- Old Shatterhand als Missionar
Nicht einmal in den Abspann der Neuverfilmung seines eigenen Romans schaffte es Karl May. Er droht, in Vergessenheit zu geraten. Doch gerade sein christliches Vermächtnis ist 105 Jahre nach seinem Tod noch nicht ausgeschöpft
Gerät Karl May zunehmend in Vergessenheit? Millionenfach verkauft, geht der Buchabsatz seit einiger Zeit deutlich zurück. Die neue Winnetou-Verfilmung für das Fernsehen versuchte zwar Figuren seiner Werke wiederzubeleben, entferte sich dabei aber so weit von der Vorlage, dass Mays Name weder im Titel noch im Abspann auftaucht. Für ein friedliches Miteinander der Kulturen habe May geworben – soviel kam gerade noch rüber. Wer aber erinnert sich noch daran, dass der fleißige Romancier auf seine Weise frommer Christ war und „Missionar“ sein wollte? Wer weiß, dass er unter dem bezeichnenden Titel „Himmelsgedanken“ sogar einen ganzen Band mit spirituellen Gedichten und Aphorismen veröffentlicht hatte? Und dass sein einziges Theaterstück nicht zufällig „Babel und Bibel“ heißt?
Einst hatten sogar Bischöfe seine Bücher warmherzig empfohlen. Den Fans seiner vielen Reiseerzählungen kann nicht entgangen sein, wie hier ein christlich motivierter Künstler seinen Glauben direkt und oft auch indirekt in seine Werke einfließen ließ. Doch als auf dem Höhepunkt von Mays Erfolg seine Vorstrafen bekannt wurden und sich herumsprach, dass er all die so anschaulich geschilderten Abenteuer gar nicht selbst erlebt hatte, beschädigte dies massiv sein Ansehen. Wenn er im vorgerückten Alter angesichts vielfältiger Angriffe versuchte zu verdeutlichen, dass seine Arbeit zutiefst vom christlichen Glauben her motiviert gewesen sei, so war das jedoch keine unglaubwürdige Verteidigung, sondern im Grundansatz plausibel – abgesehen von einigen aus der Not geborenen Zurechtlegungen.
Spiritualität bestimmt sein Schaffen
Schon den jungen Menschen hatten eine fromme Großmutter und dann während seiner Gefängnisjahre ein katholische Seelsorger geprägt. Eigene Studien und Reflexionen haben seinem Glauben auch einen theosophischen Zug verliehen, aber ohne ihn zu beherrschen. So bewusst es dem begnadeten Erzähler war, dass er kein studierter oder gar konfessionell festgelegter Theologe sei, so sehr hielt er an einer christlich geprägten Grundspiritualität fest. Sie diente nicht etwa bloß zu gelegentlicher Ausschmückung, sondern war mitbestimmend für sein Schaffen.
Als ethisches Kernmotiv erweist sich immer wieder die erstrebte, obschon in dieser Welt nicht perfekt gelingende Gewaltvermeidung. Im Alter erklärte er, dass sich Entwicklungen des Geschehens nicht selten vom Niedrigen ins Hohe, ins Gebirge hinauf, abspielen. Schon als ganz junger Schriftsteller hatte May „Geographische Predigten“ veröffentlicht und dort bemerkt: „Die Heimat, die da droben unsrer wartet, zieht unser bestes und schärfstes Denken himmelwärts und nimmt unser Fühlen und Wollen gefangen.“ Dass May mit dem Bekenntnis zur Sehnsucht nach der „himmlischen Heimat“ auch eine Aussage über sich selbst gemacht hat, steht fest. Noch im Umbruch zu seiner symbolischen Spätphase schrieb er: „Wer die ‚Geographischen Predigten‘ nicht gelesen hat, ist vollständig unfähig, meine Voraussetzungen und Ziele zu kennen, meine Art und Weise zu begreifen, mein Denken und Wollen zu verstehen.“
Der Glaube ist in Jedem
In der frühen Erzählung „Im ‚Wilden Westen’ Nordamerikas“ bekannte sich Karl May bereits zu der lebenslang durchgehaltenen Überzeugung: „Ein jeder Mensch ist ein Ebenbild Gottes, der die Liebe ist; alle Gesetze menschlicher Entwicklung sollen sich auf das eine, große Gesetz der Liebe gründen, damit das Ebenbild des großen göttlichen Meisters nicht beleidigt, beschimpft oder entweiht werde.“ In manchen Romanen – keineswegs klischeehaft in allen – bekehrt sich am Ende ein bekämpfter Übeltäter zum Gottesglauben. Das ist keineswegs nur platte missionarische Erzähl-Strategie, sondern vielmehr eine innere Gewissheit: „Der Gottesfunken ist im Menschen niemals vollständig zu ersticken, und selbst der Wildeste achtet den Fremden, wenn er sich selbst von diesem geachtet sieht. Ausnahmen gibt es überall. Dürfte ich doch ein Pionier der Zivilisation, des Christentums sein!“ Wegen dieses Herzenswunsches hatte May übrigens am Fenster einen Zettel fixiert, mit dessen Worten er sich selbst mahnte: „Nicht predigen!“
Genau dies tat er jedoch immer wieder – ob in Prosa oder in Gedichtform. In dem erwähnten Gedichtband formulierte er als Gebet: „Hilf mir, o Gott, stets deiner zu gedenken, Und was ich thu, auf dich nur zu beziehn. Ich will nur dich allein im Aug behalten. Und geistig mich durch dich für dich gestalten.“ So spricht jedenfalls kein Heuchler.
In einem späten Brief heißt es: „Ich möchte der Menschheit meinen Glauben geben, geben, meine Liebe, meine Zuversicht, mein Licht, meine Wärme, meinen Gott!“ Wie ernst diese Worte zu nehmen sind, zeigen neuerdings mehrere Bücher. Neben Rainer Bucks „Karl May: Der Winnetou-Autor und der christliche Glaube“ ist als neuester Beitrag Peter Hofmanns „Karl May und sein Evangelium“ hervorzuheben. Der katholische Theologe vertritt die These, May habe sich zwar von Anfang an in theologischen Kontexten bewegt, sein „Evangelium“ aber nicht im engeren Sinn an der kirchlichen Tradition orientiert. Vielmehr sei es „ein Bekenntnis zu der Humanitätsidee seines Lebens und Strebens“.
Mays sonnige, aber einsame Welt
Das würde ich so nicht unterschreiben. Beispielsweise finden sich in dem Roman „Und Friede auf Erden“ die Verse: „Gebt, was ihr bringt, doch bringt nur Liebe mit, das andre alles sei daheim geblieben! Grad weil sie einst für euch den Tod erlitt, will sie durch euch nun ewig weiter lieben.“ Hier klingt das Wort vom Kreuz an, das durchaus den Glauben an den dreifaltigen Gott voraussetzt. Schon im ersten Band der Gesammelten Werke ist von „dem tief im Herzen wurzelnden Gottesglauben“ die Rede. Das damit zitierte Bibelwort aus dem Zweiten Korintherbrief dürfte für May bedeutsam gewesen sein – hatte er doch eine von früher Armut und mancherlei Schicksalsschlägen belastete Existenz! Ein Schwacher, der gerade auch wieder im Alter sein Kreuz zu tragen und dem dabei der Glaube immer wieder aufgeholfen hatte. „Ich bin dem Heilande nachgegangen und habe den Frieden des Herzens gefunden“, konnte der Romancier als Old Shatterhand bekennen.
In einem Brief ließ er einen tiefen Blick in sein Inneres zu: „Ja, es ist wahr: ich lebe in einer eigenen Welt. Sie ist so licht, so sonnig, und Engelsflügel schweben auf und nieder. Aber ich wohne da in großer Einsamkeit. Aus dieser meiner Welt heraus sind meine Bücher geschrieben worden. Darum ist es nicht so leicht, ihren Inhalt zu begreifen.“ Das Phänomen Karl May ist gerade hinsichtlich seiner spirituellen Facetten noch längst nicht ausgeschöpft. Es verdient in unseren Tagen im Kontext seines 175. Geburtstags und 105. Todestags neue Wahrnehmung und Würdigung.