Werbeverbote in München - Schönheit? Bitte nur mit Sachzusammenhang!

In München wird Werbung verboten, wenn sie „die sexuelle Attraktivität der Frau ohne Sachzusammenhang“ darstellt. Viele feiern das als Signal gegen Sexismus. Aber warum gilt das eigentlich nicht für Männer? Und wer definiert den „Sachzusammenhang“ von Schönheit?

Sexismus? Oder besteht hier ein Sachzusammenhang? / picture alliance
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Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Die philologische Bildung kennt bessere Zeiten, das Latinum kriselt vor sich hin, und der Liberalitas Bavariae ist auch schon ganz schlecht. Wenn alles mit allem zusammenhängt, führt in München ein gerader Weg vom Abbau alten Weltwissens hin zur neuen Prüderie, wie sie nun der Münchner Stadtrat angeordnet hat. Einstimmig wurde dem Sexismus im öffentlichen Raum die rote Karte gezeigt. Was aber ist Sexismus? „Wenn die sexuelle Attraktivität der Frau ohne Sachzusammenhang gezeigt wird.“

Münchener Devise: „Wegschauen und abhängen“

Das lässt aufhorchen in mancherlei Hinsicht. Statt „Leben und leben lassen“ heißt die Stadtmünchner Devise neuerdings „Wegschauen und abhängen“. Auf Geheiß des Souveräns, als dessen Repräsentanten wir uns den Stadtrat bis auf Widerruf vorzustellen haben, soll künftig auf Werbeflächen der Stadt keine sexistische, keine „frauenfeindliche“ Werbung mehr gezeigt werden dürfen. Der Stadtrat gibt also die Existenz sexuell attraktiver Frauen in München zu – „immerhin“, mag sich Uschi Obermaier in ihrem kalifornischen Exil denken –, stellt aber den aufreizenden Schauwert unter streng gefasste funktionalistische Bedingungen. Gezähmt werden soll Eros, indem man ihm die sittenstrenge Göttin Aidos beigesellt.

Dass die Münchner Stadträtinnen und –räte der sexuellen Attraktivität des Mannes keine derartigen Fesseln anlegen wollen, mag wiederum der Münchner Bürgersohn Elyas M’Barek mit Erleichterung hören. Oder gilt der schöne Mann als Sonderfall der Schöpfung, mit dem zu befassen dem Münchner Stadtrat mangels kritischer Masse nicht einfiele? Für’s erste – und solch entgrenzendes Tugenddiktat besteht aus einer endlosen Abfolge erster Schritte, damit die Moralkatastrophe, die man vertreiben will, ewig näher rückt – , für’s erste also ist es Frauensache, „ohne Sachzusammenhang“ der eigenen Attraktivität entfremdet zu werden. Es gibt demnach einen „Sachzusammenhang“, der körperlicher Wohlgeratenheit ein öffentliches Daseinsrecht belässt. Woran da wohl zu denken wäre?

Die Imame freuen sich

Hier öffnet sich ein kleiner Graben zu den Münchner Imamen, die bis zu diesem Punkt hellauf zufrieden sein müssten mit der sensiblen Geschlechtergeografie des Stadtrats. Sagt der Islam nicht länger schon, als es München gibt, dass die Frau sich in der Öffentlichkeit zu verhüllen habe, damit sie kein Ärgernis errege? Wie kann es da einen „Sachzusammenhang“ geben, der weibliche Textilarmut womöglich doch legitimiert? Die Stadträte meinen vielleicht Werbung für Dienstleistungsbetriebe, in denen die sexuell attraktive Frau ein natürliches Habitat findet, Schwimmbäder oder Saunaclubs, oder Werbung für Produkte, die dem textilbefreiten Körper guttun sollen, den Epilierer, das Duschgel, die Brause.

Nächste erste Schritte lassen vermutlich nicht auf sich warten – zumal dann nicht, wenn die Staatsregierung künftig von der grünen Sittenpartei unterstützt werden sollte. Deren Spitzenkandidatin Katharina Schulze jubelte über den Münchner Verbotsbeschluss in den authentischen Worten, „Danke, grüne Fraktion München, für den Antrag“, und mit dem Symbol eines muskulösen Oberarms, bereit für neue Kämpfe. Da öffnet sich ein weites Antragsfeld: Darf etwa „Susanna und die beiden Alten“ in der Münchner Pinakothek hängen bleiben? Diese Urszene männlichen Voyeurismus‘ wirbt zwar für kein Produkt, zeigt aber schon im 17. Jahrhundert den heute entdeckten sachzusammenhanglosen Blick auf die attraktive Frau. Am besten wäre es vielleicht, man zöge generell einen Schleier vor die Frau, ganz ohne Sachzusammenhang.

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