Medien und Meinung - Haltung ist kein Journalismus

Jeder Journalist hat eine Weltanschauung. Doch wenn diese den Blick auf die Wirklichkeit bestimmt, wird Schadenfreude oft zur Geschäftsgrundlage und Tücke zur Tugend. Ein Chefredakteur hat sich jetzt dazu bekannt

Wenn sie zur Schadenfreude wird, steckt zwischen den Zeilen zu viel Haltung / picture alliance
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Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Haltung als Meinungsabwehr und Begriffszauber: Daran haben wir uns gewöhnt. Wer heute nach Haltung ruft, der meint die eigene. Der appelliert nicht an andere, sondern stellt sich selbst einen Persilschein aus, um gegen Kritik immun zu sein. Der Haltungsmensch ist der gute Mensch mit der richtigen Ansicht. Die abweichende ist die irrige Meinung, vorgebracht von bösen Leuten. So ähnelt die Haltung als Begriff und Ruf jener Schutzrune in den Händen von Thronerbe Gottfried, mit der die diesjährige Bayreuther „Lohengrin“-Inszenierung endete. Der gute Herold war da übrigens ein giftgrünes Grasmännchen und insofern ein böser Kommentar zur deutschen Parteienlandschaft und deren derzeit schrillster haltungsgymnastischer Sondergruppe.

Ein Chefredakteur mit Schadenfreude

Wer Haltung sagt, der will betrügen: An diesen schlimmen Verdacht beginnen wir uns schleichend zu gewöhnen. Nun hat ein Journalist ausgeplaudert, was mittlerweile das Schwungrad der Haltung eben auch befeuert: die Schadenfreude. Besagter Journalist stammt nicht aus dem für Zynismen jedweder Art bekannten Berliner Politbiotop, sondern aus Ulm. Das macht die Sache brisant. Bis in die Tiefen der Provinz, bis zur Südwest-Presse unter Chefredakteur Ulrich Becker ist der aburteilende Bekenntnisstolz vorgedrungen. Becker schreibt am 7. August 2018: „Schadenfreude“ habe bei ihm die Meldung ausgelöst, Markus Söder sei „der unbeliebteste Landesvater der Republik“. Nichts anderes habe der „laut tönende Rechtsausleger“ verdient

Anlass für Ulrich Beckers Schadenfreude ist eine Umfrage des Forschungsinstituts „Forsa“, das bekanntlich vor der vergangenen Bundestagswahl CDU/CSU und SPD um insgesamt rund viereinhalb Prozentpunkte zu hoch und somit erheblich zu positiv eingeschätzt hatte. Unbeschadet von der Zuverlässigkeit der „Forsa“-Zahlen, wonach Markus Söder unter etwa 500 befragten Bayern auf eine Zustimmungsrate von 31 Prozent komme, dürfen wir die Schadenfreude beim Wort nehmen. Ein Journalist in verantwortlicher Position hofft auf ideologische Terraingewinne dadurch, dass er Schadenfreude für angebracht und angemessen hält, sofern es gegen die CSU geht. Boshafte Freude über das Missgeschick eines Mitmenschen, fieses Grinsen am Rand der Pfütze, in der der Nebenbuhler ausrutschte, am Fenster, vor dem der Verwandte einen schlimmen Unfall baute: Die Tücke wird Tugend, sobald der Feind politisch rechts vom eigenen Standpunkt steht. 

Haltung als Clubausweis

Wenn nun die linke Fernsehjournalistin Anja Reschke, Redaktionsleiterin Innenpolitik beim NDR, ein Büchlein ankündigt mit dem Titel „Haltung zeigen“ zur Frage, „ob Journalisten Haltung zeigen sollen“, während der linke Fernsehjournalist Georg Restle, Redaktionsleiter des WDR-Magazins „Monitor“, für einen „werteorientierten Journalismus“ plädiert, der Einbußen an Neutralität in Kauf nimmt, dann wird der ewige Kreislauf der Selbsterklärung und Fremdanklage nicht verlassen. Im wetterfest richtigen Bewusstsein hat sich eine politmediale Elite eingerichtet, die sich um Fortkommen und Auskommen nicht sorgen muss. 

Haltung ist da Clubausweis und Orden zugleich. Wer ihn trägt, ist ein Guter inmitten von Guten, auch wenn er böse Gefühle hegt. Menschlich ist all das, menschlich sind Schadenfreude und Sendungsbewusstsein und Häme, sind Stolz und Vorurteil. Professionell freilich ist es nicht, und zu höheren Weihen berechtigen solche Haltungsfestspiele vor der Fankurve keineswegs. Draußen bleiben die Wirklichkeit und die Mühe des eigenen Gedankens, bleibt aller Geist. 

Der in Bayreuth jetzt so giftgrün schimmernde Thronerbe Gottfried von Brabant übrigens ist bei Richard Wagner eine stumme Rolle, und tatsächlich fiel er dann in einer Schlacht. Aber das ist lange her.

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