Koalitionsvertrag - Kultur, aber bitte ökologisch!

Von wichtigen Weichenstellungen zur tendenziösen Lenkung: Die Kulturpolitik im Koalitionsvertrag ist sowohl Anlass zur Freude als auch zur Wachsamkeit. So will man Kunst und Kultur zwar finanziell stärker fördern, gleichzeitig jedoch vor allem das subventionieren, was den eigenen ideologischen – sprich: grünen - Anliegen entspricht.

E-Sports, Klimatheater, freie Szene: Die designierte Kulturstaatsministerin Claudia Roth / dpa
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Autoreninfo

Björn Hayer ist habilitierter Germanist und arbeitet neben seiner Tätigkeit als Privatdozent für Literaturwissenschaft als Kritiker, Essayist und Autor.

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Im besten Fall klingen sie nach einem verschwurbelten Lehrplan, im schlimmsten nach einem Strategiepapier aus einer ausgebrannten PR-Abteilung: Formulierungen wie „Kompetenzzentrum für digitale Kultur“, „Potenziale digitaler Standardisierung“ oder „Bundeskulturfonds als Innovationstreiber“. Was sich im Koalitionsvertrag der Ampel zur Kulturpolitik findet, klingt in Teilen so, als hätten eher allround-educated Coaches daran geschrieben als wahre Kenner der Szene. Aber lassen wir mal den Sarkasmus über sprachliche Irrwege beiseite.

Denn tatsächlich bietet das Kapitel trotz einiger Bedenklichkeiten durchaus Potenziale. So bekennt man sich zu einer langfristig angelegten finanziellen Förderung von Kinos, einer Aufwertung der Erinnerungs- und Gedenkkultur sowie zu einer Mindesthonorierung insbesondere freischaffender Künstler. Dabei versprechen die künftigen Koalitionäre, nicht (wie bislang) primär nur die ohnehin übersättigte Kreativbranche der Hauptstadt in den Blick zu nehmen, sondern auch den ländlichen Raum. Entsprechend heißt es im Positionspapier, dass „in strukturschwachen Regionen […] die Kofinanzierung durch finanzschwache Kommunen auf zehn Prozent reduzier[t]“ werden soll. Dies scheint angesichts des politischen und auch gesellschaftlichen Abdriftens ganzer Landkreise bitter vonnöten und könnte durch eine ebenso angekündigte Maßnahme der Bundesregierung in spe rechtlich gut untermauert werden, nämlich die Aufnahme der Kultur ins Grundgesetz.

Tendenziöse Kulturprogrammatik

Was manche für einen symbolischen Akt halten, hat messbare Folgen. Kommt einem Gut Verfassungsrang zu, resultieren daraus mithin finanzielle Verpflichtungen. Wohl auch dies mag erklären, warum allen voran jene Bundesländer zumeist hohe Kulturetats aufweisen, die bereits solcherlei Staatsziele formuliert haben. Denn dann können sich insbesondere Kommunen nicht mehr aus der Verantwortung stehlen. Die Unterstützung von Stadttheatern und anderen Einrichtungen fiele nicht mehr unter freiwillige, meint: zu kürzende, Leistungen. Aus der Kür würde – so die Hoffnung – die Regel.

Bliebe es bei diesen Absichten, könnten Künstler mit diesem Entwurf gewiss zufrieden sein. Wie so oft gibt es allerdings ein Aber. Schon im Wahlkampf sind die Grünen mit der AfD (selbstredend unter ganz anderen Vorzeichen) durch ihre tendenziöse Kulturprogrammatik aufgefallen. Vieles davon scheint nun auch in den Koalitionsvertrag eingezogen zu sein. Bühne, Literatur, Musik – alles soll nun ökologischer werden. „Green Culture“, noch so ein weiterer Schwurbelbegriff aus der „Kulturmanagementkiste“, soll bewusst gefördert werden. Wie losgelöst und autonom sollen kreative Köpfe dann also noch arbeiten? Freiheit der Kunst bedeutet, dass der Staat sich mit guten oder unguten Interventionen von jedweder kulturellen Produktion fernhalten soll. Man kann dieses Verständnis in Zeiten neuer Kultur- und Sprachkämpfe gar nicht laut genug betonen! Subventionswürdig darf nicht werden, was gerade in das weltanschauliche Profil von Parteien passt. By the way sei übrigens darauf hingewiesen, dass Entwicklungen wie das Klimatheater oder die ausgiebige Beschäftigung der Gegenwartsliteratur mit den Folgen des weltweiten Temperaturanstiegs schon seit Jahren zu beobachten sind, und zwar gänzlich ohne besserwisserische Lenkung.

Keine Wertschätzung für Hochkultur

So manche Autoren haben den Koalitionsvertrag mit Scheuklappen geschrieben. Diese Beobachtung zeigt sich auch an anderen fragwürdigen Vorhaben. Neben dem ominösen „Aufbau eines Datenraum[s] Kultur“ soll Deutschland als „Games-Standort“ gestärkt und E-Sports zu einem gemeinnützigen Anliegen erklärt werden. Aha. Und gibt’s sonst noch was? Stichwort Prioritätensetzung: Statt Geld in die ohnehin wachsende Tech-Branche zu investieren, wäre es geboten, wenig profitable, aber vom kulturellen Standpunkt aus wichtige Segmente zu stabilisieren. Wo bleibt etwa eine klare Beistandserklärung zu einer seit Jahren vor sich hinkrebsenden und sich dennoch immer wieder erneuernden Lyrikszene? Wo liest man etwas zur Unterstützung zeitgenössischer Kompositionskunst? Wo etwas zum Tanz?

Man wird sehen, wie sich die Grünen erstmals in führender Verantwortung für Kultur und Medien schlagen. Für eine Haltung, die die sogenannte Hochkultur besonders wertschätzt, sind sie nicht gerade bekannt. Derweil wäre eine allzu starke Ausrichtung der Förderstrategie auf die freie Szene fatal. Denn Kultur braucht Stetigkeit und daher auch die großen Tanker wie Mehrspartenhäuser oder überregional wirksamen Kunsthallen. Immerhin hat man eine spannende Personalwahl getroffen. Mit Claudia Roth besetzt nun eine Frau das entsprechende Staatsministerium im Kanzleramt, die nicht nur qua ihrer Person eine erfrischende Freigeistigkeit ausstrahlt, sondern auch durch ihren beruflichen Hintergrund Kenntnisse mitbringt, war doch die bisherige Bundestagsvizepräsidentin vor ihrer politischen Karriere als Dramaturgin tätig. Sie dürfte der Kultur in jedem Fall zur deutlichen Sichtbarkeit in der Bundesregierung verhelfen. Sie muss Möglichkeiten schaffen, ohne Bedingungen zu formulieren. Daran wird sich ihr Erfolg bemessen.

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