Klaus Doldinger zum 85. Geburtstag - Der Türöffner

Heute feiert Klaus Doldinger seinen 85. Geburtstag. Ein bescheidener Titan der Musik, jedem im Ohr und kaum jemandem vor Augen. Für den Jazz hat er Brücken gebaut und Mauern eingerissen. Zwischen Genres und zwischen Menschen.

Klaus Doldinger - Foto: Peter Hönemann
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Autoreninfo

Oliver Uschmann kam 1977 in Wesel zur Welt und hat als Schriftsteller und Leiter für literarische Workshops bereits Hunderte von Schulen aller Formen besucht. Einige seiner Jugendromane werden bereits von Schülern in Serbien und Polen gelesen. Derzeit arbeitet er gemeinsam mit seiner Frau und Ko-Autorin Sylvia Witt an neuen Stoffen

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Ein Weihnachtsmarkt. Eine Strandpromenade. Das Bordrestaurant eines Fernzuges. Klaus Doldinger könnte überall dort sitzen, ohne dass der durchschnittliche Deutsche der Anwesenheit einer musikalischen Legende gewahr würde. Doch ertönte an den gleichen Orten eine seiner berühmtesten Melodien – alle würden hören, wiedererkennen und akustisch zu Hause sein.

Das wohl berühmteste Beispiel für diese klangliche Vertrautheit ist die Titelmelodie des „Tatort“. Während die Filmreihe seit ihrem Bestehen ein Experimentierlabor für unterschiedliche Erzählweisen darstellt, ist Doldingers markante Musik seit nunmehr 51 Jahren unverändert zu hören. Mit narrativen Klängen zu „Die unendliche Geschichte“ und „Das Boot“ schrieb er sich kompositorisch in viele Kindheiten und Kinobiografien ein. Wer dem Pfad dann weiter folgte, kam durch diesen Mann zum Jazz – und blieb.  

Zwei musikalische Welten

Schon als Teenager besuchte der 1936 in Berlin geborene Ingenieurssohn Klaus Doldinger neben dem Gymnasium das Robert-Schumann-Konservatorium in Düsseldorf, eine strenge musikalische Stätte, in der einem „ausgeredet wurde, Jazz zu spielen“, wie er in einem Interview von 2010 berichtet. „Die einzigen, die zwischendurch mal einen Boogie hinlegten, waren die Kirchenmusiker.“ 

Der Jazz war damals in Deutschland streng zweigeteilt in den bürgerlichen, zugänglichen Teil mit Dixieland und Swing und die intellektuelle Sphäre des Modern Jazz, zunächst in der Ausprägung des Cool Jazz: betrieben von Kennern für Kenner, unterrichtet in Workshops und strengstens beschützt von einer Musikpolizei, die jede Ansprache eines normalen, nicht gelehrten Publikums zurückwies.

Füße wärmen und Grenzen sprengen

Klaus Doldinger hat diese Entscheidung nie getroffen, sich dem Entweder-Oder stets verweigert. Noch blutjung, startete er 1953 in der Welt des Dixieland mit einer Formation, die die Tanzbarkeit dieser Musik schon im Namen trug, dem Sextett The Feetwarmers. Zehn Jahre lang brachte er dort die Füße in Bewegung und begann zugleich auf seinen ersten US-Reisen den Modern Jazz zu zelebrieren. 1962 gründete er das Klaus Doldinger Quartett und verknüpfte auf „Doldinger – Jazz Made in Germany“ den sich eher als konzeptuelle Kunstmusik begreifenden Cool Jazz mit dem viel stärker afroamerikanisch verwurzelten, härteren, schnelleren und von mitreißenden Improvisationen geprägten Bebop.

Arbeitswütig und voller unstillbarer Neugier, brachte Doldinger in den späten 60er-Jahren unter dem Pseudonym Paul Nero einige Alben mit Blues und Jazz auf den Markt, bevor er 1971 sein Projekt Motherhood in die Band Passport umformte. Passport spielte Fusion Jazz, zeitlich parallel zu amerikanischen Größen des Genres wie Weather Report oder der Formation Return to Forever des in diesem Februar verstorbenen Pianisten Chick Corea. Eine neue Werkschau namens „The First 50 Years of Passport“ gibt derzeit Gelegenheit, sich wieder oder erstmals in diesen Sound einzufühlen. 

Ein Forum für Stile und Könner

Wer sich auf die retrospektive Reise begibt, stellt fest: Wenn neben seinem charismatischen Saxophon-Spiel ein roter Faden im Werk Doldingers zu finden ist, dann besteht er in Dramaturgie und Atmosphäre, im musikalischen Kopfkino. „Dawn“ beispielsweise ist die wohl schönste klangliche Inszenierung der Morgendämmerung abseits der Klassik und Teil des Konzeptalbums „Garden Of Eden“ mit dem „Big Bang“ vor und dem Zweiteiler „Light“ nach der Morgendämmerung. Die Idee des sich Hinsetzens und reinen Zuhörens dieser Art ist älteren Generationen vertraut. Wer Jüngere, die nicht bereits im besten Sinne „Nerds“ sind, darauf aufmerksam machen möchte, sage: „Stell dir vor, es ist wie eine gut durchdachte, in sich geschlossene Streaming-Serie, nur eben als Musik.“ 

Passport war und ist ein Forum für stilistische Einflüsse und wechselnde Musiker, die zur Crème de la Crème ihres Faches gehören. So saßen nach dem nur anfangs dort tätigen späteren Superstar Udo Lindenberg etwa Curt Cress oder Wolfgang Haffner am Schlagzeug, zwei der wichtigsten und besten Drummer, die Deutschland hervorgebracht hat. Auf den mehreren Dutzend Alben von Passport finden sich Einflüsse aus aller Welt. Leger groovender Latin, Reggae in Fusion-Metrik übertragen, Jazzrock in all seinen Facetten. Doldingers Reise nach Marokko fand ihr klangliches Gewand im Album „To Morocco“, ausgezeichnet mit Gold im German Jazz Award, einem Preis, der nach Verkaufszahlen vergeben wird. Die sind und waren im Jazz niemals exorbitant hoch, doch zeigen die mehrfachen Auszeichnungen, die Doldinger auch hier einsammeln konnte, wie er die musikalische Vielfalt immer auch zu den Menschen bringt.

Türöffner statt Türhüter

Was dem seit 1960 mit der gleichen Frau verheirateten Vater von drei Kindern und Großvater von fünf Enkeln immer fern lag, war jeder Dünkel. Selber mit allen Wassern gewaschen, würde Klaus Doldinger niemals irgendjemanden als Publikum ausschließen. Wo andere Türhüter sind, ist er Türöffner. Und wer weiß, vielleicht erkennt ihn auf dem Weihnachtsmarkt, an der Nordseepromenade oder im Bordrestaurant der ein oder andere dann doch. Seine Frisur und die Brille sind die optischen Markenzeichen auch auf dem Silhouetten-Cover des Passport-Jubiläum-Doppelalbums. Beides scheint Doldinger seit Ewigkeiten unverändert zu tragen. Es gibt Wichtigeres zu tun: Unablässig Musik zu schaffen, die dem gerecht wird, was er selber am Jazz im Kern liebt, mehr noch als die rein handwerkliche Herausforderung: „Überzeugungskraft, Herz und Spirit.“
 

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