Kriminologin Britta Bannenberg - Denkmuster der Täter

Die Kriminologin Britta Bannenberg erforscht, wie sich Amokläufe verhindern lassen. Und berät Menschen, die befürchten, dass ein Anschlag bevorsteht. Fatal ist es, sagt sie, wenn die Anzeichen einer Tat nicht ernst genommen werden.

Britta Bannenberg erforscht seit 20 Jahren intensiv die Denkmuster von Amokläufern / Markus Hintzen
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Björn Eenboom ist Filmkritiker, Journalist und Autor und lebt im Rhein-Main-Gebiet.

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Ein kalter Nieselregen legt sich über den Campus der juristischen Fakultät der Justus-Liebig-Universität Gießen. Ein Plakat an der Tür des Lehrstuhls für Kriminologie lässt viel erahnen über die Tätigkeit der Inhaberin dieser Professur, Britta Bannenberg, eine Expertin auf dem Gebiet Amok­läufe und Kriminalprävention. Dort steht in weißen Lettern auf schwarzem Grund: „Sometimes a person never comes back“ – manchmal kommt eine Person nie zurück. „Für mich ist dieser Satz nicht nur eine Mahnung, sondern er besitzt für mich eine gewisse Realität“, sagt die 57-Jährige und nimmt Platz in ihrem Altbaubüro mit Blick auf eine parkähnliche Landschaft. „Ich weiß nur allzu gut, dass ein Anschlag theoretisch jederzeit in das Leben von Menschen einbrechen kann – mit Folgen, die nicht verschwinden oder wiedergutzumachen sind.“

Ob die Amoktat in Hanau, der Anschlag im Olympia-Einkaufszentrum in München oder Amokläufe an Schulen wie in Erfurt oder Winnenden: Bannenberg setzt sich seit 20 Jahren intensiv mit solchen Gewalttaten auseinander. Ihr wissenschaftlicher Werkzeugkasten, um diese Taten zu dechiffrieren, ist breit gefächert. Neben dem Studium von Strafakten, Berichten aus Untersuchungsausschüssen und Analysen aus dem Ausland befragt sie Täter, Opfer und Informanten.

Erforschung von Amokläufern

„Ich beschäftige mich vor allem mit der Frage: Wie realistisch ist es, dass es zu einer schweren Gewalttat kommt, wenn jemand diese ankündigt“, sagt die Kriminologin. Dann versucht Bannenberg, in die Denkmuster der Täter einzutauchen. „Einzeltäter haben im Gegensatz zu Gruppentätern alle eine psychische Störung“, sagt sie. Man unterscheide aber Persönlichkeitsstörungen von schweren psychischen Erkrankungen wie die paranoide Schizophrenie mit Wahngedanken. „Bei diesen Menschen kann die Krankheit so weit führen, dass sie die Realität überhaupt nicht mehr als solche erkennen und nicht mehr einsichtsfähig im strafrechtlichen Sinne sind.“ Bei den Persönlichkeitsgestörten sehe das anders aus. „Die wissen genau, dass sie töten“, erklärt Bannenberg. „Sie fühlen sich aber in hohem Maße dazu berechtigt.“

Um künftige Amoktaten zu verhindern, hat Bannenberg das bundesweit einzige Beratungsnetzwerk „Amokprävention“ gegründet, an das sich jeder wenden kann, der Hinweise auf einen Amoklauf oder einen Anschlag hat.

Dort rufen die unterschiedlichsten Menschen an. Aus Schulen, Unternehmen oder der Psychiatrie. „Ich frage dann immer genau, was für ein Verhalten Sorge bereitet“, sagt die Kriminologin. Der typische Gewalttäter sei impulsiv, aggressiv, unbeherrscht. Bei Amoktätern sehe das anders aus. „Die sind in der Regel nicht vorauffällig, sondern extrem beherrscht, sehr zurückgezogen in der Mimik und wirken auf andere trotzdem bedrohlich. Etwa weil sie Andeutungen über eine Amoktat machen. Oder Sympathien für einen solchen Anschlag äußern. Dann wird es brenzliger.“ Die Krux der Prävention sei, sagt Bannenberg, nicht genau beziffern zu können, wie viele Anschläge verhindert werden konnten. Es gebe aber viele Anzeichen dafür, dass eine Reihe von Fällen tatsächlich sehr ernsthaft waren. „Weil die Personen zugegeben haben, dass sie die Tat begangen hätten, wenn die Polizei nicht eingeschritten wäre. Oder da diese Menschen eingewilligt haben, sich in stationäre psychiatrische Behandlung zu begeben, weil sie Tötungsfantasien und Gewaltfantasien haben.“

Weitere Schwerpunkte

Umso fataler, wenn die Anzeichen einer Tat nicht ernst genommen werden, wie im Fall David Ali Sonbolys, der 2016 in München neun Menschen tötete. Seit seinem 13. Lebensjahr befand er sich bei mehr als zehn Therapeuten und Psychiatern in Behandlung. „Die Vorbereitungsphase der Tat begann etwa anderthalb Jahre vorher. In dieser Zeit sprach Sonboly selbst in einer stationären Unterbringung von seinen bevorstehenden Amoktaten, doch die Therapeuten haben sich letztlich nicht mit diesen Tötungsfantasien beschäftigt. Das ist im Nachhinein tragisch. Mit einer stationären Zwangseinweisung hätte man diesen Amoklauf verhindern können.“

Bannenbergs Forschungsfelder gehen jedoch weit über das Thema Amok hinaus. Mit häuslicher Gewalt befasst sie sich ebenso wie mit organisierter Kriminalität – derzeit besonders mit den Strukturen von Rockerbanden, die wegen einer Kokainschwemme aus Kolumbien und ihrer Gewaltbereitschaft an Bedeutung gewonnen haben.

Ob sie wegen ihrer Forschungen vorsichtiger durchs Leben geht? „Angst habe ich eigentlich selten“, sagt Bannenberg. „Aber ich weiß, was passieren kann. Wenn gewisse Anzeichen darauf hindeuten, dass es für mich gefährlich werden könnte, dann bin ich mir dessen sehr bewusst.“

 

Dieser Text stammt aus der Januar-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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