Kabarett - „Ich gebe der Krise gern ein Gesicht“

Gerade wurde bekannt, dass der Kabarettist Nico Semsrott den Deutschen Kleinkunstpreis 2017 erhält. Erfolg und Freude aber sind nicht so dein Ding. Ein Gespräch über Linke und Rechte, gesellschaftlichen Druck und Depressionen

„Im Kontrast zwischen Anspruch und Wirklichkeit fühlen sich immer mehr Menschen als Versager“ / Andreas Hopfgarten
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Lena Guntenhöner ist freie Journalistin in Berlin.

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Schwarzer Kapuzenpulli, monotone Stimme, emotionsloser Gesichtsausdruck. So tritt Nico Semsrott, geboren 1986 in Hamburg, vor sein Publikum. Das Programm, mit dem er seit 2012 in immer neuen Versionen unterwegs ist, heißt „Freude ist nur ein Mangel an Information“. Darin versucht er als Demotivationstrainer noch viel mehr Menschen depressiv zu machen. Angefangen hat Nico Semsrott als Poetry Slammer, was man auch heute noch merkt. Viele seiner Texte liest er ab – oder tut zumindest so, „um nicht anzugeben“, wie er sagt.

Herr Semsrott, Sie vertreten wie viele Satiriker klassische linke Positionen, kritisieren in Ihrem Programm die AfD, den Kapitalismus und die katholische Kirche. Gibt es auch etwas, das Sie an den Linken stört?
Ich selbst glaube gar nicht, dass es die Linken oder die Rechten oder die AfD-Anhänger gibt. Ich spiele damit zwar als Satiriker. Es ist mein Versuch, die Welt einzuordnen, und das kann ich nur machen, indem ich vereinfache. Aber das sind alles immer aus sehr vielen Individuen mit ganz unterschiedlichen Erfahrungen bestehende Gruppen. Und dementsprechend gibt es bei „den Linken“ sicherlich genauso viele Leute, mit denen ich nicht übereinstimme, wie bei „den Rechten“.

Nämlich welche?
Wenn jemand ausschließt, dass er irren kann, dann kann ich damit nie etwas anfangen. Das ist mir ganz egal, ob das eine tendenziell linke oder rechte Position ist. Ich denke dann immer: „Hä, wie lebst du denn dein Leben? Merkst du nicht auch, dass du dich die ganze Zeit irrst?“ Ich irre mich auf jeden Fall die ganze Zeit und kann mir ziemlich sicher sein, dass, wenn ich eine „So ist es auf jeden Fall“-Aussage treffe, ich damit ziemlich wahrscheinlich daneben liege.

In einem viel geklickten Youtube-Video zeigen Sie dagegen ein gewisses Verständnis für AfD-Wähler. Wie weit geht das?
Ich bin vielen AfD-Anhängern gefühlsmäßig ziemlich nah. Weil ich mich auch oft überfordert, ausgeliefert und ohnmächtig fühle in dieser globalisierten und komplexen Welt. Auf der Analyseebene bin ich dagegen sehr weit weg von ihnen. Denn die Feindbilder, die die haben, sind sehr kurz gegriffen. Wenn ich davon ausgehe, dass es Urheber für dieses ungerechte globalisierte System gibt, dann glaube ich nicht, dass es die zwei Millionen Flüchtlinge sind. Das ist einfach nicht nachvollziehbar.

Viele würden vielleicht gar nicht sagen, dass die Flüchtlinge an ihrer Misere Schuld sind. Aber dass sie die Probleme noch verschärfen.
Ja, das ist, glaube ich, sogar berechtigt. Weil ich in meinem Milieu natürlich in so einer Filterbubble lebe, weiß ich natürlich nicht, wie es tatsächlich zugeht. Ich erfahre darüber auch nur aus den Medien. Aber wenn man jetzt an die Ursache herangeht, dann kommt diese ganze Spannung in der Gesellschaft meiner Meinung nach daher, dass sehr wenige Menschen sehr viel Geld haben. Und das ist zu wenig in der Öffentlichkeit bekannt. Es ist tragisch, dass unser Stammhirn mit abstrakten Zahlen nichts anfangen kann. Mit den Bildern von einem Bahnhof aber schon.

Es heißt auch immer wieder, es gebe in Deutschland Denkverbote. Sehen Sie das auch so?
Überhaupt nicht. Es ist alles erlaubt. Viele können nur damit nicht umgehen, dass sie kritisiert werden. Aber das gehört nun mal zum Diskurs dazu. Wenn man Rassist genannt wird, weil man Menschen einer bestimmten Herkunft pauschal in eine Schublade steckt, dann ist das kein Denkverbot, sondern einfach Kritik. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich irgendwann irgendetwas nicht sagen darf. Und wenn man sich die Medienberichterstattung von den Pegida-Demos und den AfD-Parteitagen anguckt, das wurde ja alles gesendet. Also, wer durfte da irgendetwas nicht sagen?

Sie sagen in Ihrem Programm, dass Sie an politisches Engagement zum Beispiel in einer Partei nicht glauben. Warum nicht?
Natürlich will ich mich irgendwie politisch einbringen, aber ich halte dieses Parteiensystem nicht aus. Teilweise, weil ich die Langeweile nicht aushalte und die Disziplin nicht habe. Zum andern aber auch, weil ich so mit diesem neoliberalen Weltbild gefüttert wurde, dass ich mit Kompromissen gar nicht klarkomme. Ich gehe mit so einem maximalen Anspruch an alles ran in meinem Leben, es muss den Daumen nach oben geben. Es gibt ja noch nicht mal den mittleren Daumen im Angebot, es gibt nur unten oder oben. Das ist das Mindset, was wir alle drin haben und aus dem eine große Verachtung für die Parteiendemokratie kommt. So: „Wie unangenehm, die haben noch nicht mal das Maximum rausgeholt.“ Und das ist natürlich genau der Anspruch, der von Rechtspopulisten kommt. Die sagen auch: „Ist doch blöd, immer nur dieses Rumgeeier, wir wollen jetzt mal, dass das ein starker Mann einfach umdreht.“

Gibt es noch Hoffnung für die Demokratie?
Um das wirklich kompetent beantworten zu können, hätte ich zu Ende studieren müssen. Ich denke, ich mache auf der Bühne deutlich, dass ich Quatsch erzähle und rate. Und dass sich Menschen grundsätzlich irren. Ich würde mir wünschen, dass auch Politiker öfter sagen würden: „Wir haben eigentlich keine Ahnung von dem, was wir hier machen. Wir probieren auch irgendwie rum.“ Das fände ich schön und entspannend und solche Politiker würde ich eher wählen, als die, die behaupten, sie hätten es voll gecheckt.

Die Konsequenz, die Sie aus dieser Situation – zumindest auf der Bühne – ziehen, ist depressiv zu werden und zu resignieren. Ernsthaft?
Ein Grund, warum ich dieses Programm so mache, ist, dass es eine therapeutische Funktion haben soll. Erstmal für mich, ganz egoistisch. Aber wenn es gut läuft, auch als eine Art Gruppentherapie für die Zuschauer. Wenigstens so ein bisschen Trost zu spüren, wenn man sieht, dass man nicht der einzige ist, der sich so fühlt. Und dann ist es auch meine Strategie, alles noch ein bisschen schwärzer zu malen, als ich es persönlich sehe. Damit auch in dem Kontrast wieder eine Erleichterung kommt.

Zieht einen das nicht selbst runter, wenn man immer wieder erzählt, wie schlecht diese Welt ist?
Das mache ich von Natur aus. Ich interessiere mich sehr für Nachrichten. Dann bin ich eh schon deprimiert und dann hat das Programm für mich eine befreiende Funktion. Ich bin häufiger wirklich traurig oder empört, kann das dann aber wenigstens in einen Witz umwandeln. Das auf der Bühne zu erzählen, das deprimiert mich überhaupt nicht. Weil auch die Reaktion ja in der Regel sehr freundlich und fröhlich ist.

Was deprimiert Sie denn dann?
Für mich ist es deprimierend, wenn ich den ganzen Tag Morning-Show-Radio-Stimmung präsentiert bekomme, obwohl ich den Eindruck habe, dass es dafür doch gar keinen Anlass gibt. Also, je größer die Schere auseinander geht zwischen meinem inneren Gefühl und den äußeren Botschaften, desto schlechter fühle ich mich damit. Und deswegen hat ein demotivierender Abend, der jedenfalls so angekündigt wird, tatsächlich etwas motivierendes. So geht es mir jedenfalls.

Wie viel von Ihnen steckt in der Bühnenfigur?
Ich sage auf der Bühne den Satz: „Ich spiele abseits der Bühne eine Rolle, so wie alle anderen auch. Und auf der Bühne kann ich so sein, wie ich tatsächlich bin.“ Das ist der Freiraum, den mir diese Figur gibt, Dinge anzusprechen, die sonst nicht so viel Platz haben. Ich kann ja schlecht in ein Bewerbungsgespräch gehen und sagen: „Übrigens, ich habe Depressionen.“ Das läuft so nicht.

Im Bewerbungsgespräch geht das vielleicht nicht, aber sonst sind Depressionen doch schon lange kein Tabu mehr.
Es ist schon ein totales Medienthema, aber ich glaube nicht, dass das ein Abbild der gesellschaftlichen Realität ist. Je weiter man aufs Land fährt, je mehr man in ein Unternehmen eindringt, desto krasser wird das Tabu. Und das ist auch ein Generationenthema. Wir Jüngeren gehen viel eher zur Therapie. Aber bei unserer Elterngeneration ist das eine ganz andere Sache. Es braucht extrem viel Aufklärungsarbeit, jedes Jahr bringen sich in Deutschland mehr als 10.000 Menschen um. Das ist also nicht so, als ob da wirklich alles getan wäre.

Woher kommt Ihr Interesse an Politik?
Letztendlich aus dem Elternhaus, das wird dann vorgelebt durch Diskussionen am Küchentisch. Und auch der Eindruck, dass die Gesellschaft, in der ich lebe, sehr viel zu tun hat mit meinem Wohlbefinden. Und dementsprechend kann ich nur etwas ändern, wenn ich darüber Bescheid weiß.

Was würden Sie denn ändern?
Mein Wunsch wäre erstmal, den enormen Druck rauszunehmen. Ich weiß natürlich auch nicht, wie das auf der ganz großen Ebene geht. Aber ich finde es brutal, in wie vielen Bereichen wir alle in einem Wettbewerb stehen. Der Wohnungsmarkt ist hart, der Arbeitsmarkt ist hart, dann der digitale Wandel. Der Druck nimmt immer weiter zu. Und die sozialen Netzwerke führen dazu, dass man sich mit 7,5 Milliarden anderen Menschen vergleicht. Das hat zur Folge, dass wir Menschen die ganze Zeit versuchen, so zu tun, als ob wir toller und erfolgreicher sind, als wir sind. Und in diesem Kontrast zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen Wollen und Können, fühlen sich immer mehr Menschen als Versager. Wenn ich könnte, würde ich an diesem Punkt ansetzen, und das versuche ich eben auch so ein bisschen mit diesem Programm. Es ist mein Wunsch, mehr über das Scheitern zu reden, mehr über all diese Ängste.

Wird das nicht schon gemacht? Ständig schlachtet doch irgendwer in den Medien seine Lebenskrisen aus.
Das ist dann sozusagen Scheitern als Chance und nicht dieses echte Scheitern, sondern auch wieder aus so einer neoliberalen Erzählung heraus: Gib dich nicht auf, entscheide dich! Das ist nicht das, was ich meine. Die Ansprüche müssten wieder runtergeschraubt werden so nach dem Motto: „Hey, wenn du das nicht hinkriegst, ist auch egal.“ Aber das System hat es hingekriegt, dass wir nicht mehr mit dem Chef den Streit führen, sondern den Chef in uns drin haben. Wir sind Arbeitnehmer und Arbeitgeber zugleich und streiten uns die ganze Zeit mit uns selbst: „Müsste ich da nicht noch ein bisschen mehr arbeiten?“ – „Nein, ich hätte jetzt gern frei.“ Dass das alles internalisiert ist, das ist das Krasse, was dieses System geschafft hat.

Darf man Ihnen bei diesen Aussichten alles Gute für die Zukunft wünschen – oder gibt es dazu keinen Anlass?
Na ja, die Krise wird erstmal das Programm der nächsten Jahre sein. Und ich gebe der Krise gern ein Gesicht.

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