Kulturstaatsministerin Claudia Roth - Urgestein und Paradiesvogel

Hier steht eine mit Verve und Leidenschaft für das ein, woran sie glaubt. Eine überraschende Würdigung von einem politischen Gegner – und persönlichen Freund: Peter Gauweiler schreibt über die grüne Kulturstaatsministerin Claudia Roth.

Das „schwarz-konservative“ Bayern war ihre Lebensschule: Grünen-Politikerin Claudia Roth / Daniel Hofer
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Autoreninfo

Peter Gauweiler ist Rechtsanwalt und ehemaliger langjähriger CSU-Politiker.

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Endlich Minister, möchte man rufen. Auch bei den Roten und Grünen haben es markante Volksvertreter wie Claudia Roth (oder Karl Lauterbach) nicht leicht und sind im parteieigenen Funktionärs-Biotop von Eifersucht umgeben. Man muss sie entweder zu Ministern machen oder in die Wüste schicken. 

Die grüne Doppelspitze hat sich bei Claudia Roth für das Erstere entschieden. Zu Recht. Seit 8. Dezember 2021 ist sie neue Staatsministerin für Kultur und Medien. Herzlichen Glückwunsch, von Urgestein zu Urgestein (auch wenn in ihren „Erinnerungen für die Zukunft“ zu lesen ist, dass sich ihr Freund Rio Reiser zu einem Boykott des Freistaats Bayern entschlossen hätte „aus Protest gegen die diskriminierende Politik Peter Gauweilers“). Von ihr bekam ohnehin jeder von uns – Stoiber, Söder, Beckstein etc. – sein Fett ab, die CDU-Leute sowieso, gut weggekommen waren nur Heiner Geißler und Rita Süßmuth. Was für unsereinen schon wieder alles sagte. Aber – Achtung – nur oberflächlich betrachtet. 

Von der Revoluzzerin zur Staatsministerin

Niemandem ist sie egal. „Zu bunt, zu laut, zu Claudia“, schreibt sie in ihrer Selbstbetrachtung. Ironische Distanz zum eigenen Ich ist in der politischen Welt des permanenten Selbstlobs von absoluter Rarität. Eine Bunte, die sich selbst auf den Arm nehmen kann, muss man erst einmal finden. Jetzt trägt sie Verantwortung für alles Schöne und Gute. Sie, die seit über 25 Jahren eine der großen Aufregerinnen der bundesrepublikanischen Gesellschaft war und biografisch zu den Ziel-erreicht-Repräsentanten der außerparlamentarischen Revolte rechnet. Sie haben unsere liebe Bundesrepublik erst herausgefordert und dann übernommen. An alle Nicht-LINKEN: Not crying! Das ist – wie alles in der Geschichte – nur vorläufig. 

Nach Selbstzeugnissen wollte Claudia als Mädchen Revolutionärin werden, ein andermal Diplomatin. Nun sind beide Ziele erreicht. Journalisten arbeiten sich seit Jahrzehnten an ihr ab. Bild-Kolumnist Franz Josef Wagner kritisierte sie als „Dauerempörte“ und „Heulsuse“. Was er aber da in die Tasten wütete, war die Kritik an einer „Ich-weiß-nicht-was-soll-es-bedeuten“-Empfindung, die – zu Ende gedacht – doch eher einen edlen Zug beschreibt. Leiden am eigenen Land ist urdeutsch. Das gehört zu unserer „Geheimdisposition“ (Thomas Mann). Die allseitige Innerlichkeit will Claudia Roth durch ihre Farben kontrastieren. Paradiesvogel meets Adler. Das hat etwas. 

Kulturpolitikerin durch und durch

Hier steht eine mit Verve und Leidenschaft für das ein, woran sie glaubt. Das – mit ihren Augen betrachtet – „schwarz-konservative“ Bayern war ihre Lebensschule: Ulm, Babenhausen, Augsburg. Unverfälschtes bajuwarisches Schwaben, dem sie auch sprachlich die Treue hält. Sie vertritt bis heute Augsburg, die Römer-, Fugger-, Religionsfriedens-, Bertolt-Brecht-Stadt im Bundestag. Ganz lokalpatriotisch. Im Wort Patriotismus steckt übrigens das lateinische „parentes“ – die Eltern. Mir sind nicht viele „Politische“ begegnet, die so respektvoll und anständig über ihr Zuhause und die Eltern gesprochen haben wie Claudia. Also ist sie auch eine Patriotin. 

Lange Jahre hatte ich im Auswärtigen Ausschuss mit Claudia Roth zu tun; wir waren beide von dort als Volksvertreter in den Unterausschuss für Kultur und Bildungspolitik delegiert. Das hieß zuständig sein für Goethe-Institute, den Deutschen Akademischen Austauschdienst, die Kulturabteilungen der deutschen Botschaften im Ausland und vieles Entsprechende.
Leidet unsere neue Ministerin an einem totalitären Kulturbegriff? So fest sie auf ihrem grünen Glaubensfundament steht, so offen habe ich sie für völlig andere, abweichende Ansichten und Positionen erlebt – zugegeben: wenn ihre erste Empörung über irgendeinen reaktionären Einwand meinerseits nachgelassen hatte. Sie ist gebildet, im Gegensatz zu mir vielsprachig und mit dem unbedingten Willen, einer für gut befundenen Sache zum Erfolg zu verhelfen.

Nicht die Kulturchefin der Nation

Sie verfügt über große Äußerungsbegabung. Den ersten Punkt bei mir machte sie in einer übervollen Kirche im Chiemgau, im bayerischsten Bayern. Ich war für die CSU delegiert, den grünen Landesvorsitzenden Daxenberger zu Grabe zu geleiten. Zunächst nahm ich die Zeremonie von ganz hinten nur akustisch wahr: durch eine grandiose Rede auf den Heiligen Franziskus und seinen Sonnengesang. Es war Claudia Roth, die sprach. Diese vielfach Umstrittene hatte, was man braucht, um authentisch dem großen Auftrag zu dienen. 

Aber jetzt genug mit dem Süßholz. Es gibt Gründe, wo unserer neuen Regierung entgegengetreten werden sollte. Kulturpolitisch, weil unser Staatswesen in Sachen der schönen Künste nicht einer Berliner Zentrale zu folgen hätte, sondern besser als Bund deutscher Länder zur Wirkung kommt. Damit beschäftigen wir uns beim nächsten Mal.

 

Dieser Text stammt aus der April-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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