Literaturkritiken - Moser liest

Das Jahr 2023 startet mit einigen Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt. Nicht alle sind gelungen. Unsere Kultur-Chefin Ulrike Moser hat neue Bücher von Simon Strauß, Bret Easton Ellis und Marlene Streeruwitz gelesen und trennt die Spreu vom Weizen.

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Autoreninfo

Ulrike Moser ist Historikerin und leitet das Ressort Salon bei Cicero.

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Teppiche und Apokalypse

Da ist wieder so ein lebensfremder Tropf, ein kauziger Einzelgänger, der lieber mit den Dingen als mit den Menschen redet. Gardinen- und Teppichverkäufer von Beruf, wenn er sich nicht in seiner kleinen, zentimetergenau ausgemessenen Dachkammer verschanzt. Und dort ereilt ihn die „unerhörte Begebenheit“, schließlich hat Simon Strauß sein Stück als „Novelle“ annonciert.

Katzenurin, der unter der Tür durchsickert, vertreibt ihn aus der sicheren Kammer, Vorbote einer größeren Katastrophe, einer Flut, die die Stadt überschwemmt und den Verkäufer als vermeintlich einzigen Menschen zurückgelassen hat. Strauß ist ein hervorragender Journalist, hier aber bleibt er unter seinen Möglichkeiten. Allzu bemüht wirkt die Konstruktion, die den schweigsamen Verkäufer mit einer plappernden Teppichvertreterin in der apokalyptisch leeren Stadt zusammenführt. Und auch sprachlich finden sich Unsauberkeiten und schiefe Bilder. Was darf man sich unter einer „Kraterlandschaft aus Hochhäusern“ vorstellen? Und warum treibt ein Floß erst an den toten Tieren und dann am Zoo vorbei?

Simon Strauß: Zu zweit. Klett-Cotta, Stuttgart 2023. 160 Seiten, 22 €

Meisterhaft grausam

Nein, „The Shards“ (Die Scherben) von Bret Easton Ellis besitzt nicht die zynische Kälte von „American Psycho“, obwohl das Buch durchaus grausam ist. Wenn auch auf andere Weise. Man könnte es auf den ersten Blick für eine Version dieser Horrorgeschichten halten, in der das Grauen in das Leben unschuldiger Teenager einbricht. Doch der Serienkiller, der es hier auf junge Menschen abgesehen hat, hat reale Vorbilder, die ihre Opfer zu der Zeit suchten, als Ellis ein Jugendlicher war.

Und der Killer findet sie im Buch im Umfeld der High-Society-Schule, die auch Ellis besucht hat. Das Beklemmende an diesem meisterhaften, mitunter überraschend zarten Roman ist, dass das Erscheinen des Mörders nur wie ein weiteres dunkles Ereignis erscheint neben Betrug, Sucht und Missbrauch, die unheilvoll verkünden, dass das Erwachsenenleben begonnen hat. Wenn „American Psycho“ ein Buch der Kälte war, dann ist „The Shards“ eines über die Verlorenheit, die ihren Grund in einer sinnentleerten Gesellschaft hat. 

Bret Easton Ellis: The Shards. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2023. 736 Seiten, 28 €

Weinerliche Weiblichkeit

„Ich sterbe“. So pathetisch beginnt der neue Roman von Marlene Streeruwitz. Dass es hier ums gefühlte Sterben geht, versteht man indes schnell. Streeruwitz hatte ihr Buch beinahe fertig geschrieben, ein Buch über das Zurücktasten von zwei Frauen, Mutter und Tochter, in die Welt nach dem Lockdown. Dann aber überfiel Putin die Ukraine, und Streeruwitz schrieb das Buch noch einmal neu. Nun kommt also auch der Krieg darin vor, aber nicht nur. Worüber die beiden Frauen reden, nachdenken, ist eine Ansammlung zeitgeistiger Themen, in der alle Fragen scheinbar gleichgewichtig verhandelt werden.

Krieg, Impfpflicht, Veganismus, Mikroplastik, Affenpocken, Energiekrise. Aber was eine Auseinandersetzung mit gegenwärtigen Krisen hätte sein können, erscheint hier wie eine Ansammlung von Malaisen in zwei nicht gelingenden Leben. Die Selbstbezogenheit der Protagonistinnen, die sich fragen, ob sie wegen des Krieges in der Ukraine hungern und erfrieren werden oder fliehen sollen, macht das Buch in seiner Weinerlichkeit angesichts des tatsächlichen Krieges schwer erträglich.

Marlene Streeruwitz: Tage im Mai. S. Fischer, Frankfurt 2023. 384 Seiten, 26 €

 

Dieser Text stammt aus der Februar-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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