DFB verliert haushoch gegen Spanien - Jogi würde an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern

Joachim Löw hat aus einer Rumpeltruppe eine Weltmeistermannschaft gemacht. Doch seit der WM-Blamage 2018 will einfach nichts mehr klappen. Die Schlappe gegen Spanien war der Tiefpunkt. Über die Parallelen des Bundestrainers zu Angela Merkel.

Joachim Löw führte die Nationalmannschaft in eine 0:6 Blamage gegen Spanien / dpa
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Autoreninfo

Alex Steudel ist freier Journalist aus Hamburg und Co-Publisher des täglichen Fußball-Newsletters Fever Pi'tch. Er war Nationalmannschaftsreporter und bis 2011 Chefredakteur von Sport-Bild.

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Kürzlich hat eine lustige Aufzählung die Runde im Netz gemacht. Sie führte einem vor Augen, wie lange Angela Merkel schon regiert: vier US-Präsidenten, fünf britische Regierungschefs und 21 HSV-Trainer lang. Spott über den abgestürzten  Zweitligisten aus Hamburg machte Fußballfans bundesweit viel Spaß, bis der DFB auf den Plan kam und alles noch toppte. Zuletzt beim 0:6 gegen die Spanier. Höchste Niederlage seit 1931, bitterer geht's nicht.

Also reden wir lieber mal über Joachim Löw. Der Bundestrainer hat die Nationalmannschaft 2006 übernommen, er ist damit also nur ein Jahr kürzer im Amt als Angela Merkel. Er war anfangs ähnlich erfolgreich. Während Merkel schnell zur mächtigsten Frau der Welt wurde, baute Löw das Kabinett um und gewann die WM 2014. Das war toll.

König Midas von Deutschland

Damals glaubte die ganze Welt, dass alles zu Gold werde, was der Jogi anfasst, also außer dem WM-Pokal, der war schon vorher aus Gold, und außer, naja, leider fingen ihn bei Länderspielen immer wieder Kameras mit dem Finger in der Nase ein, was für Irritation sorgte, aber lassen wir das.

Löw hatte jedenfalls aus einer alten Rumpeltruppe ein junges, agiles Team gemacht, das sogar moderne Taktik konnte, und damit die ganze Welt begeisterte. Sein Plan war einfach: Aufräumen. Alt durch neu ersetzen. Ob bei Personal oder Taktik. Da hinkte Deutschland weit hinterher. 2000 hatte die Nationalmannschaft noch mit Libero gespielt; das war zu der Zeit so modern, als würden wir heute fünf neue Kohlekraftwerke bauen.

Die Mannschaft

Die Mannschaft, die dann bei der WM 2010 erstmals für Furore sorgte und das Halbfinale erreichte, war jung, hungrig, schnell. Und sautalentiert. Die Kombi hatte es schon oft gegeben im deutschen Fußball, aber nun kam dazu, dass "Die MANNSCHAFT", wie sie Sportdirektor Oliver Bierhoff irgendwann nennen ließ, auch taktisch auf der Höhe war. Angeleitet vom Löw.

Ich erinnere mich, wie ich bei der WM 2010 im Frühstücksraum eines Hotels in Südafrika saß und vor mich hinlächelte, weil da Menschen aus aller Welt quer durch den Raum ein Deutschland lobpreisten, das plötzlich nicht mehr rumpelte, sondern unter Löw echten Fußball spielte.

Bei einer WM braucht es für Unterhaltungen unter Fußballfans keine Sprachkenntnnisse, da funktioniert Kommunikation anders: Du sagst einfach einen Spielernamen und schaust die anderen an, und die anderen nicken anerkennend, und du weißt, wie die Stimmung im Weltfußball ist. "Muller!" rief ein Amerikaner. "Ossill" ein Argentinier. "Nooiirrr. Schww.. Schwwwstgr", ein Araber.

Wie im Film

Deutschland war wieder wer. Und dabei sympathisch. Dank Jogi. Ich war, ich gebe es zu, stolz. Man neigt ja bei solchen Geschichten zu sagen: Das war wie im Film! Tatsächlich hat der deutsche Fußball schwere Rumpeljahre bewältigt, in denen sich Tiefpunkte und "noch tiefere Tiefpunkte" (O-Ton Rudi Völler, Bundestrainer bis 2004) aneinanderreihten.

2004 schaute dann kurz Jürgen Klinsmann vorbei, machte Vorwäsche und übergab an Löw, der Weltmeister wurde. Das Problem an der Metapher ist: In Hollywood enden Filme mit dem einen Höhepunkt, nach dem nichts mehr kommen braucht. Während du eine Träne der Rührung verdrückst und den Abspannn guckst, interessiert dich null, was nach der abschließenden Information, auf welchem Material der Film belichtet wurde, noch alles passiert sein könnte.

Ein langer Abwärtstrend

Leider wollte die Geschichte der deutschen Nationalmannschaft einfach nicht aufhören. Wir haben seither, Achtung Spoiler, außer den völlig unwichtigen Konföderationenpokal rein gar nichts mehr gewonnen. Die WM 2018 endete für das DFB-Team sogar in einem Disaster, weil Löw auf die Haudegen von 2014 vertraute. Sein Slogan war eine Mischung aus Adenauer und Merkel: "Keine Experimente, wir schaffen das!"

Aber wir schafften nichts, und es wurde immer schlimmer. 2019 stieg Deutschland sogar aus der kümmerlichen Nations League ab und musste von der Uefa per Eilentscheid wieder zurückgehievt werden. Die Sponsoren und so. Das hätten sie beim Fußballverband mal besser bleiben lassen sollen, die dünne Luft in der Nations Liga A hat dem Neuaufbau gar nicht gutgetan.

Wenn wir ehrlich sind, klappt seit geraumer Zeit überhaupt nichts mehr, und selbst dieser Zustand verschlechterte sich in den letzten Tagen immer weiter. Gegen die Ukraine, in der Weltrangliste Tabellennachbarin von Peru, gewann Deutschland noch mit Müh und Not 3:1. Den Sieg schmälerte tags drauf die Info, dass ein paar Spieler der sowieso ersatzgeschwächten Ukrainer auch noch mit Corona aufgelaufen waren. Und jetzt das. Spanien. Ganz Deutschland ist entsetzt. Und keiner will mehr Löw sehen.

Löw weiß nicht weiter

Alle arbeiten sich an dem ab, der 2018 an seiner Rückwärtsgewandtheit scheiterte, Neuaufbau versprach und von 81 Millionen Deutschen begnadigt wurde. Vieleicht kann man auch das ein bisschen mit Angela Merkel vergleichen, die oft totgesagt wurde. Aber sie kam irgendwie immer wieder zurück, ob nun als Wiedergewählte, oder indem sie irgendwelche Krisen meisterte, wenn es darauf ankam.

Löw hat nur eine Krise gemeistert, die erste, und das kommt im Fußball oft vor: dass Trainer nach oben führen, aber nicht oben halten können. Bei Löw hat jedenfalls nichts mehr geklappt, auch sein neuer Weg, welcher auch immer das ist, ist in die Hose gegangen.

So jung, dass man ihre Namen googlen musste

Vielleicht wurde das Dilemma, in dem der deutsche Fußball steckt, nie deutlicher als während der Fernsehübertragung am Dienstagabend, als sogar dem ARD-Moderatorenteam (Branchenspott: Fan Club Nationalmannschaft) nichts anderes übrig blieb, als sich in Kritik zu flüchten. Das Kuriose daran ist: Auch Löws Kritiker haben keine echten Lösungen. Klar, die Spieler, die Löw zuletzt aufstellte, waren jung – aber so jung, dass man ihre Namen googeln musste.

Liegt es an der Qualität des Nachwuchsarbeit, für die er nichts kann? Oder ist er mit seinen 60 Jahren zu alt und unflexibel für den Job? Erreicht der die Spieler nicht mehr? Dass Löw seine einstigen Kraftwerke Thomas Müller, Mats Hummels und Jerome Boateng (zusammen 94 Jahre alt) vom Netz genommen hat, haben ihm viele übelgenommen.

Fußball ist nicht Politik

Sie wollen, dass er sie alle reaktiviert. Kurioserweise sind das dieselben Kritiker, die ihm 2018 vorgewarfen, dass er bei der WM auf alte Spieler gesetzt hatte. Machen wir uns nichts vor: Wären morgen Bundestrainerwahlen, Löw würde an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Nächstes Jahr ist EM, und alle haben Angst vor der neuen Blamage. Also wird über Nachfolger diskutiert, aber Fußball ist eben nicht Politik. Im Fußball haben die Guten alle einen Vertrag irgendwo.

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