Die letzten 24 Stunden - Chakalaka für alle, Mozart für mich

Wann ihr letzter Tag gekommen ist, weiß Marianne Sägebrecht nicht. Doch sie weiß, was sie an diesem Tag machen wird: Aus einem Überlebenssuppentopf löffeln, baden in Milch und Honig und Abschied nehmen mit Mozart.

Wie sich Marianne Sägebrecht ihre letzten 24 Stunden vorstellt / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Björn Eenboom ist Filmkritiker, Journalist und Autor und lebt im Rhein-Main-Gebiet.

So erreichen Sie Björn Eenboom:

Anzeige

Die 1945 in Starnberg geborene Schauspielerin gehört zu den bekanntesten Persönlichkeiten ihrer Zunft. Zuletzt erschien ihr Buch „Ich umarme den Tod mit meinem Leben“ im Gütersloher Verlagshaus.

Mir wurde die unheilvolle Botschaft verkündet, ich hätte nur noch 24 Stunden zu leben auf diesem Erdenrund. Eine Frechheit, mir so unverhohlen ein Ultimatum zu stellen! Ich bin der festen Überzeugung, dass es einen göttlichen Plan gibt und an dem Tag unserer Geburt die Stunde unseres Todes festgeschrieben wird. Das Wissen um diesen Zeitpunkt ist aber nicht für Menschenkinder bestimmt, sondern unserem Schöpfer vorbehalten. 

Ich möchte keine Spielverderberin sein und nehme erdacht an, die Todgeweihte in diesem morbiden Unterfangen zu sein. Ich liebe den Herbst. Der Oktober kündigt gülden sein Ende an und lässt die Natur farbenfroh zu ihrer reifen Blüte erstrahlen, bevor sie in den winterlichen Dämmerschlaf verfällt. Meinen letzten Tag verlebe ich daheim in Bayern, wo ich verwurzelt bin und mich nicht einmal Hollywood fortlocken konnte. 

Versammelt um Chakalaka

Mein sehnlichster Wunsch ist es, diese Zeit im Kreise der Familie zu verbringen. Ich finde das Bild des alten Mütterleins, umgeben von ihren Lieben, das sich hinlegt und friedlich einschläft, herrlich für die letzte Stunde. Doch in diesem Fall würde ich niemandem von meinem zeitigen Ableben erzählen. Stattdessen lade ich sie zum Essen ein und kredenze ihnen meinen Überlebenssuppentopf Chakalaka. Nach der Rezeptur meines Großvaters Franz-Xaver, einem Schamanen und Gärtner, versammeln sich darin über 30 Ingredienzien mit dem Besten an Kräutern, Gemüse und Fleisch, was Mutter Natur zu bieten hat. Geschwind gehe ich ans Werk und höre „Island in the Sun“ von Harry Belafonte.

Ich bin eine heidnische Katholikin. Als zwölfjähriges Mädchen habe ich sonntags in der Kirche die Apostelbriefe vorgetragen. Mein Pfarrer sagte zu mir, ich sei eine alte Seele. Jesus Christus ist für mich ein gelebtes Vorbild, doch ich bin weltoffen gegenüber anderen Religionen wie dem Hinduismus. Das Gebot der Nächstenliebe ist fest mit mir verwoben. Ich liebe jedes Antlitz, das ich sehe. Diese Menschenliebe gab mir der liebe Gott. Dafür danke ich ihm jeden Tag. Ich bin ein glücklicher Mensch und denke, dass Dienen, ohne seinen Stolz einzubüßen, die höchste Form von Demut ist.

Die letzte Zauberflöte

Nun ist es an der Zeit, schweren Herzens, doch mit der Zuversicht auf ein Wiedersehen, Abschied zu nehmen. Bevor ich meine letzte Reise antrete, nehme ich ein Bad in Milch und Honig, einer Handvoll Meersalz und etwas Lavendel­öl. Dann ziehe ich mich in mein Schlafgemach zurück und mache mich startklar für den großen Seelenflug. Der Tod ängstigt mich nicht. Ich blicke auf ein erfülltes Leben und habe jeden Tag als Geschenk angenommen. Auf der anderen Seite werden mich meine geliebte Mutter und Urgroßmutter in Empfang nehmen.

Für die letzten Minuten wünsche ich mir aus Mozarts Zauberflöte „Dies Bildnis ist bezaubernd schön“. Ich möchte verbrannt werden, damit meine Seele schneller in die jenseitigen Gefilde übergehen kann. Auf meinem Grabstein neben meiner Mutter auf dem Münchner Nordfriedhof soll stehen: „Deine Seele fliege weit.“ Ich danke dem Schöpfer ein letztes Mal für dieses Erdenleben. Mit einem Lächeln verlasse ich die Welt und bitte inständig: „Fiat Lux.“

Aufgezeichnet von Björn Eenboom

Dieser Text ist in der März-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

Jetzt Ausgabe kaufen

 

 

 

Anzeige