Kirchen in der Corona-Krise - Mutlos, einfallslos und kleinkariert

Die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie treffen die Kirchen gerade zu Ostern hart. In einem Gastbeitrag erörtert der Priester Hubert Windisch die Substanz der Kirche und erklärt, welche Konsequenzen die Institution und ihre Mitglieder aus der Krise ziehen müssen.

Sieht so die Zukunft von Gottesdiensten aus? / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Prof. Dr. Hubert Windisch ist Priester der Diözese Regensburg und war bis 2012 Professor für Pastoraltheologie an der Theologischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.

So erreichen Sie Hubert Windisch:

Anzeige

Wir erleben eine ernste Zeit, deren Herausforderungen sich die amtliche Kirche vorrangig auf organisatorische Weise und weniger im Blick auf ihr jesuanisches Fundament stellt. Es scheint fast so, als würde die Finsternis, die bei der Kreuzigung Jesu um die sechste Stunde über das ganze Land hereinbrach, im Augenblick in besonderer Weise auf seiner Kirche lasten.

So finden aufgrund diözesaner Anordnungen wegen der Coronakrise die liturgischen Feierlichkeiten an Ostern nicht öffentlich, sondern höchstens im kleinen Kreis von pastoralen Mitarbeiten statt. Die Kirchen bleiben also während der Liturgie für die Gläubigen, die daran teilnehmen wollen, verschlossen. Ein einmaliger Vorgang in der Kirchengeschichte. Dabei kommen ohnehin nicht mehr viele Gläubige zu den Gottesdiensten in die Kirche.

Kirche unter dem Niveau von Supermärkten

Die wenigen, die sich auf Ostern freuten und Christus real, nicht virtuell empfangen wollten, fühlen sich aufgrund dieser diözesanen Maßgaben von der Kirche alleingelassen. In der NZZ vom 28. März 2020 zeigt die Karikatur der Woche: Leute, die bei Coop und Migros einkaufen gehen, und darunter steht: „Die Landeskirchen bleiben geöffnet.“ Welch ein Hohn: Kirche unter dem Niveau von Supermärkten.

Man kann etwas sarkastisch weiterdenken: Die jetzt allseits empfohlene sogenannte geistige Kommunion könnte bald dazu führen, dass die Gläubigen auch nur noch virtuelle Kirchenmitglieder sein und nur noch eine geistige Kirchensteuer zahlen wollen. Vor allem irritiert die rasche Umsetzung des politisch fragwürdigen Verbots von Gottesdiensten. Sicher muss jeder Bischof und jeder Pfarrer angesichts der gefährlichen Coronakrise alles tun, damit die Sicherheit der Gläubigen bei Gottesdiensten gewährleistet ist.

Kirchlicher Substanzverlust

Aber im Zusammenwirken mit Kirchenverwaltungen und Pfarrgemeinderäten hätte man wahrscheinlich kreativere Lösungen gerade für die Kar- und Ostertage finden können als die Kirchentüren zu verriegeln. So kann der Ortsbischof jeden, der unter dem Vorzeichen der Coronakrise an Ostern nicht in die Kirche kommen kann oder kommen möchte, von der Gottesdienstpflicht ausdrücklich dispensieren. Virtuelle Gottesdienstangebote mögen als Notlösungen gelten. Für diejenigen aber, die in die Kirchen kommen wollen, könnten vor Ort in den Pfarreien – der jeweiligen Kirchensituation entsprechend – die Pfarrer, Kirchenverwaltungen und Pfarrgemeinderäte nicht nur auf die den Sicherheitsvorschriften entsprechende mögliche Anzahl der Kirchenbesucher achten, sondern auch bei sich und den Gottesdienstteilnehmern die nötige Hygiene und den nötigen Abstand garantieren. Es könnte auch, wenn möglich, die Anzahl der gottesdienstlichen Feiern erhöht werden.

Im Markusevangelium wird an verschiedenen Stellen berichtet, wie Jesus von den Leuten – Kranken, Sündern, Ausgestoßenen – hautnah bedrängt wird. Was wäre gewesen, hätte Petrus Jesus in seinem Haus eingesperrt, damit er sich und andere nicht infiziere? Außerdem erschreckt der kirchliche Substanzverlust, der hinter diesen Maßnahmen sichtbar wird. In den ständig neuen Verordnungen und virtuellen liturgischen Angeboten zeigt sich Gottesdienst als bürokratischer Formalismus und Seelsorge als menschenferne l’art pour l’art. Der letzte Kanon des kirchlichen Gesetzbuches, wonach das oberste Gesetz der Kirche das Heil der Seelen ist, gerät aus dem Blick.

Die Frage nach den Konsequenzen

Wie hohl muss der Eingangssatz aus der Pastoralkonstitution Gaudium et spes des Zweiten Vatikanischen Konzils inzwischen klingen: „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi“, und das heißt, insbesondere der Bischöfe und Priester. Und wie sehr entlarvt sich so manch wohlklingendes kirchliches Wort als Schönwetterrede.

Welche Konsequenzen drängen sich auf? Zum einen darf in der Kirche und durch die Kirche in der Öffentlichkeit wieder mehr biblischer Ernst gewagt werden. Seit langem schon wird die Botschaft vom dreifaltigen Gott weichgespült zu einer Allerweltswohlfühlrede und der Herr des Weltalls zur Westentaschengröße geschrumpft, so sehr, dass er in der kirchlichen Alltagsagenda kaum noch eine Rolle spielt.

Realistische Nüchternheit

So bleiben viele amtliche Christen stumm vor der Frage: Warum lässt Gott eine solche Krankheit zu? Sie müssten sich dem Machbarkeitstaumel der Menschen stellen und den Blick lenken auf den Gott der Bibel, über den wir nicht richten können (vgl. das Buch Ijob). Gott ist ein faszinierendes und erschreckendes Geheimnis zugleich. Dieser Gott der Bibel ruft alle Sterne bei ihrem Namen, heißt es in Psalm 147,4 und bei Jesaja 40,26, er lässt verheerende Stürme zu, Vulkanausbrüche, tödliche Wassermassen und Erdbeben.

Sogar der Teufel darf vor dem Ende der Zeit noch einmal von den Ketten (vgl. die Apokalypse, das letzte Buch der Bibel). Zum anderen tut Besinnung not, Besinnung darauf, dass wir sehr begrenzte Geschöpfe sind. Wir leben in Grenzen und mit Grenzen, physischer und psychischer, intellektueller, moralischer und sozialer Art. Es gilt, unsere Grenzen neu in Demut anzuerkennen. Realistische Nüchternheit darf gerne wieder fester Bestandteil kirchlicher Verkündigung werden. Politische, soziale und moralische Naivitäten verbieten sich.

Gleichzeitig aber dürfen wir uns in unseren Grenzen aufrichten, denn Gott ging in Tod und Auferstehung, Jesu selbst in unsere Grenzen ein, um sie mit uns zu bestehen. Die Sakramente sind Zeichen dieser seiner Gegenwart, nicht seiner Abwesenheit. Die öffentliche Kreuzerhebung, nicht die Kreuzablegung durch die Kirche ist angesagt.

Anzeige