Albrecht Dürer zum 550. Geburtstag - Der frühe Moderne

Heute vor 550 Jahren wurde in Nürnberg Albrecht Dürer geboren. In seiner Malerei ist er der ewige Zeitgenosse. Egal, ob sein berühmter Hase oder seine Selbstinszenierung mit Bart und Pelzrock: Dürers Bilder packen uns, als wären sie gestern entstanden.

In diesem Gesicht endet eine 500-jährige Bartlosigkeit im christlichen Westen. / Alte Pinakothek München
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Autoreninfo

Beat Wyss hat an zahlreichen internationalen Universitäten gelehrt. Er hat kontinuierlich Schriften zur Kulturkritik, Mediengeschichte und Kunst veröffentlicht. Beat Wyss ist Professor an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe.

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Irgendwie wirkt unser aller Dürer auf diesem Selbstbildnis wie ein Zeitgenosse. Nicht gerade topaktuell gestylt, da fehlt es am sorgfältig getrimmten Kopf- und Barthaar. Doch im Summer of Love 1967 von San Francisco wäre der langmähnige Mann unter all den Blumenkindern nicht sonderlich aufgefallen. Gepflegt ist sein Look schon, dem gelockten, rotbraunen Haar des Meisters musste die Brennschere für den Porträttermin nur ein wenig nachhelfen.

In der Tat nimmt Albrecht Dürer, ein verfrühter Moderner, das Selbstbild des Künstlers als Messias vorweg. Und das buchstäblich: Die Malerhand formt ihre Finger vor dem Pelzkragen zur Malgebärde ohne Pinsel. So spielt sie an die im Ostchristentum damals verbreitete Idee vom Acheiropoieton an, der nicht von Menschenhand gemalten Ikone. Ihr Urbild ist jenes Schweißtuch, worin das Gesicht Jesu sich einprägte. Eine barmherzige Frau hatte dem Schmerzensmann am Passionsweg nach Golgatha das lindernde Tuch gereicht. 

Blut, Schweiß und Tränen

In ihrem Namen, Veronika, liegt denn auch, als Rebus versteckt, der Hinweis auf die Bedeutung dieser Reliquie: Sie ist vera ikon, wahres Bild, originaler Abdruck von Christi Schweiß, Blut und Tränen. Diesen Anspruch auf Authentizität seiner Werke stellt Dürer in diesem Selbstporträt auf, streng frontal wie das Schweißtuch der Veronika, gemalt auf gekalktes Lindenholz mit Tempera und Ölfarbe: Blut, Schweiß und Tränen des Künstlers.

Ein weiteres Detail an diesem Porträt ist männermodegeschichtlich revolutionär: In diesem Gesicht endet eine 500-jährige Bartlosigkeit im christlichen Westen. Nach dem Schisma mit der Ostkirche hatte Papst Gregor VII. den Priestern die Barttracht verboten, die im religiösen Feindesland Byzanz seit alters üblich war. Während die bärtigen Popen ihr Amt auch als verheiratete Männer ausüben durften, bedeutete die Bartlosigkeit der Geistlichen im Westen Abschied vom weltlichen Leben als Mann, was sich im Zölibat bekräftigen sollte. Dass ein entsagendes Glattgesicht oft nur Etikettenschwindel war, belegt die Promiskuität und Zeugungsfreudigkeit von Päpsten und Bischöfen bis hinab zu den Dorf­pfarrherren. Hinter strenger Observanz der Rasur ließ sich das Keuschheitsgelübde umso schamloser brechen.

Die bärtigen Griechen

Dürers Schnabelbart bildet die Schwalbe, die einen neuen Frühling der Bärtigkeit im Westen ankündigte. 1453 war Konstantinopel an die Osmanen gefallen. Die Migrationswelle byzantinischer Gelehrter in die Zentren des Okzidents brachte mit der griechischen Sprache auch den Bart zurück. Damit änderte sich um 1500 nicht nur das Antikenbild; auch das neue Männerbild bestimmten nicht mehr die bartlosen Römer der republikanischen Zeit, sondern die barttragenden Griechen Platon, Plotin und Homer. Das Auftreten von Bärtigkeit ist, bis heute, Symptom einer Orientalisierung des Westens. Es wundert daher nicht, dass sich Gesichtsbehaarung in den männlichen Reihen der AfD nur spärlich findet.

Dürer hat seinen Bart von der ersten Reise nach Oberitalien 1495 nach Nürnberg heimgebracht. Dahin war er kurz nach der Hochzeit mit Agnes Frey aufgebrochen, alleine. Eine zweite Reise brachte den Maler zwei Jahre nach Venedig. In der mittelmeerischen Metropole inspirierten ihn die exotischen Haartrachten der Matrosen, die über den Seeweg aus der Levante und Nordafrika in der Serenissima zusammentrafen. An seinen Intimfreund, den Humanisten Willibald Pirckheimer schreibt er von den hübschen Männern. Dieser erwidert ironisch, ob er es denn jetzt mit seiner Frau Agnes treiben dürfe. Dürer antwortet: „Du darfst Agnes nicht klistieren, es sei denn, sie käme dabei zu Tode.“

Erlaubt ist, was gefällt

Die Ehe blieb kinderlos. Dass Dürer wohl schwul oder bisexuell war, erhärten neuere Quellenfunde. Pirckheimer machte seinen Freund mit Lukian vertraut, jenem griechischen Autor, der den Verkehr unter Männern a tergo preist. Erlaubt sei, was gefällt. Aber fremdschämen kann man sich schon über den Hohn, den Dürer über seine Ehefrau, hintenrum, in Briefen ausschüttet. 

Agnes führte die Malerwerkstatt während der Abwesenheiten des Meisters und verkaufte regelmäßig am Nürnberger Wochenmarkt, zwischen Obst-, Fisch- und Gemüseständen, Dürers begehrte Kunstdrucke. Die sprachdiktatorischen Queerdenker*innen möge das daran erinnern, dass Toleranz in der sexuellen Orientierung nur fair bleibt, wenn sie auf allseitigem Respekt beruht. 

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