Mozart - Sommermusik mit Sturmwarnung

Kolumne: Morgens um halb sechs. Die Musik Wolfgang Amadeus Mozarts gilt weithin als kitschig. An der Ablehnung zeigt sich eine Grundüberzeugung der Moderne: Nur was schwer zugänglich und kompliziert daherkommt, ist Kunst. Schade eigentlich

Mozart ist wie ein hellblauer Blitz, der durch die Jahrhunderte fliegt / picture alliance
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Autoreninfo

Sabine Bergk ist Schriftstellerin. Sie studierte Lettres Modernes in Orléans, Theater- und Wirtschaftswissenschaften in Berlin sowie am Lee Strasberg Institute in New York. Ihr Prosadebüt „Gilsbrod“ erschien 2012 im Dittrich Verlag, 2014 „Ichi oder der Traum vom Roman“.

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Wenn der Sommer uns zwischen Sturm und Sonne hin- und herwirft, ist Mozartzeit. Wo sich Hell und Dunkel schlagartig abwechseln und wie launische Kinder auf der Wippe sitzen, hebt Mozart ab. Wie kommt es, dass der zappelige Luftzar zwar oft gespielt, jedoch nur selten verstanden wird? Hinken wir ihm immer noch hinterher?

Mozarts Musik habe die rätselhafte Perfektion der Pflanzen, schrieb Hans Werner Henze in seinen böhmischen Reiseliedern. Kaum ein Komponist geht leichtfüßiger und schwermütiger, hellsichtiger, radikaler und gleichzeitig symmetrisch mit Musik um. Dass da einer auf den Wolken balanciert und sich selbstmörderisch hinab wirft, sich dann gleich wieder heiter aufzufangen weiß, um den nächsten Abgrund zappelig auszuloten, wird bis heute nur schwer begriffen.

Viel zu schnell

Die Dinge wollen linear verstanden werden, damit sie auf wissenschaftliches Papier passen. Jemand, dem alles auf einmal in einem Salto mortale gelingt und der dabei auch noch eine unsterbliche Melodie hervorbringt, bleibt ein sphinxhaftes Rätsel. Stimmungswechsel, die wie rasche Lichtwechsel vorbeisausen, können nicht entziffert werden. 

Dirigenten wählen in Sachen Mozart durchgehend zu schnelle Tempi, um dessen Radikalität zu unterstreichen – und zerstören damit jede Sinnlichkeit. Atemlos rasant und vor allem politisch soll Mozart herüberkommen. Doch oft wirkt er erdrückt, mittelmäßig übergebügelt. Kaum eine Terz bekommt mehr Zeit zu blühen. Die Pflanzen atmen nicht, die Gleichzeitigkeit bleibt auf der Strecke. Auch Inszenierungen bügeln Mozart oft gewollt in eine Richtung – auf Kosten der spielerischen Vielfalt.

Gegen den Trend

Zeitgenössische Komponisten, denen ich begegnen durfte, lehnen Mozart durch die Bank ab. Jedes Mal, wenn ein hitziges Gespräch über Mozart entflammt, werde ich schweigsam. Wie soll man ein Sommergewitter verteidigen? Einen tollen Tag, an dem alle Gefühlslagen geometrisch durcheinandergehen? Was kann man zum Finale II. Akt im „Figaro“ anderes sagen, als dass diese Musik ein Wunderkabinett ist? Jedes Mal, wenn der Graf im „Figaro“ niederkniet, möchte ich mich auch hinwerfen und mich entschuldigen, dass die Jahrhunderte verfliegen und einzig Mozart unerreichbar bleibt. Wir stecken immer noch in Trägheit und Arroganz zwischen Kriegen und Prozentpunkten fest und schmieden lineare Pläne bis 2040.

Kleeblätter pflücken mit Mozart

Etwas Überernstes hat sich im Musikbetrieb verwaltungsapparatartig eingebürgert. Mutmacherin, Trösterin, letzte Retterin in schweren Stunden ist Musik nur noch jenen, die sie immer wieder wie Trunksüchtige hören, die ohne sie nicht leben können.

Für mich ist Mozart hören kindlich und komplex zugleich. Mozart hören ist wie Kleeblätter pflücken. Mozart ist eine Schulung in hyperbolischer Geometrie. Mozart ist wie ein hellblauer Blitz, der durch die Jahrhunderte fliegt, und ich glaube, man muss blitzschnell sein, um ihn zu erfassen.

Das hat mit Hektik nichts zu tun, eher mit einem spielerischen Sinn und einer elastischen Auffassungsgabe. Mozart spaziert auf dem Dachfirst und lacht, während unter ihm der Abgrund klafft. Die Wechselhaftigkeit, das Sprunghafte seiner Musik erfasst immer beide Seiten zugleich. Hier wird nicht nacheinander erzählt, hier geschieht alles auf einmal und klingt. Mozart ist wie ein luftschiffiger Hafen, in den man, egal wie die eigene Zeit tickt, immer wieder zurückkehren kann. 

Zeitgenössische Musik will politisch sein

 „In diesem Werk ist alles über dem Durchschnitt“, schrieb Hans Werner Henze, der Mozart zeitlebens verehrte, „obwohl keine wesentlichen technischen Innovationen darin zu finden sind.“ Blockiert die Sucht nach Innovationen, der Fortschritts- und Wachstumszwang den musikalischen Atemapparat? Geht die Musik wie eine kostbare Pflanze an zwanghaftem Wettbewerb und Wachstum kaputt?

In der zeitgenössischen Musik wirkt Vieles stickig. Sie will groß sein und bleibt doch ganz klein. Manchmal klingt sie einfach nur dick, wie ein Koffer, der zu dicht gepackt ist, dass er nur mit einem Logistikunternehmen transportiert werden kann. Oder sie klingt ganz schlicht nach geschlossenem Fenster, nach verkopften Stubenhockern und nicht nach einem immerwährenden Morgenspaziergang. Prozentkrämerisch kommen mir einige Partituren vor, wie Debatten über das Elterngeld. Die Gelenkigkeit fehlt, die Ironie, das Changieren zwischen Tonfällen. Sie will politisch sein und ist nicht politisch. Ein politischer „Touch“ scheint einzig wichtig zu sein, um institutionelle Gelder abzuschöpfen. Letztendlich klingt solche Musik dann auch nach Fördertopf. Natürlich lässt sich „die Musik“ nicht über den Kamm scheren. Doch lassen sich Tendenzen, seltsamerweise am Umgang mit Mozart, ablesen. 

Mangelt es den Deutschen an Sinnlichkeit?

Woran liegt es, dass besonders in Deutschland Leichtigkeit immer noch belächelt wird und stattdessen ein verkarsteter Ernst Vorrang hat? Dass ein Kunstwerk immer noch schwer zugänglich und künstlich kompliziert daherkommen muss, um als ein solches wahrgenommen zu werden? Liegt es an einem Mangel an Sinnlichkeit oder an einer minderen Begabung im Umgang mit Wetterwechseln? Fürchten wir Gewitter? Krampfen wir uns an der Tischkante fest? Brauchen wir das Rektanguläre, das uns Sicherheit verspricht, die Parklücke, das gerade Abendbrotbrettchen? Die perfekte Analyse als Lustkillerin? 

Die Möglichkeiten der Akademien und großen Apparate blockieren den Weg zum inneren Kind, das bei uns teilweise immer noch im Keller fest sitzt. Nicht gut genug! Nicht perfekt auf die Welt gekommen. In Deutschland will man nicht, man muss Weltmeister werden. Und gerade deshalb wird Mozart nicht verstanden. Die Dinge gehen spielerisch ineinander über, sie müssen nicht sein, sie sind einfach und sind auch gleich wieder einen Schritt weiter. Das Sommergewitter ist schnell vorbei, der Flieder duftet im Nachtgarten und bald wird der Graf die Gräfin um Vergebung bitten. Nicht die Politik siegt, nicht das Individuum mit seinen Partikularinteressen, sondern die größtmögliche Harmonie.

Nicht verkopft, sondern lustig

Dabei ist Harmonie bei Mozart eine umkämpfte Angelegenheit. Nicht aus Schwelgerei, aus harten Machtkämpfen, Besessenheit und Lust wird die Scena ultima errungen. Diese widersprüchlich melancholische und zugleich erotische Leichtigkeit fällt vielen Interpreten schwer. Dass da einer mit einem Fingerschnips die schwierigsten Dinge kombiniert und dabei nicht verkopft, sondern lustig bleibt, ist immer noch ein Wunder. Jede Note Mozarts sprudelt. In jedem Takt ist sein Herzpuls zu spüren.

Hans Werner Henzes kompositorisches Barometer blieb „die Entfernung der Moderne von der Realität Mozarts“. Gegen Ende werde die Musik Mozarts immer erdhafter und wärmer, schrieb Henze. Nach dieser Wärme und Helligkeit in der Musik sehne ich mich, wenn ich mit Zeitgenossen und -genossinnen um Mozart ringe. Meist bleibe ich, wenn gegen Mozart geht, still und zähle Donnerschläge und Sommerblitze.

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