Karl May - Old Shatterhand als Missionar

Nicht einmal in den Abspann der Neuverfilmung seines eigenen Romans schaffte es Karl May. Er droht, in Vergessenheit zu geraten. Doch gerade sein christliches Vermächtnis ist 105 Jahre nach seinem Tod noch nicht ausgeschöpft

Auf seine Weise ein frommer Christ: Karl May / picture alliance
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Autoreninfo

Werner Thiede ist evangelischer Pfarrer i.R., außerplanmäßiger Professor für Systematische Theologie an der Universität Erlangen-Nürnberg und Publizist. Sein neuestes Buch heißt „Unsterblichkeit der Seele? Interdisziplinäre Annäherungen an eine Menschheitsfrage“ (LIT-Verlag 2021).

 

 

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Gerät Karl May zu­nehmend in Vergessenheit? Millionenfach verkauft, geht der Buchabsatz seit einiger Zeit deutlich zurück. Die neue Winnetou-Verfilmung für das Fernsehen versuchte zwar Figuren seiner Werke wiederzubeleben, entferte sich dabei aber so weit von der Vorlage, dass Mays Name weder im Titel noch im Abspann auftaucht. Für ein friedliches Miteinander der Kulturen habe May geworben – soviel kam gerade noch rüber. Wer aber erinnert sich noch daran, dass der fleißige Romancier auf seine Weise frommer Christ war und „Missionar“ sein wollte? Wer weiß, dass er unter dem be­zeichnenden Titel „Him­melsgedanken“ sogar einen ganzen Band mit spirituellen Gedichten und Apho­ris­men veröffentlicht hatte? Und dass sein einziges Theaterstück nicht zufällig „Babel und Bibel“ heißt?

Einst hatten sogar Bischöfe seine Bücher warmherzig empfohlen. Den Fans seiner vielen Reiseer­zählungen kann nicht entgangen sein, wie hier ein christlich motivierter Künstler seinen Glauben direkt und oft auch indirekt in seine Werke einfließen ließ. Doch als auf dem Höhepunkt von Mays Erfolg seine Vorstrafen bekannt wurden und sich herumsprach, dass er all die so anschaulich geschilderten Abenteuer gar nicht selbst erlebt hatte, beschädigte dies massiv sein Ansehen. Wenn er im vorgerückten Alter angesichts vielfältiger Angriffe versuchte zu verdeutlichen, dass seine Arbeit zutiefst vom christlichen Glauben her motiviert gewesen sei, so war das jedoch keine un­glaubwürdige Verteidigung, sondern im Grundansatz plausibel – abgesehen von einigen aus der Not geborenen Zurechtlegungen.

Spiritualität bestimmt sein Schaffen

Schon den jun­gen Men­schen hatten eine fromme Großmutter und dann während seiner Ge­fäng­nisjahre ein katholische Seel­sorger geprägt. Eigene Studien und Refle­xio­nen haben seinem Glauben auch einen theo­so­phi­schen Zug verliehen, aber ohne ihn zu beherrschen. So bewusst es dem begnadeten Er­zähler war, dass er kein studierter oder gar kon­fessionell festgelegter Theo­loge sei, so sehr hielt er an einer christ­lich geprägten Grund­spi­ritua­lität fest. Sie dien­te nicht etwa bloß zu gelegentlicher Aus­schmückung, sondern war mitbe­stim­mend für sein Schaf­fen.

Als ethisches Kernmotiv er­weist sich immer wieder die erstrebte, obschon in dieser Welt nicht perfekt gelingende Ge­walt­ver­mei­dung. Im Alter erklärte er, dass sich Entwicklungen des Geschehens nicht selten vom Niedrigen ins Hohe, ins Gebirge hinauf, abspielen. Schon als ganz junger Schriftsteller hatte May „Geo­gra­phi­sche Predigten“ ver­öffent­licht und dort bemerkt: „Die Heimat, die da droben unsrer wartet, zieht unser bes­tes und schärfstes Denken himmel­wärts und nimmt unser Fühlen und Wollen gefan­gen.“ Dass May mit dem Be­kenntnis zur Sehnsucht nach der „himmlischen Heimat“ auch eine Aus­sage über sich selbst ge­macht hat, steht fest. Noch im Umbruch zu seiner sym­bolischen Spät­phase schrieb er: „Wer die ‚Geographischen Predigten‘ nicht gelesen hat, ist vollständig un­fä­hig, meine Vor­aus­set­zungen und Ziele zu kennen, meine Art und Weise zu begreifen, mein Denken und Wollen zu verstehen.“

Der Glaube ist in Jedem

In der frühen Erzählung „Im ‚Wilden Westen’ Nordamerikas“ bekannte sich Karl May bereits zu der lebenslang durchgehaltenen Überzeugung: „Ein jeder Mensch ist ein Ebenbild Gottes, der die Liebe ist; alle Gesetze menschlicher Entwicklung sollen sich auf das eine, große Gesetz der Liebe gründen, damit das Ebenbild des großen göttlichen Meisters nicht be­leidigt, beschimpft oder entweiht werde.“ In manchen Romanen – keineswegs klischeehaft in allen – bekehrt sich am Ende ein bekämpfter Übeltäter zum Gottesglauben. Das ist kei­nes­wegs nur platte missio­narische Erzähl-Strategie, sondern vielmehr eine innere Ge­wissheit: „Der Gottes­funken ist im Menschen niemals vollständig zu ersticken, und selbst der Wildeste achtet den Fremden, wenn er sich selbst von diesem geachtet sieht. Ausnahmen gibt es über­all. Dürfte ich doch ein Pionier der Zivilisation, des Christentums sein!“ Wegen dieses Herzenswunsches hatte May übrigens am Fenster einen Zettel fixiert, mit dessen Worten er sich selbst mahnte: „Nicht predigen!“

Genau dies tat er jedoch immer wieder – ob in Prosa oder in Gedichtform. In dem erwähnten Gedichtband formulierte er als Gebet: „Hilf mir, o Gott, stets deiner zu gedenken, Und was ich thu, auf dich nur zu beziehn. Ich will nur dich allein im Aug behalten. Und geis­tig mich durch dich für dich gestalten.“ So spricht jedenfalls kein Heuchler.

In einem späten Brief heißt es: „Ich möchte der Mensch­heit meinen Glauben geben, geben, meine Liebe, meine Zuver­sicht, mein Licht, meine Wärme, mei­nen Gott!“ Wie ernst diese Worte zu nehmen sind, zeigen neuerdings mehrere Bücher. Neben Rainer Bucks „Karl May: Der Winnetou-Autor und der christ­liche Glaube“ ist als neu­ester Beitrag Peter Hof­manns „Karl May und sein Evangelium“ her­vorzuheben. Der katholische Theologe ver­tritt die These, May habe sich zwar von Anfang an in theo­lo­gischen Kontexten bewegt, sein „Evangelium“ aber nicht im engeren Sinn an der kirchlichen Tradition orien­tiert. Viel­mehr sei es „ein Be­kenntnis zu der Humani­täts­idee seines Lebens und Strebens“.

Mays sonnige, aber einsame Welt

Das würde ich so nicht unterschreiben. Beispielsweise finden sich in dem Roman „Und Friede auf Erden“ die Verse: „Gebt, was ihr bringt, doch bringt nur Liebe mit, das andre alles sei daheim geblieben! Grad weil sie einst für euch den Tod erlitt, will sie durch euch nun ewig weiter lieben.“ Hier klingt das Wort vom Kreuz an, das durchaus den Glauben an den dreifaltigen Gott voraussetzt. Schon im ersten Band der Gesammelten Werke ist von „dem tief im Herzen wurzelnden Got­tes­glauben“ die Rede. Das damit zitierte Bibelwort aus dem Zweiten Korintherbrief dürfte für May bedeutsam ge­wesen sein – hatte er doch eine von früher Armut und mancherlei Schick­sals­schlägen belastete Exi­stenz! Ein Schwa­cher, der gerade auch wieder im Alter sein Kreuz zu tragen und dem dabei der Glaube immer wieder aufge­holfen hatte. „Ich bin dem Hei­lande nach­gegangen und habe den Frieden des Herzens ge­fun­den“, konnte der Roman­cier als Old Shatterhand be­kennen.

In einem Brief ließ er einen tiefen Blick in sein Inneres zu: „Ja, es ist wahr: ich lebe in einer eigenen Welt. Sie ist so licht, so son­nig, und Engelsflügel schweben auf und nieder. Aber ich wohne da in großer Ein­samkeit. Aus dieser meiner Welt heraus sind meine Bücher ge­schrie­ben worden. Darum ist es nicht so leicht, ihren Inhalt zu begrei­fen.“ Das Phänomen Karl May ist gerade hinsichtlich seiner spirituellen Facetten noch längst nicht ausgeschöpft. Es verdient in unseren Tagen im Kontext seines 175. Geburtstags und 105. Todestags neue Wahrnehmung und Würdigung.

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