Lenin-Denkmal in Gelsenkirchen - Ein Staatsterrorist als Held

Anderswo werden Denkmäler von Größen der Geschichte geschändet. In Gelsenkirchen errichtet die MLPD heute eine Lenin-Statue. Der makabre Akt konnte von der Stadtverwaltung nicht verhindert werden.

Aus der Rumpelkammer ins Rampenlicht: Die Lenin-Statue in Gelsenkirchen/dpa
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Autoreninfo

Dr. Florian Hartleb ist Politikwissenschaftler. Er lebt seit fünf Jahren in Tallinn, Estland, und ist als Politikberater und -experte zu den Themen Flüchtlinge und Digitalisierung tätig. Im Oktober 2018 erschien sein Buch „Einsame Wölfe. Der neue Terrorismus rechter Einzeltäter“ bei Hoffmann und Campe. Im Februar 2020 wurde das Buch aktualisiert und in englischer Fassung vom Springer-Verlag veröffentlicht. 

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Für Proletarier aller Welt findet heute in Deutschland ein feierlicher Moment der Vereinigung statt, der so gar nicht zum Zeitgeist passt. Schließlich ist es Trend, Denkmäler zu besudeln und Helden vom Sockel zu stürzen. Der Bildersturm von „Black Lives Matter“ hat kulturrevolutionäre Züge, die Furor richtet sich gegen Staatsmänner wie Otto von Bismarck, aber auch Geistesgrößen wie Immanuel Kant. Er prägte den Satz „Habe Mut, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen.“ Das schließt die Auseinandersetzung mit dem Kommunismus ein, der wie der Nationalsozialismus für den Totalitarismus des 20. Jahrhunderts steht, für Gewaltherrschaft, Ideologie und Terror. Nun wird in Gelsenkirchen ein Denkmal eingeweiht, nicht via Ausstellung, sondern ganz real. Eine gusseiserne Statue von Wladimir Iljitsch Uljanow, als Lenin bekannt, wird feierlich enthüllt. 

Initiiert hat das eine offen linksextremistische Splitterpartei, die Marxistische-Leninistische Partei Deutschland (MLPD), die sich nun im Vorhof ihrer Partei mit der importierten Statue schmückt. Das Monument  wurde in der Sowjetunion gegossen und stand vor einer Maschinenfabrik in der damaligen Tschechoslowakei. Von einer Stadt wurde sie nun erworben. Die Stadt Gelsenkirchen hatte zuvor versucht, die Statue gerichtlich zu verhindern und mit dem Denkmalschutz argumentiert. Die gut zwei Meter hohe Figur beeinträchtige das Erscheinungsbild eines Baudenkmals auf dem gleichen Grundstück, argumentierte die Stadt. Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen und das Oberverwaltungsgericht Münster wiesen diese Argumentation jedoch zurück. Nach einer coronabedingten Verzögerung findet nun der der Festakt statt. Er steht unter dem perfiden Motto „Gib Antikommunismus keine Chance". Im Ankündigungstext steht: „Lenin war ein Meister darin, in weltgeschichtlichen Krisen zielstrebig und erfolgreich auf wirkliche, also revolutionäre Lösungen hinzuarbeiten. Und heute erleben wir die dramatischste Krisenentwicklung des Kapitalismus seit dem Zweiten Weltkrieg. Es ist also höchste Zeit für das erste Lenin-Denkmal in Westdeutschland und eine breite gesellschaftliche Debatte über revolutionäre Perspektiven.“ Die Partei sieht in Lenin „einen Staatsmann neuen Typs“. Mehrere Fernsehsender wollten über die Zeremonie berichten, darunter naturgemäß  auch Sender aus Russland, die nun ein gefundenes Fressen haben: Der Kommunismus erhebt sich. Rein optisch beherrscht Lenin Russland noch heute. Mindestens 6000 Lenindenkmäler stehen auf Rathausplätzen, unzählige Hauptstraßen tragen seinen Namen. Und sein einbalsamierter Körper ruht weiter in Moskau. 

Fatales Signal

Beobachter aus dem einstigen Ostblock, etwa in den baltischen Staaten reiben sich verwundert die Augen, da internationale Medien das Thema aufgegriffen haben. Eigentlich dachte man nach dem Siegeszug der liberalen Demokratie und dem „Schwarzbuch des Kommunismus“, das die Gräueltaten von Russland über die DDR bis hin zu Kambodscha dokumentiert: Längst ist der Kommunismus auf dem Müllhaufen der Geschichte gelandet. Davon zeugt etwa der Memento-Park in der Nähe von Budapest, das die monströsen Skulpturen aus kommunistischer Zeit ausstellt und Touristen aus dem Westen drastisch aufzeigt, wie sehr der Kommunismus mit bizarrem Personenkult verwoben war. Eine Lenin Statue begrüßt bereits am Eingang.

Darauf weist auch die Stadt Gelsenkirchen hin, die sich nicht durchsetzen konnte. Ehemalige sowjetische Länder hätten sich von Lenin-Denkmälern getrennt, weil sie Demokratie wollten, heißt es von Andrea Larnest von der Stadt Gelsenkirchen. „Da stellt sich natürlich schon die Frage, wie es überhaupt möglich ist, dass hier so ein Symbol einen Platz findet in einer demokratischen Gesellschaft.“  Überregional hingegen regte sich hierzulande kein großer Protest – ein weiterer Trend.  Von der Linken etwa gibt es keine Stellungnahme dazu. Auch das Gedenken an 17. Juni 1953 – der Arbeiteraufstand war einst wichtiges Narrativ für die Bundesrepublik  –  geht immer mehr unter in der Erinnerungskultur. Dabei ist der Aufbau von Leninstatuen zu Propagandazwecken untrennbar mit dem DDR-Stalinismus verbunden. Walter Ulbricht etwa hatte am 19. April 1970 in Berlin-Friedrichshain vor 200. 000 Menschen das Denkmal 1970 als ein Symbol für den Sieg des Sozialismus enthüllt. Es wurde 1991 gestürzt. Im Schweriner Plattenbaugebiet „Mueßer Holz“ steht hingegen bis heute ein riesiges Lenin-Denkmal. 

Der Wegbereiter Stalins 

Immer noch glauben viele Menschen, dass der Berufsrevolutionär Lenin der menschenfreundliche Kommunist und alleine Stalin der grausame Menschenschlächter gewesen sei. Dieses Propagandamärchen lässt sich aber nicht halten, wenn man die geschichtlichen Tatsachen betrachtet. Dabei Lenin hat den Staatsterror erfunden. In seiner Schrift „Was tun?“ (1902) hatte er als politische Methode Vorschriften zur Strategie und Taktik, aber vor allem seine Vision einer streng disziplinierten, zentralistisch geleiteten Partei entworfen. Diese Ideen erhielten später die Bezeichnung „Demokratischer Zentralismus“ und wurden Grundlage des antidemokratischen und diktatorischen Handelns von Kommunisten weltweit.

Lenin begründete den rhetorischen und moralischen Tenor für die Brutalität Stalins in den 1930er Jahren und schuf die Institutionen, die sie ausführten, allen voran die Tscheka, die politische Polizei. Seine Theorie („Der proletarische Staat ist eine Maschine zur Vernichtung der Bourgeoisie“) hat er systematisch und skrupellos in die Praxis umgesetzt. Unter seiner Herrschaft hat er Zehntausende von Geiseln erschießen lassen. Hunderttausend revoltierende Arbeiter und Bauern wurden in Massakern getötet. Seine Politik hat eine Hungersnot ausgelöst, die fünf Millionen Menschen das Leben kostete. Das alles berührte den bolschewistischen Revolutionär aber wenig. Er rechtfertigte seine Politik des „roten Terrors“ immer wieder auch öffentlich. Widerstand gegen den Bolschewismus definierte er als todeswürdiges Verbrechen. Millionen starben nach dieser Logik des Grauens.

Erfinder des Gulag

Auch der Gulag ist keine Erfindung Stalins. Lenin höchst selbst ordnete an, „die Klassenfeinde der Sowjetrepublik in Konzentrationslagern zu isolieren“, um sie auf diese Weise auszuschalten. 1921 gab es bereits 84 Lager in 43 Provinzen, in denen „unzuverlässige Elemente“ inhaftiert und „rehabilitiert“ wurden.

Duftmarken einer Splitterpartei

Die MLPD, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird, setzt nun eine Duftmarke. Sie, die 1982 gegründet wurde, ist elektoral bedeutungslos, lag bei Bundes- und Landtagswahlen in der Regel zwischen 0,0 und 0,2 Prozent. Sie wird auf 1.800 Mitglieder geschätzt. In Gelsenkirchen, Ort der Parteizentrale, schnitt sie etwas besser ab. UDSSR und DDR kritisiert die Partei gleichermaßen. Beide wären den Versuchungen des „bürgerlichen Revisionismus“ erlegen und hätten den richtigen Pfad des Marxismus-Leninismus verlassen. Die MLPD vertrete hingen den einzig richtigen Sozialismus im Anschluss an Mao-Tse-tung – unter Einschluss von dessen Massenverbrechen. Sich selbst sieht sie berufen, auf dem Weg zu einer Diktatur des Proletariats die „Massen zu lenken und zu leiten“.

Stattliche Geldgeschenke

Die Partei selbst ging aus der maoistischen K-Gruppenszene der 1970er Jahre hervor. Das Denkmal wurde nach Eigenaussage durch 100 Spenden ermöglicht. Damit sei das 10. 000 Euro teure Monument zu 115 Prozent finanziert, was an die Erfolge der Planwirtschaft aus der Ära des zeitweise real existierenden Sozialismus erinnert. Kleinspenden dieser Art hätte die Partei eigentlich gar nicht nötig. Sie verbucht regelmäßig stattliche Geldgeschenke in der Kategorie, die laut Parteienfinanzierungsgesetz unmittelbar veröffentlicht werden müssen. Im laufenden Jahr sind es mehr, als SPD, Grüne und FDP kassieren durften, 2019 steht ebenfalls ein sechsstelliger Betrag in der Bilanz. Sie könnte das Denkmal also aus der Portokasse bezahlen.

Immerhin verfügt die Partei über einen Millionenbesitz von mehr als 10 Millionen Euro. Es stammt aus Mitgliedsbeiträgen, Spenden und Zuwendungen aus Erbschaften.  Großspenden bekam die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) im Jahr 2019 rund 110. 000 Euro, weit mehr als etwa „Die Linke“. 2018 hatte die MLPD 80.000 Euro erhalten. Ob bald auch Mao neben Lenin auftaucht? Und über Gelsenkirchen und das fatale Zeichen für Menschenrechte hinaus: Oder sollten wir uns angesichts der aktuellen Gewaltbereitschaft der Antifa nicht stärker mit dem Linksextremismus auseinandersetzen? Und wie steht es eigentlich mit der Erinnerungskultur an kommunistische Gewalt? 

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