Kino - „Wir leben in totalitären Zeiten“

Am 22. September läuft der Spielfilm „Snowden“ in unseren Kinos an. Regisseur Oliver Stone spricht über seine Treffen mit dem Whistleblower und die Ursachen der Überwachungskultur

Oliver Stone: „Ich versuche, optimistisch zu sein, denn als Pessimist möchte man morgens nicht aufstehen.“ / picture alliance
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Dieter Oßwald studierte Empirische Kulturwissenschaft und schreibt als freier Journalist über Filme, Stars und Festivals. Seit einem Vierteljahrhundert besucht er Berlinale, Cannes und Co. Die lustigsten Interviews führte er mit Loriot, Wim Wenders und der Witwe von Stanley Kubrick.

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Er gilt als das Polit-Schlachtross von Hollywood. Mit „Platoon“ widmete sich Oliver Stone dem Vietnamkrieg, mit „J.F.K“ und „Nixon“ den US-Präsidenten, mit „Wall Street“ den Börsenhaien und mit „World Trade Center“ den Terroranschlägen vom 11. September. Aus seiner Drehbuchfeder stammen auch zwiespältige Stoffe wie „Conan der Barbar“ und „Midnight Express“. Nun präsentiert der Regisseur mit der Biografie von Edward Snowden seinen 20. Spielfilm.

Oliver Stone: Weshalb heißt Ihr Magazin „Cicero“? Cicero war ein Mistkerl! Er war ein total korrupter Mistkerl! Wussten Sie das? Auch der Senat von Rom war korrupt, so wie der heutige Senat der USA und wie alle Politiker. Cicero hat seine politischen Überzeugungen für Geld verkauft. Er verfügte im Senat über das größte Grundstück. Ich erzähle das deswegen, weil wir in der Schule gelernt haben, welch ehrenhafter Mensch Cicero gewesen wäre. Doch das war er nicht, im Unterschied zu Cato. Sie sollten Ihr Magazin nicht „Cicero“ nennen, sondern „Populus Romanus“.

Cicero mögen Sie also nicht, welchen Eindruck hatten Sie bei Ihren Treffen von Edward Snowden?
Snowden ist ein eindrucksvoller, nachdenklicher Mensch. Wir haben uns häufig getroffen und mir erscheint er stabil, ruhig und gut in der Lage, mit der Situation im Exil zurechtzukommen. Seit seine Freundin Lindsay bei ihm ist, ist er viel glücklicher als zuvor. Ich habe keine Zeichen der Verzweiflung an ihm gesehen. Er würde natürlich gerne nach Hause fahren, aber dort könnte er kein faires Verfahren erwarten. 

Ist Snowden für Sie ein Held?
Reden wir lieber über den Film und nicht über mich. Meine Meinung ist irrelevant. Ich bin ein Regisseur und Geschichtenerzähler. Ich präsentiere dem Publikum eine Story, die ich faszinierend finde. Gemeinsam mit meinem Ko-Autoren wollte ich diesen Snowden kennenlernen. Wir haben mit Zeitzeugen gesprochen, Bücher und Artikel über ihn gelesen und uns mit den Darstellungen der Regierung auseinandergesetzt, denn wir wollten nicht vorschnell ein Urteil fällen.

Sie müssen doch eine Meinung zu Snowden haben?
Als die Dinge bekannt wurden, habe ich als Bürger gesagt: „Snowden ist ein Held.“ Aber das ist meine private Meinung. Jetzt beschäftige ich mich mit dem Thema als Dramatiker, das bedarf eines verantwortungsvollen Umgangs. Es ist gut möglich, dass ich während der Recherche Dinge entdecke, die mir nicht gefallen. Auf jeden Fall bewundere ich Snowden für seinen großen Mut. Und dafür, sich mit einem sehr strengen, totalitären Regime anzulegen.

Wie groß ist die Schnittmenge zwischen Snowden und Stone?
Snowden ist gegen die totalitäre Kontrolle durch den Staat. Und das bin ich ebenfalls. Ich glaube, die meisten Menschen, die selbstständig denken, würden da zustimmen. Aber wir leben in totalitären Zeiten.

Welchen Einfluss hat Edward Snowden auf die Demokratie?
Snowden glaubt an die Demokratie und er findet, dass diese transparent sein sollte. Man könnte nun eine fundamentale philosophische Diskussion darüber beginnen, ob die Leute aufgeklärt werden sollen oder nicht. Denn das amerikanische Volk ist nicht bereit für dieses Wissen. Es scheint, als wäre das den Leuten völlig egal.   

Woran liegt dieses Desinteresse?
Amerika hat sich zur größten Konsumnation aller Zeiten entwickelt. Wir sorgen dafür, dass alle immer noch mehr Produkte haben wollen. Darum geht es auch beim Datensammeln, womit die ganze Überwachung begann. Große Unternehmen sammeln Daten, um den Menschen mehr Produkte anbieten zu können. Das ist der Sinn des Lebens: die Konsumkultur. 

Welchen Einfluss hatte die mit dem Oscar ausgezeichnete Dokumentation „Citizenfour“ auf Ihr Projekt?
Überhaupt keinen, unser Konzept war bereits entwickelt, als „Citizenfour“ in die Kinos kam. Wir erzählen zudem eine ganz andere Geschichte. Unser Film umspannt viele Jahre und handelt davon, wie Snowden sich veränderte. Was ging in diesem Mann vor? Was bewog ihn dazu, die vertraulichen Informationen publik zu machen? War er sich der Konsequenzen bewusst? Handelt es sich um einen modernen Prometheus-Mythos von einem ganz normalen Mann, der der Menschheit eine neue Wahrheit zeigt und damit die NSA-Götter erzürnt?

Was waren die Absichten des Edward Snowden?
Snowden möchte ein Reform des Überwachungssystems. Dafür arbeitet er hart und viele Stunden täglich. Er hält Reden und steht in Kontakt mit vielen Gruppen, die ähnliche Ziele haben. Um seine eigene Person ging es ihm nie. Indem er an die Öffentlichkeit ging, überschritt er den Rubikon. Er gab seinen Namen auf und sagte auch: „Ich werde sterben.“

„Terrorismus ist nur der Vorwand, um noch mehr Daten sammeln zu können“, heißt es einmal im Film. Solche Aussagen sind in Amerika, geschweige denn in Hollywood,  nicht oft zu hören.
Das entspricht den Fakten und wurde von vielen Kommentatoren und Terrorismus-Experten bereits ähnlich geäußert. Ich gehöre nicht zu den Fachleuten, aber ich glaube, es stimmt einfach. Die ganze Hysterie nach den Anschlägen vom 11. September erzeugte ein falsches Paradigma von Sicherheit versus Bürgerrechte.

Weshalb haben Sie Ihren Polit-Thriller zum Teil in Bayern gedreht?
Wir hatten gehofft, dass uns ein großes Studio finanziert, doch vergeblich. Deswegen mussten wir nach Europa, wo unser Produzent gute Verbindungen nach Deutschland und Bayern hat. Dort bekamen wir Fördermittel, zudem fanden wir Investoren in Frankreich, während sich in Amerika lediglich ein kleinerer Verleih für diesen Film engagierte. 

Weshalb bekommt ein Oscar-Preisträger einen Korb? Ist dieses Thema zu heikel für Hollywood?
Ich weiß es nicht. Auf jeden Fall ist Snowden in Europa, insbesondere in Deutschland, sehr viel populärer als in den USA.

Wie erklären Sie sich diese unterschiedlichen Reaktionen?
Wer sich nicht mit dem Fall beschäftigt, für den ist die Sache einfach: Wer Geheimnisse preisgibt, ist ein Verräter. Dabei wird unterschlagen, dass Snowden ein Verbrechen beging, um damit ein größeres Verbrechen zu entlarven. Die Idee von zivilem Ungehorsam wird vielfach nicht verstanden.

Wie beurteilen Sie die Präsidentschaftskandidaten, gerade auch Donald Trump?
Trump hat die Exekution von Snowden gefordert und Clinton die ganze Härte des Gesetzes. Dabei hat sie selbst das Gesetz gebrochen. Die Frage nach den Präsidentschaftswahlen ist für mich ein deprimierendes Thema. Clinton hat als Außenministerin viel Schlimmes angerichtet und scheint nicht zu den Menschen zu gehören, die über ihre Taten nachdenken. Die USA sind in echten Schwierigkeiten. Deswegen muss Europa unabhängiger werden. Die EU könnte eine große Kraft für den Frieden werden. Das wäre sinnvoller, als Sanktionen gegen Russland zu verhängen, nur weil Amerika es so verlangt. Und gerade ihr Deutschen kennt doch die Geschichte der Überwachung und des Totalitarismus.

Sind Sie dennoch optimistisch, dass Sie etwas mit Ihren Filmen verändern können?
Oh ja! Darum geht es in der Kunst. Ich versuche, optimistisch zu sein, denn als Pessimist möchte man morgens nicht aufstehen.

Planen Sie den Ruhestand, oder können Sie noch nicht aufhören?
„Snowden“ ist der 20. Film, den ich gedreht habe. Und ich möchte auf alle Fälle noch mindestens meinen 21. Film machen – 21 ist eine gute Zahl.

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