Kirchenfenster in Sachsen-Anhalt - Licht ins Dunkel

Naumburg, Magdeburg, Wernigerode und sogar kleine Dörfer wie Gütz bei Halle – in Sachsen-Anhalt erobern zeitgenössische Glasmalereien mittelalterliche Kirchen und bauen Brücken zwischen Vergangenheit und Gegenwart.

Neue Fenster im Naumburger Dom / Vereinigte Domstifter, M. Behne / Neo Rauch / Xenia Hausner, Uwe Gellner / Max Uhlig
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Mit welchem Material arbeiten zeitgenössische Künstler? Ölfarbe, Film, Foto – klar. Aber Glasmalerei? Die gehört doch eher ins Mittelalter als zu Künstlern wie Neo Rauch oder Markus Lüpertz. Eine erstaunliche Anzahl von Kirchen in Sachsen-Anhalt beweist das Gegenteil: Zeitgenössische Kunst funktioniert auch in Buntglas. 

Naumburg, Magdeburg, Wernigerode und sogar kleine Dörfer wie Gütz bei Halle – sie alle haben Kirchen, für die zeitgenössische Künstler Fenster entworfen haben. Ähnlich wie das berühmte Fenster, das Gerhard Richter 2007 für den Kölner Dom gestaltet hat, nutzen die meisten der modernen Glaskunstwerke Farben und abstrakte Formen, um universelle Themen wie Offenbarung und Schöpfung darzustellen. Auf anderen sind dagegen Figuren zu sehen, die Episoden aus der ­Bibel oder dem Leben von Heiligen illustrieren. Sie folgen damit einer jahrhundertealten Tradition und entwickeln sie weiter.

Trotz der Kriegsschäden ist Sachsen-Anhalt ein reiches mittelalterliches Erbe geblieben. Nur die originalen Fenster der romanischen und gotischen Kirchen haben die Jahrhunderte fast nie überdauert. Diese Lücken zeitgenössischen Künstlern anzuvertrauen ist ein kluger Schachzug von Domkapiteln, Kirchenvereinen und dem Landesamt für Denkmalpflege, das dazu gemeinsam mit der evangelischen Landeskirche auch das Projekt „Lichtungen“ betreibt: Denn die moderne Glaskunst baut Brücken zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Sie macht mittelalterliche Kirchen für eine Besuchergruppe attraktiv, die sonst vielleicht fernbliebe. Und im Gegenzug spüren die Künstler einen Hauch von Ewigkeit – sie können sicher sein, dass ihre Arbeiten nicht mal so eben abgehängt werden. 


Markus Lüpertz: Dorfkirche von Gütz

Die Dorfkirche von Gütz bei Halle hatte zuletzt Anfang des 20. Jahrhunderts neue Fenster bekommen. Die lebensgroßen Porträts von Christus, Luther und Melanchthon sind heute aber nur noch in Fragmenten erhalten. 2012 fertigte Markus Lüpertz Entwürfe an, um sie zu ergänzen. Christus’ fehlende Füße zeigt er jetzt ans Kreuz genagelt, in neoexpressivem Stil mit dicken schwarzen Konturen. Luther verpasst er riesige Hände, fast schon Pranken, die ein Buch und eine Schreibfeder halten. Ob das allen in Gütz gefällt? Auf den prominenten Maler, dessen Werke nun die Dorfkirche zieren, ist man jedenfalls stolz.


Xenia Hausner: Sankt Johannis in Gehrden 

Eine ungewöhnliche Perspektive auf die Kreuzigung zeigt die österreichische Malerin Xenia Hausner in der Apsis von Sankt Johannis in Gehrden. 2012 hat sie drei Fenster im altmeisterlichen Stil ihrer Gemälde entworfen: Close-ups von Frauengesichtern im Profil, ernste Blicke, rote Wangen. Von Christus am Kreuz ist nichts zu sehen; Hausners Fenster in der romanischen Feldsteinkirche rücken stattdessen die Gottesmutter Maria und die Büßerin Maria Magdalena in den Mittelpunkt. 


Neo Rauch: Naumburger Dom

Der Leipziger Maler Neo Rauch hat 2007 zum 800. Geburtstag der heiligen Elisabeth von Thüringen drei Fenster der ihr geweihten Kapelle im Naumburger Dom neu gestaltet. Das  Glas ist in dramatisches Rot getaucht, weiß stechen die Figuren hervor. Auf den Fenstern ist die Heilige modern gekleidet zu sehen: wie sie sich von ihrem Mann, dem Landgraf Ludwig von Thüringen, verabschiedet, als er zu einem Kreuzzug aufbricht; wie sie Armen Kleider spendet und Kranke im Spital pflegt. Das mittelalterliche Sujet hat Neo Rauch in eine reduzierte Bildsprache übersetzt, die an Comics erinnert – und sich einen politischen Kommentar erlaubt: Der Kreuzfahrer, der sich auf den Weg nach Jerusalem macht, geht an einem Blindenstock.


Max Uhlig: Johanniskirche Magdeburg

In Magdeburg arbeitet der Dresdner Maler Max Uhlig derweil seit 2013 an 13 Fenstern für die wiedererrichtete gotische Johanniskirche. Auf mehr als 300 Quadratmeter Glas malt der 79-Jährige abstrahierte Weinstöcke – ein Symbol für Jesus, der seinen Jüngern im Johannes-Evangelium sagt: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben.“ Eine Hälfte der Fenster ist nur mit schwarzen Pinselstrichen auf transparentem Glas gestaltet. Die andere erinnert mit roten und gelben Tönen an ein Flammenmeer. Eine Anspielung auf den ­alliierten Luftangriff, der im Januar 1945 die Johannis­kirche und mit ihr 90 Prozent von Magdeburgs Innenstadt zerstörte?

 

 

Dieser Text stammt aus dem Reise- und Leseheft von Cicero – einer Sonderausgabe im Juni, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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