Jens Spahn - Einen Weltenbummler, bitte

Jens Spahn, der Oberhipster der CDU, kritisiert, dass Kellner in der Hauptstadt zunehmend nur noch Englisch sprechen. Offenbar ist ihm die Globalisierung fremd geblieben. In Berliner Cafés nerven ganz andere Dinge

Ohne Englischkenntnisse könne man in manchen Berliner Stadtteilen nicht mal mehr Kaffee bestellen, so Jens Spahn / picture alliance
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Holy Summerhole, da hat der Jens Spahn aber mal einen rausgehauen! Debattenpflichtschuldigst haben wir natürlich gleich nachgelesen, was der alerte Finanzstaatssekretär von der münsterländischen CDU heute in der Zeit von sich gegeben hat. Mein erster Eindruck, schon in der ersten Hälfte des Textes: Ich werde alt. Spahn ist taufrische 37 und deshalb offenbar ständig in der Berliner Hipster-Gastronomie unterwegs, wo man – so seine Beobachtung – ohne Englischkenntnisse nicht einmal mehr einen Latte Macchiato bestellen kann. (How do you say Latte Macchiato in English, by the way?) Weil ich selbst bisher noch von keinem Berliner Kellner (oder von Leuten, die sich dafür halten) wegen einer Bestellung auf Deutsch abgewiesen worden bin, kann das nur heißen: Ich verkehre in den falschen Lokalen. Also in Bars und Restaurants, die so unhip sind, dass man dort ohne Fremdsprachenkenntnisse durchkommt. Mein Fehler!

Was in der Berliner Gastro-Szene wirklich nervt

Aber darauf wollte Jens Spahn offenbar nicht hinaus. Was er, in einem Satz zusammengefasst, sagen will: Wir können von Zuwanderern nicht erwarten, dass sie unsere Sprache lernen, wenn wir uns selbst nicht mehr miteinander auf Deutsch unterhalten. Mag ja sein, aber die Berliner Hipster-Gastronomie (wo auch immer sie sich befindet) ist als empirische Basis für diesen Befund ungefähr so dürftig wie der Beitrag von Mcdonald's zur erdverbundenen Regionalküche. Whatever. Wenn es schon um sprachverhunzende Anglizismen geht, dann lohnt vielleicht auch mal der Blick in eine Konferenz („Meeting“) der von Spahn gerühmten mittelständischen Unternehmen mit all den „to do’s“, „workflows“, „quality mismatches“ oder „Extrameilen“. Die Mutter aller falschverstandenen Sprach-Weltläufigkeiten stammt, nach meinem Eindruck, übrigens aus der tiefsten gastronomischen Provinz: Die Rede ist von den ungezählten „Gabi’s Kneipen“ und „Rudi’s Wursttheken“ mit dem apostrophierten Genitiv à l’anglaise.

Wenn es in der Berliner Gastronomie, vom unfähigen Personal abgesehen, etwas gibt, das wirklich nervt, dann ist es nicht der englischsprechende Möchtegern-Kellner aus Belgrad oder Bad Belzig. Sondern der unaufhaltsam scheinende Trend zur deutschen Blut-und-Boden-Küche, bei der nur noch Produkte verwendet werden, die aus einem Umkreis von maximal 50 Kilometern stammen dürfen (auch bekannt als „Nova Regio“). Das mag zwar in von der Natur gesegneten Landstrichen seinen Reiz haben; für eine vom frugalen Brandenburg umgebene Metropole wie die deutsche Hauptstadt gilt das eher nicht. Bemerkenswert ist auch die von Jens Spahn bemühte Parallele zwischen dem höfisch-französisierenden Adel des 18. Jahrhunderts und der Berliner Szene-Gastronomie: Ob in letzterer der Gebrauch der englischen Sprache wirklich als Distinktionsgewinn zu deuten ist, wie Spahn unterstellt? Es wäre jedenfalls eine sehr noble Erklärung für die in den Berliner Easyjet-Vierteln ostentativ zur Schau getragene Schluffigkeit.

Bluejeans statt Baströckchen

„Die neue Globetrotter-Szene trifft sich in Clubs, wo die gleiche Musik gespielt wird wie in Belgrad oder Brüssel. Und in Cafés, die exakt so eingerichtet sind wie die angesagten Läden in London oder Lódz“, klagt Jens Spahn. Recht hat er, man kennt das Phänomen auch unter dem Begriff „Globalisierung“. Es sollen sogar schon Afrikaner gesichtet worden sein, die statt Baströckchen inzwischen Bluejeans an den Beinen haben. Das wird allenfalls wieder gutgemacht durch lederhosentragende Italiener auf dem Münchener Oktoberfest. Ganz nebenbei: Die Idee, Unterkünfte in aller Welt nach dem gleichen Muster auszustatten, stammt von Conrad Hilton, der auf diese Weise seine amerikanischen Gäste fernab der Heimat vor möglichen Kulturschocks bewahren wollte. Er wäre mithin eine Art Ur-Hipster ohne Bart gewesen.

„Ich würde mich deshalb freuen, wenn wir Deutschen zu einem gelasseneren Umgang mit uns selbst und unserer Sprache finden würden“, schlussfolgert Jens Spahn aus seinem Streifzug durch die sprachlichen Abgründe der Berliner Szenegastronomie. Darauf einen Cosmopolitan! Oder wie man in einer deutschen Bar sagen würde: Einen Weltenbummler, bitte! Zur Not auch to go.

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