#MeToo und Dieter Wedel - Angriff auf den Rechtsfrieden

Sabine Rückert, stellvertretende Chefredakteurin der „Zeit“, rechtfertigt sich für die vermeintlichen Enthüllungen ihres Blattes über den Regisseur Dieter Wedel. Man dürfe auch berichten, wenn die Taten verjährt sind und die Beweislage uneindeutig ist. Staranwalt Gerhard Strate findet, das habe mit unserem Rechtsstaat nicht mehr viel zu tun

Regisseur Dieter Wedel sieht sich schweren Vorwürfen ausgesetzt / picture alliance
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Gerhard Strate ist seit bald 40 Jahren als Rechtsanwalt tätig und gilt als einer der bekanntesten deutschen Strafverteidiger. Er vertrat unter anderem Monika Böttcher, resp. Monika Weimar und Gustel Mollath vor Gericht. Er publiziert in juristischen Fachmedien und ist seit 2007 Mitglied des Verfassungsrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer. Für sein wissenschaftliches und didaktisches Engagement wurde er 2003 von der Juristischen Fakultät der Universität Rostock mit der Ehrendoktorwürde ausgezeichnet. Foto: picture alliance

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Vor mehr als zwanzig Jahren soll Regisseur Dieter Wedel Frauen sexuell genötigt haben. Das berichtete zumindest das Magazin der Zeit , das mit Jany Tempel und Patricia Thielemann zwei angeblich betroffene ehemalige Schauspielerinnen zu Wort kommen ließ und damit der aktuellen #MeToo-Kampagne neue Nahrung gab. Nun meldet sich die stellvertretende Chefredakteurin der Zeit zu Wort. In einer Antwort auf einen kritischen Artikel der renommierten Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen stellt Sabine Rückert die Frage: „Muss das Zeit-Magazin die Recherchen zurückhalten, weil er es abstreitet und die Fälle verjährt sind?“

In ihrem Artikel führt Rückert zunächst vergangene Leistungen der Zeit aus, welche das Medium „sicher unverdächtig“ sein ließen, „Lügnern und falschen Opfern als Plattform zu dienen“. Auf diese Legitimation aufsattelnd, führt die Journalistin aus: „Wir haben uns das Vorgehen von Ermittlern zum Vorbild genommen und anschließend das Ergebnis von mehr als zwei Monaten Recherche und fast fünfzig Befragungen gewürdigt. Danach mussten wir das Tatgeschehen für hochwahrscheinlich halten. Daher berichten wir.“

Medienvertreter als Ersatzermittler

Dass gerade für Prominente wie Dieter Wedel die mediale Berichterstattung und ihre Folgen die Konsequenzen eines Strafverfahrens weit übersteigen können, wissen wir nicht erst seit dem Fall Claudia Dinkel – der Frau, die den Wettermann Jörg Kachelmann mit ihren Falschbezichtigungen vor Gericht brachte. Wenn Medienvertreter sich das ebenso berühmte wie falsche Bonmot von der „Vierten Gewalt im Staat“ allzu sehr zu Herzen nehmen und eine Art inoffizielles Ermittlungsverfahren eröffnen, ist eine Qualität erreicht, bei der die Medien die Weisheit der Selbstbeschränkung entdecken sollten. Ist eine angebliche Tat bereits verjährt, sodass die Chance auf eine zumindest nachträgliche gerichtliche Klärung nicht mehr besteht, so ist das Auftreten von Medienvertretern als Ersatzermittler besonders fragwürdig. Es geht aber nicht nur um die Verjährung.

Es geht vor allem darum, dass die „fast zwei Monate Recherche und fast fünfzig Befragungen“ durch die Zeit-Redakteurinnen nicht mehr zuwege gebracht haben als allenfalls ein Wahrscheinlichkeitsurteil. Ob die Begegnungen mit Dieter Wedel sich tatsächlich so zugetragen haben, wie die Zeuginnen es nach mehr als 20 oder gar 25 Jahren schildern, weiß niemand. Selbst wenn man dem Beweisergebnis noch das Attribut eines „hochwahrscheinlich“ umhängt, muss man erkennen: es ist nichts! Der Rest an Zweifeln verbietet es, daraus mehr zu machen als ein Nichts. Dennoch sucht sich das Magazin der Zeit für dieses Nichts einen Adressaten: Die Strafkammer, der diese selbst ernannten Staatsanwältinnen ihre angeblichen Ermittlungsergebnisse vorlegen, kennt jedoch weder Strafprozessordnung, noch rationale Beweiswürdigung, noch menschlichen Anstand. Opulent besetzt und in sämtlichen sozialen Netzwerken vertreten aber ist sie allemal: Sie besteht aus einer sensationslüsternen Öffentlichkeit, deren gerne schon mal mit zwölf Ausrufezeichen gefälltes Urteil („Wiiiderlich!!!!!!!!!!!!“) das Lebenswerk eines bis dato anerkannten Regisseurs wie Dieter Wedel für immer beschädigen kann. 

Die sanfte Entmündigung von Frauen

Dass Sabine Rückert denselben Fehler begeht, der so vielen bei diesem Thema unterläuft, mag an dem eingespielten Opfernarrativ derartiger durch Hashtags befeuerten Kampagnen liegen: Auch sie kommt nicht ohne die Erwähnung der systematischen Sexualverbrechen an Kindern in Einrichtungen wie der Odenwaldschule oder dem Canisiuskolleg aus. Von diesen wüssten wir heute nichts, „hätten die Opfer sich an jene Bedingungen gehalten, die Friedrichsen als Standard ausgibt“, heißt es in ihrem Artikel. Dass sie damit systematische brutale Misshandlungen an Kindern mit angeblichen Vorfällen zwischen zwei Erwachsenen gleichsetzt, fällt ihr gar nicht auf. Die damit einhergehende sanfte Entmündigung von Frauen ebenfalls nicht. 

Das öffentliche Interesse an der Zerschlagung pädosexueller Strukturen in nach wie vor existierenden beziehungsweise erst kürzlich geschlossenen Einrichtungen, denen Eltern ihre Kinder anvertrau(t)en, dürfte jedem klar sein. Nicht zu vermitteln ist jedoch das über die reine Sensationslust hinausgehende öffentliche Interesse an verjährten und letztlich ungeklärten gewalttätigen Konfrontationen zwischen zwei erwachsenen Menschen, deren angebliche Opfer sich damals, warum auch immer, gegen eine Strafanzeige entschieden haben. Es war ihre Entscheidung, die sie als im Sinne des Gesetzes mündige Menschen getroffen haben. Die Vorwürfe Jany Tempels gehen auf das Jahr 1996 zurück. Die Verjährungsfrist beträgt 20 Jahre. Bis vor kurzem hätte sie also Gelegenheit gehabt, eine gerichtliche Klärung herbeizuführen. Jetzt, da dies nicht mehr möglich ist, hat sie sich für das öffentliche Femegericht entschieden. Das ist ebenfalls ihre Entscheidung als mündiger Mensch. Dass die Zeit dabei mitspielt, steht jedoch auf einem anderen, höchst unrühmlichen Blatt.

Tatsächlich stellt die Vorgehensweise der Zeit einen direkten Angriff auf den Rechtsfrieden dar, denn aus guten Gründen behält sich der Staat das Rechtspflegemonopol vor. Darüber hinaus erweist Sabine Rückert der Sache der Frauen einen Bärendienst, wenn sie erwachsenen Menschen nur aufgrund ihres weiblichen Geschlechts ein Schutzbedürfnis wie minderjährigen Internatszöglingen zuweist.

Was werden die Folgen der #MeToo-Kampagne sein?

Die #MeToo-Kampagne stellt Frauen einen Freibrief aus, Männer zu jedem beliebigen Zeitpunkt an den medialen Pranger zu stellen, und sei es noch Jahrzehnte später. Wer fragt noch nach den wahren Begebenheiten, wenn der Name klangvoll, die Story süffig und der Hashtag gerade so schön im Trend ist? „Für fuffzich Fennje kann ick verlangen, dass an meine niedersten Instinkte appelliert wird!“, forderten Kinobesucher schon in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Solche Konsumerwartungen bedienen manche Journalisten offenbar noch heute, wenngleich ihre Erzeugnisse ungleich teurer geworden sind.

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