Kirche in Deutschland - Gekettet an die politische Elite

Egal ob Flüchtlinge, Islamismus oder Energiewende - zu jedem Thema vertritt die Kirche eine Meinung. Diese ist stets an der politischen Elite ausgerichtet. Die Kirche muss umdenken, sonst verspielt sie ihre Akzeptanz und Glaubwürdigkeit

Die Kirche muss eine neue Debattenkultur entwickeln, damit die Menschen nicht nur zu Feiertagen kommen / picture alliance
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Autoreninfo

Dr. Klaus-Rüdiger Mai, geboren 1963, Schriftsteller und Historiker, verfasste historische Sachbücher, Biographien und Essays, sowie historische Romane. Sein Spezialgebiet ist die europäische Geschichte.

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Vielfach wird die Existenz eines Meinungskanons, „Mainstream“ genannt, beklagt oder begrüßt. Dabei verhält es sich selten so, dass sich die Meinung der Mehrheit in ihm artikuliert. Eher handelt es sich um den Kanon des Sagbaren einer qualitativen Mehrheit der Medien, gesellschaftlicher Institutionen und Parteien, um einen Kanon der in die Öffentlichkeit hineinwirkenden Eliten. Dieser Kanon kann auch als Gradmesser für Meinungsfreiheit und mithin den Zustand einer Demokratie gewertet werden. Umso weiter dieser Kanon gefasst ist, umso größer ist die Meinungsfreiheit und das Maß an Demokratie, umso offener und vielfältiger die Debatten.

Die Kirche ist per se zum nicht geringen Teil an dieser Kanonbildung beteiligt. Das ist gut und wichtig, nur erwächst ihr daraus eine sehr große Verantwortung, der sie gerade als Kirche der Freiheit gerecht werden muss. Es wäre fatal, wenn die Kirche gerade hier ihrer Verantwortung nicht gerecht werden würde, wenn sie an der Reduktion des Kanons mitwirkte, um die Deutungshoheit der Eliten zu festigen. Gerade in einer Untersuchung über das aktuelle Verhältnis von Glauben und Kirche gewinnt die Frage, ob sich die Kirchenleitung zur neuen Elite rechnet, sozial und mental die gleichen Dispositionen teilt, auch aus dem Grund entscheidend an Bedeutung. Ist Kirche in dieser Hinsicht eine Kopie der Gesellschaft in nuce? 

Eine Frage der Macht

Dass gerade die Frage nach den Eliten, dem sogenannten Establishment, den stärksten Populismus-Vorwurf hervorruft, verwundert nicht, geht es hierbei doch um die älteste aller Fragen in der Geschichte der Menschheit, um die Frage der Macht, die nicht nur politische, sondern auch wirtschaftliche, kulturelle, mediale, religiöse Macht einschließt. Es lässt sich nicht übersehen, dass sich ein neues Establishment, eine neue herrschende Klasse herausgebildet hat. Was wir erleben, ist der Kampf dieses Establishments gegen die Folgen des eigenen Versagens, das es aus ideologischen Gründen und vielleicht auch um des Machterhalts willen nicht korrigieren will.

Wenn Kirchenfunktionäre nicht zu einer realistischen Lagebeurteilung zurückkehren, dann verspielt Kirche ihre öffentliche Akzeptanz und Glaubwürdigkeit. Sie schadet überdies dem Christentum, wenn sie versucht, eine an der Wirklichkeit vorbeigehende Hypermoral theologisch zu begründen, wobei zumeist Individualethik für Politik reklamiert und Begriffe wie Gastlichkeit unscharf gebraucht werden. Das Ergebnis ist in der Regel eine hohe Übereinstimmung mit rot-grüner Ideologie. Kirche macht sich dadurch im Wortsinn unglaubwürdig. Längst dringen glücklicherweise auch aus der Kirche selbst Warnungen. So gibt der Theologe Günter Thomas zu bedenken: „Aber erfordert ein ehrlicher Blick zum Beispiel auf die manifesten Nöte in den Staaten der arabischen Welt, Afrikas und Afghanistans nicht anzuerkennen, dass sie die Aufnahmekapazitäten Europas bei weitem übersteigen?“

Gefahr der politischen Theologie

Der Rückzug, den Thomas de Maizière in Sofia angetreten hat, ist eines von vielen Zeichen für das Scheitern der „Flüchtlingspolitik“ der Bundesregierung. Dazu passt, dass am 23. Januar 2018 der geschäftsführende Finanzminister Peter Altmaier in Brüssel den Widerstand der deutschen Regierung gegen die gemeinsame europäische Einlagensicherung aufgegeben hat. Frank Schäffler schreibt dazu: „Sparkassen und Volksbanken, aber auch Privatbanken in Deutschland und letztlich die Einleger bei diesen Banken haften bald für die Schieflage von Banken in Griechenland, Italien oder Spanien.“ Die deutsche Finanzpolitik in Europa ist im gleichen Maße gescheitert wie die deutsche „Flüchtlingspolitik“. Dieses Scheitern wird zu Krisen und zu Verwerfungen führen, die auch an den Kirchen nicht vorbeigehen werden. Sie sollten sich darauf einstellen und eine Debattenkultur entwickeln, die ihre unterschiedlichen Flügel um des Evangeliums willen zusammenhält.

Aber auch der Zweckoptimismus und die Weltblindheit der Herrschenden sind historisch nichts Neues, sondern Begleiterscheinungen des Niederganges. Wenn die Kirche die Augen vor der Wirklichkeit verschließt und die aktuelle Politik theologisch zu rechtfertigen versucht, dann kettet sie sich an politische Eliten und wird deren Schicksal teilen. Darüber hinaus würde sie die Theologie als reine Herrschaftswissenschaft desavouieren und den christlichen Glauben in Misskredit bringen. Der „Feind“ wird zum „Ketzer“ in einer politischen Theologie – oder im Umkehrschluss: Wenn Theologie den politisch Andersdenkenden theologisch als Feind definiert, wird sie zur politischen Theologie und bald schon zur pseudotheologischen Politik.

 

Dieser Text ist ein Auszug aus Klaus-Rüdiger Mais neuem Buch „Geht der Kirche der Glaube aus?“. Es erschien bei der Evangelischen Verlagsanstalt Leipzig, 192 Seiten, 15 Euro.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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