Meinungsfreiheit - Vom Missbrauch der Moral

In der Debatte um die Grenzen der Meinungsfreiheit führen viele an, man dürfe doch alles sagen, dabei aber eben nicht empfindlich sein. Das verkennt, dass es immer häufiger um ein öffentliches Bloßstellen geht, aber nicht mehr um ein respektvolles Miteinander

Wer am lautesten schreit, hat nicht Recht / picture alliance
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Autoreninfo

Bernd Stegemann ist Dramaturg und Professor an der Hochschule für Schauspiel (HfS) Ernst Busch. Er ist Autor zahlreicher Bücher. Zuletzt erschienen von ihm das Buch „Die Öffentlichkeit und ihre Feinde“ bei Klett-Cotta und „Identitätspolitik“ bei Matthes & Seitz (2023).

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63 Prozent der Deutschen glauben laut einer Umfrage, man müsse sehr aufpassen, wenn man seine Meinung öffentlich äußert. Zeit, Spiegel und viele andere Medien titelten in der Folge mit dem Thema Meinungsfreiheit. Und sogleich wurden Stimmen laut, die mit gespielter Naivität fragen, wo denn die Meinungsfreiheit in Deutschland eingeschränkt sei. Juristisch ist doch alles erlaubt, was nicht strafbar ist, und niemand wird heute von einer Stasi überwacht oder muss damit rechnen, dass ein Blockwart seine Radiosender kontrolliert. Wenn man die totalitäre Meinungsüberwachung aus finsteren Zeiten anführt, erscheinen die aktuellen Sorgen natürlich klein.

In einem Interview mit dem Spiegel äußerte sich nun auch die Bundeskanzlerin selbst zu dieser Thematik. Man müsse damit rechnen, „Gegenwind und gepfefferte Gegenargumente zu bekommen“, sagte sie. Meinungsfreiheit schließe Widerspruchsfreiheit ein. Sie ermuntere jeden, seine oder ihre Meinung zu sagen, „Nachfragen muss man dann aber auch aushalten. Und gegebenenfalls sogar einen sogenannten Shitstorm. Ich habe das ja auch schon erlebt. Das gehört zur Demokratie dazu“, so Merkel.

Herablassende Erklärungen

All das unterstellt, dass sich die 63 Prozent entweder zu dünnhäutig geben, oder dass es wohl auch besser ist, wenn bestimmte Meinungen nicht mehr öffentlich gesagt werden.

Mit dieser herablassenden Erklärung will ich mich nicht abfinden. Denn sie vertauscht einen universellen Wert – die Meinungsfreiheit – mit einer moralischen Wertung: manches darf gesagt werden, anderes eben nicht. Eine solche Vertauschung ergreift einseitig die Partei der Moral und wertet damit die Meinungsfreiheit ab. Wenn über die Sorgen der 63 Prozent nachgedacht werden soll, so muss über die Moral und vor allem ihren Missbrauch im Moralismus gesprochen werden.

Doppeltstandards, um eigene Interessen durchzusetzen

Einst galt der Moralist als jemand, der Wasser predigt und selbst Wein trinkt. Er hatte also einen doppelten Standard, den er mal so und mal so anwendete. Diese einfache Form von Moralismus findet man heute immer noch, wenn z. B. die Blockade einer Veranstaltung in einem Fall gerechtfertigt und in einem anderen Fall scharf verurteilt wird. Wird z. B. die Makroökonomie Vorlesung von Bernd Lucke verhindert, liest man von der Uni-Leitung und der Wissenschaftssenatorin gewundene Formulierungen, die den Vorfall zwar offiziell ablehnen, aber zugleich Sympathie und Verständnis für die Blockierer ausdrücken. Hätten in einem umgekehrten Fall rechte Identitäre eine Veranstaltung verhindert, würden die gleichen Instanzen den gesamten Repressionsapparat des Staates aufrufen, um das zu bestrafen und gesellschaftlich zu ächten.

Doppelte Standards sind ein probates Mittel, um die eigenen Interessen durchzusetzen. Sie sind aber zugleich ein Angriff auf die universellen Fundamente einer Gesellschaft, in der die gleichen Regeln für alle gelten müssen. Die Kritik, die sich der Doppelmoralist gefallen lassen muss, besteht darin, dass er für seinen persönlichen Vorteil übergeordnete Regeln außer Kraft setzt. Da er selbst aber auch von den Regeln der Gleichheit profitiert, sägt er nicht nur an dem Ast der Allgemeinheit, sondern auch an dem, auf dem er selber sitzt. In den gereizten Debatten unserer Zeit ist dieser Zusammenhang nicht nur vergessen, sondern er wird aktiv gegen diejenigen gewendet, die für die Gleichbehandlung eintreten. Wer für die Lehrfreiheit von Bernd Lucke spricht, bekommt mit absoluter Sicherheit das Etikett „Nazi“ entgegengebrüllt.

Streit über Migration vergiftet das Meinungsklima

Neben dieser einfachen Form der Doppelmoral, die schon ärgerlich genug ist, gibt es inzwischen eine postmoderne Form von Moralismus, deren Folgen deutlich gefährlicher sind. Die neue Formel des Moralismus lautet: Man predigt Wein für alle, rechnet aber fest damit, dass es niemals Wein für alle geben wird. Warum predigt man das also?

Die Antwort führt zur Ursache, warum 63 Prozent heute ihre Meinungsfreiheit eingeschränkt sehen. Der postmoderne Moralist erhebt eine Forderung, von der er weiß, dass sie niemals kommen wird, aber von deren lautstarkem Auftritt er sich einen Statusgewinn erhoffen darf. An einem Beispiel aus der öffentlichen Debatte kann der Mechanismus gut erkannt werden. Seit 2015 vergiftet der Streit über Migration und Grenzen das Meinungsklima. Auf der einen Seite steht die Forderung nach offenen Grenzen für alle, auf der anderen eine Abschottungspolitik, und die Mehrheit in der Mitte, die realistische und humane Lösungen sucht, wird zwischen beiden Extremen zerrieben. Warum hat es eine ausgewogene Politik in dieser Frage so schwer? Die Ursache liegt im Moralismus der Maximalforderung.

Verurteilung als Rassisten und Nationalisten

Wer offene Grenzen für alle fordert, erfährt noch immer gesellschaftliche Anerkennung. Er gilt als guter Mensch, der ethische Werte ohne wenn und aber hochhält. Bei dieser Feier des guten Menschen wird jedoch eine wesentliche Tatsache übersehen. Die Forderung kann in ihrer abstrakten Radikalität nur erhoben werden, weil allen klar ist, dass sie niemals kommen wird. Wirklich offene Grenzen würden innerhalb von kürzester Zeit zu einem Zusammenbruch des Staates und in der Folge zu einer radikalen Gegenbewegung führen.

Die Doppelmoral besteht also darin, dass man eine besonders mutige Forderung erhebt, für die man reichlich Anerkennung bekommt, und zugleich darauf vertraut, dass die Mehrheit dafür sorgt, dass die Forderung niemals Realität wird. Diese Kopplung der eigenen Aufwertung an die Arbeit der anderen wäre schon unmoralisch genug. Doch es folgt noch ein zweiter Schritt, der die Mechanik toxisch macht. Die notwendige und erwartete Verhinderungsarbeit der anderen dient dem Moralisten zur eigenen Empörung. Er kann nun behaupten, dass alle, die die Grenzen nicht öffnen wollen, Rassisten und Nationalisten sind.

Maximalforderungen erzeugen Widerspruch

Die Schärfe der Verurteilung – alles Rassisten – geht also auf eine in sich widersprüchliche Haltung zurück. Nun könnte man psychologisieren und die Vehemenz der Ablehnung als Verdrängungsarbeit verstehen. Da jemand weiß, dass die Gegenmeinung die notwendige Bedingung für seine eigene Maximalforderung ist, muss er sie absolut ablehnen. Das mag so sein, doch das ist nicht der Punkt, der mich hier interessiert.

Meine Erklärung für die Vehemenz, mit der alle Gegenmeinungen bekämpft werden, rückt die politische Strategie der Maximalforderung ins Zentrum. Indem man eine Maximalforderung aufstellt, provoziert man automatisch Widerspruch. Und je heftiger dieser Widerspruch ausfällt, desto wertvoller erscheint die eigene Position. Man könnte es in Umdrehung eines bekannten Mechanismus ein Fishing for Hate nennen. Je mehr Gegenwind von den Gegnern kommt, desto mehr Zustimmung bekommt man in der eigenen Community.

Das Phänomen „Crybullying“

Eine solche Strategie folgt also der Logik der Identitätspolitik, bei der nicht mehr nach Kompromissen für die gesamte Gesellschaft gesucht wird, sondern einzelne Communitys möglichst aggressiv ihre Interessen durchsetzen wollen. Es geht also nicht mehr darum, möglichst viele Menschen zu erreichen, sondern es geht im Gegenteil darum, die eigene Identitätsgruppe zu beeindrucken, indem man möglichst viele gegen sich aufbringt. Die Konsequenz einer solchen Politik ist eine wachsende Spaltung der Gesellschaft und ein gereiztes Klima, in dem jedes Wort daraufhin überprüft wird, ob es zum Skandal taugt.

Inzwischen haben sich einige dieser Strategien so verselbständigt, dass sie eigene Bezeichnung bekommen haben. Hierzu gehört etwa ein Phänomen, das im amerikanischen „Crybullying“ genannt wird. Damit wird ein Verhalten bezeichnet, das die eigene Sensibilität mit äußerst aggressiven Mitteln durchsetzen will. Jammern und Anschreien verbinden sich hier zu einem Gefühlsausdruck, der eine perfekte Verkörperung des postmodernen Moralismus ist: Wer sich gekränkt fühlt, leitet hieraus das Recht ab, alle anzuschreien, die dafür verantwortlich gemacht werden können.

Es geht nur noch um das Bloßstellen von Verfehlungen

Würde es sich beim Geschrei um eine spontane Reaktion handelt, so wäre ihr die Berechtigung nicht abzusprechen. Doch wie alle von Empfindlichkeit geleiteten Kontrollen schießt auch das Crybullying weit über einen spontanen Impuls hinaus. Wie jüngst Barack Obama in einem weltweit verbreiteten Video ausführte, ist aus der berechtigen Kritik an Kränkungen inzwischen eine regelrechte Suche nach Ereignissen geworden, über die man sich dann lautstark aufregen kann. Mit dem Wort „stay woke“ wird diese Wachheit beschrieben. Und auch dieser Mechanismus ist aus der Geschichte bekannt.

Wenn eine Gruppe von Menschen auf einander acht gibt, so ist das eine menschlich wertvolle Sensibilität. Wird aus der Rücksichtnahme aber eine Kontrolle, ob sich auch alle an die Regeln halten, so entsteht ein Überwachungssystem. Und wenn schließlich aktiv danach gefahndet wird, ob es nicht im verborgenen Fehler gibt, die dann skandalisiert werden können, handelt es sich um stay woke in seiner toxischen Phase, die Obama kritisiert. Spätestens jetzt geht es nicht mehr um gegenseitige Rücksichtnahme, sondern um das Bloßstellen einzelner Verfehlungen. Hier sollen exemplarische Bestrafungen und öffentliche Ächtungen vollzogen werden, um eine möglichst abschreckende Wirkung für alle noch unentdeckten Sünder zu entfalten.

Wunderwaffe des gesellschaftlichen Fortschritts

Und damit ist man im Zentrum der „Cancel culture“, zu der alle diese Verhaltensweisen gehören. Der Cancel culture geht es nicht mehr darum, unterschiedliche Interessen zu befrieden, sondern es geht ihr darum, den politischen Gegner zum Feind zu machen, den es aus der Gesellschaft auszuschließen gilt. Ihr bevorzugtes Mittel der politischen Auseinandersetzung ist die Ächtung des Gegners. Dass dadurch ein giftiger und verächtlicher Ton in die Debatten kommt, ist von der Cancel culture beabsichtigt. Für die 63 Prozent stellt das aber ein Problem dar.

Crybullying und stay woke sind die alltäglichen Radikalisierungen der Cancel culture, in die anfänglich berechtige Interessen geraten, wenn sie sich ihre doppelten Standards nicht bewusst machen. Man fordert höchste Sensibilität für sich selbst und ist gnadenlos aggressiv zu anderen, sollten die sich nicht sensibel genug verhalten. Die Identitätspolitik meint, mit dieser Strategie ein wirkungsvolles Mittel in der Hand zu haben, um ihre Interessen durchsetzen zu können. Nicht selten ist die deutsche Öffentlichkeit von der Vehemenz überrascht und findet keine angemessene Reaktion darauf. Und in manchen Teilen der intellektuellen Öffentlichkeit ist man sogar fasziniert von der Identitätspolitik und hält sie für eine Wunderwaffe des gesellschaftlichen Fortschritts.

Andrea Nahles mit Empörung niedergebrüllt

Dabei würde ein Blick in die USA reichen, um zu sehen, wohin dieser toxische Politikstil führt. Rechte, Linke, sexuelle und ethnische Minderheiten nutzen die Identitätspolitik und verwandeln den öffentlichen Raum in eine Gladiatorenarena, in der sich Communitys radikalisieren und die kompromisstaugliche Mitte erodiert. Eine Entwicklung in diese Richtung ist auch in Deutschland schwer zu übersehen.

Die Doppelmoral der Maximalforderung, die ihre eigene Realisierung gar nicht erwartet, sondern fürchtet, gehört in diesen Reigen. Sie hat, genau wie all die anderen Ausdrucksformen der Cancel culture, einen Nutzen für den, der sie erhebt. Die Auswirkungen auf das gesellschaftliche Klima sind hingegen fatal, denn nun geraten alle, die sich dieser Mittel nicht bedienen wollen, in eine ohnmächtige Defensive. Als etwa Andrea Nahles die simple Tatsache aussprach, dass Deutschland nicht alle Flüchtlinge, die kommen wollen, auch aufnehmen könne, wurde sie mit einem Schwall von Empörung niedergebrüllt. Die Moralismusgewinner hatten das Debattenklima in einer Art angeheizt, dass die Realität wie ein Affront erscheint, der geächtet werden muss.

Der Moralismus hat die Macht

Wenn die Mitteilung einer Tatsache dazu führt, dass man als Person diffamiert wird und eine allgemeine Ächtung gefordert wird, ist zwar die Meinungsfreiheit noch immer juristisch gegeben, auf der Ebene des sozialen Miteinanders wird sie aber dadurch abgeschafft. Diese Schieflage ist gemeint, wenn 63 Prozent der Deutschen in Sorge über die Meinungsfreiheit sind. Und wenn anschließend von anderer Seite davor gewarnt wird, dass die Mitteilung der empirischen Zahl von 63 Prozent eine gefährliche Information ist, die nur den Rechten hilft, so schließt sich der Kreis, und man ist in einer Welt, wo der Moralismus die Macht hat.

Doch völlig neu ist das Phänomen nicht. Das letzte Mal, als es zu einem grassierenden Moralismus kam, erfanden die 68er den klugen Begriff des Gratismuts. Damit war genau ein solches Gerede gemeint, das toll klingt, für dessen Konsequenzen der Sprechende aber keinerlei Mut aufbringen wird. Wenn heute 63% in Sorge um ihre Meinungsfreiheit sind, so haben sie ein Bewusstsein von diesem Mechanismus. Sie spüren, dass in der Öffentlichkeit ein Missverhältnis von propagiertem Wert und persönlichem Mut besteht, und sie ahnen, dass die Gewinner dieses trickreichen Wettbewerbs nicht unbedingt die geeignetsten Menschen sind, um die Probleme zu lösen. Doch je weiter die Debatten in die Schieflage des Moralismus geraten, desto gefährlicher wird es für die Vertreter des Realismus, den Mund auf zu machen.

Große Ladung von Verachtung und Hass

Wenn die Stimmen vom Anfang also behaupten, die 63 Prozent hätten nur Angst vor Widerspruch, den man eben aushalten müsse, so messen sie wiederum mit zweierlei Maß. Denn die Gewinner der Doppelmoral entziehen sich dem Widerspruch, da ihnen der entgegengebrachte Widerstand zum Gewinn bei der eigenen Community wird. Wer nicht für eine Community, sondern für eine Gesellschaft universeller Regeln spricht, kann diese Umdrehung nicht vollziehen. Er zieht keinen Nutzen aus dem Geschrei, das keine Kompromisse sucht, sondern nur noch Freunde und Feinde gegeneinander stellt. Die paradoxe Folge ist, dass alle, die sich der Doppelmoral verweigern, ins Sperrfeuer der Moralisten von beiden Seiten geraten, wo sie eine unverhältnismäßig große Ladung von Verachtung und Hass abbekommen.

Denn selbstverständlich wird die Doppelmoral von Links wie von Rechts praktiziert. Der Moralismus aus dem rechten Lagern ist nur unvergleichlich viel einfacher gestrickt und wird ausreichend oft in allen Medien analysiert. Beispielsweise wäre eine Rückkehr zum Nationalstaat für den Exportweltmeister Deutschland ein riesiger Schaden. Man kann so etwas also nur fordern, wenn man davon ausgeht, dass es schon nicht eintreten wird. Ich habe darum den Schwerpunkt auf die komplexer konstruierte Doppelmoral gelegt, zu denen Vertreter linksliberaler Werte neigen. Diese werden nicht nur weniger öffentlich kritisiert, sie sind auch schwerer zu durchschauen.

Georg Restle gegen Dunja Hayali

Ein letztes Beispiel zeigt, zu welchen Verwirrungen die Doppelstandards in der Öffentlichkeit inzwischen führen. Dunja Hayali ist als mutige und linksliberale Journalistin bekannt und bei manchen sogar berüchtigt. Bisher sah sie sich Angriffen, die nicht selten roh und abscheulich sind, vor allem aus dem rechten Lager ausgesetzt. Doch als sie eine Sendung über Clan-Kriminalität machte, bekam sie Gegenwind aus ihrem eigenen politischen Lager. Ihr Kollege Georg Restle bescheinigte ihr, dass diese Sendung kein Journalismus mehr gewesen sei. Was war geschehen?

Sie hatte vier verschiedene Meinungen zum Thema eingeladen, darunter einen Clan-Anwalt. Die Strategie des Clan-Anwalts entsprach exakt dem, was ich in der „Moralfalle“ beschrieben habe. Er lehnte als erstes den Begriff der Clan-Kriminalität ab, da er rassistisch sei. Für eine normale Talkrunde reicht dieser Warnschuss aus, um das Thema abzuwürgen. Denn worüber soll gesprochen werden, wenn die Benennung des Themas bereits rassistisch ist? In Dunja Hayalis Runde ließen sich die anderen Gäste verblüffenderweise davon nicht einschüchtern. So griff der Anwalt zur nächsten Eskalation und bezweifelte die Existenz einer solchen Kriminalität und wollte allen, die dennoch davon sprechen, Rassismus unterstellen. Doch auch hier blieb vor allem der Vertreter der Polizei sachlich und listete zahlreiche Fakten auf.

Die lange Leugnung von Clan-Kriminalität

Das Ergebnis der Runde war, zur Verblüffung des Clan-Anwalts und eben auch von Georg Restle, dass es so etwas wie Clan-Kriminalität zu geben scheint. Und die bittere Erkenntnis lautete, dass die lange Leugnung von Clan-Kriminalität aus Angst vor dem Rassismusvorwurf zu einem schwachen Auftreten des Staates geführt hat, wodurch das Problem so groß geworden ist, dass seine Eindämmung nun äußerst schwer fällt.

Der Vorwurf von Georg Restle, dass das nun kein Journalismus mehr sei, da ein unschönes Problem aus der Realität ungefiltert öffentlich wurde, ist deprimierend. Denn er bedeutet, dass für ihn Journalismus erst dann gut ist, wenn er seinen moralischen Filter über die Realität gelegt hat. Der Konflikt zwischen Restle und Hayali ist insofern lehrreich, da er die doppelten Maßstäbe aufgedeckt hat.

Ob sich daran etwas ändern lässt, ist fraglich. Die Statusgewinne durch Doppelmoral und Cancel culture sind zu verlockend. Aus der Perspektive der Moralismus-Gewinner sind die 63 Prozent, die ihre Meinung nicht mehr frei äußern mögen, kein Problem, sondern ein willkommenes Publikum, dem sie die Welt erklären und das sie belehren können. Und dass das Publikum eine eigene Meinung haben soll, davon haben die Moralprediger aller Zeiten nie etwas gehalten.

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