Raben? / Müssen wir vernichtet sein? /Sag, wo werd’ ich einst begraben? / Herr, ich will nur Freiheit haben / und der Heimat Sonnenschein.“ Am Dienstag ist Ruth Klüger im Alter von 88 Jahren verstorben.

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