Keine Zeit zu sterben - James Bond jagt den Gevatter Tod

Mit „Keine Zeit zu sterben“ kehrt 007 auf die Leinwand zurück. Man sollte sich diesen Film auf keinen Fall entgehen lassen, denn der letzte Bond mit Daniel Craig ist in gewisser Weise ein Alterswerk. Es geht um die Frage, ob man altern kann, ohne zuvor gereift zu sein.

Daniel Craig als James Bond in der Szene eines Trailers zum James-Bond-Film „Keine Zeit zu sterben“ / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

So erreichen Sie Ralf Hanselle:

Anzeige

Nichts war mehr so wie zuvor. Nadja hatte mich verlassen, und M, diese letzte Autorität im Leben eines Mannes, wurde von nun an durch eine Frau verkörpert: Dench, Judi Dench. Es war das Jahr 1995. Ich hatte gerade mit dem Studium begonnen, als in den Kinos der kleinen Universitätsstadt der bis dato 17. James-Bond-Film anlief: GoldenEye – eine Geschichte um das Ende des Kalten Krieges, um ein russisches Satellitensystem mit Atombombenaufsatz und eine Terrororganisation mit dem sprechenden Namen Janus. 

Erstmals war Pierce Brosnan in der Rolle des ewigen Peter Pans mit der Lizenz zum Töten zu sehen. Doch der war nicht das Problem. Im Gegenteil, niemand hat das Wesen des 1953 von dem britischen Schriftsteller und Ex-Spion Ian Fleming entworfenen MI-6 Agenten mit der Doppelnull wohl so gut verkörpert wie der ewige Strahlemann aus dem irischen Städtchen Drogheda. Selbst Sean Connery, dieses Urviech in Gestalt eines britischen Gentlemans,  kam an diese rollenspezifische Abwesenheit von körperlicher wie seelischer Tiefe nicht heran. Nein, das Problem war ein anderes. Gleich im Trailer von GoldenEye kam es zur Sprache: „Es ist eine neue Welt, mit neuen Feinden, neuen Gefahren.“

Aufgetaute bipolare Blöcke

Was für ein Satz. So klar wie vielversprechend – vor allem aber absolut wahr. Vermutlich hatte ihn das dreiköpfige Drehbuch-Team um Bruce Feinstein aber damals nur in dem kleinen Werbevideo untergebracht, um deutlich zu machen, dass sich die geopolitische Lage seit dem letzten James-Bond-Film mit dem etwas einlullenden Timothy Dalton in der Hauptrolle radikal verändert hatte: Die Sowjetunion war inzwischen verschwunden, die bipolaren Blöcke, die 40 Jahre lang wie tiefgefroren nebeneinander gelegen hatten, waren aufgetaut. Und die neue Weltordnung lag noch ungesehen vor uns wie ein matschiges Schneefeld. 

Sechs Jahre lang hatte es zuvor keinen James-Bond-Film gegeben – offiziell, weil es Streitigkeiten zwischen dem damaligen Produzenten Albert R. Broccoli und dem Filmkonzern Metro-Goldwyn-Mayer gegeben hatte. Hinter vorgehaltener Hand aber wussten wir natürlich alle den wahren Grund: Die Geschichte um einen draufgängerischen Agenten in den Wirren des Kalten Krieges war auserzählt. Wer brauchte noch Liebesgrüße aus Moskau, wenn Michail Gorbatschow längst die ganze Welt liebkost, und ein gewisser Francis Fukuyama nicht nur den klassischen Spionagethriller, sondern gleich alle Geschichten an ihr Ende getrieben hatte? Die Friedensdividende, so schien es zumindest für ein kurzes Zeitfenster in der Geschichte, hatte selbst die Walther PPK des smarten Spions vom Londoner Secret Service entschärft. 

Letzter Held im Zaubermärchen

Doch der Weltgeist lebt nur zweimal. Mit Pierce Brosnan schien er noch einmal zurück auf die große Leinwand gekommen zu sein: Bond, James Bond; der letzte Held in einem modernen Zaubermärchen. Einer, der nicht nur weiß, wie man Stecktücher faltet oder stilsicher grüne Oliven aus filigranen Rührgläsern fischt; vor allem ist er der, dem die Weltgeschichte nicht post-historisch aus den Händen geglitten ist. Tapfer und mit ganzer Manneskraft führt er sie in jedem neuen Film, den Albert R. Broccoli und später dessen Tochter Barbara hat werden lassen, zum Guten. 007, das ist noch immer die Weltseele im Aston Martin.

Es hätte also alles weiterhin gut sein können in dieser neuen Welt mit ihren neuen Abenteuern – auch nach dem Ende des Kalten Krieges. M aber machte mir und meiner Generation einen Strich durch die Rechnung. Intuitiv haben wir es damals alle gewusst: Die archetypische Heldenreise, seit den Gebrüdern Grimm der Urstoff, aus dem die Märchen sind, konnte mit einer weiblichen Vorgesetzten nicht mehr gelingen. 37 Jahre lang hatte ein Mann die Führung über Commander Bond innegehabt, nun aber sollte mit Judi Dench ein Mutterimago in die Londoner MI6-Zentrale einziehen. Die Initiation des polyamorösen Playboys zum ausgereiften Mann schien für Jahre ins Stocken geraten zu sein. Heiliger Sigmund Freud, hilf! Das also war die Welt mit den neuen Gefahren.

Neue Frauenquote

Plötzlich stand das Gewohnte Kopf, und das nicht nur wegen der neuen Frauenquote im britischen Secret Service. Und auch nicht, weil Bond-Girls wie Denise Richards oder Michelle Yeoh in jenen Jahren immer autarker und eigenständiger wurden – nein, dem Märchen ist es schließlich egal, wenn sich die Zeichen auf der Oberfläche verschieben. Weit wichtiger war, was darunter geschah. Denn das, was James Bond bis dato im Innersten zusammengehalten hatte, war eine Coming-of-Age-Geschichte, eine Reise ins tiefenpsychologische Unterholz.

Alles hatte Bond-Erfinder Ian Flemming, Sohn eines Torys aus dem Britischen Unterhaus, einst für diese Reise bereitgestellt: Eine Welt, die so zweidimensional war wie eine Seelenlandschaft der Frührenaissance, Figuren, die oft ohne Geschichte und Tiefe auskamen, vor allem aber Handlungsabläufe, die sich quasi mechanisch fortentwickelten. Alle seelischen Triebkräfte des Menschen wurden hier durch äußere Anstöße ersetzt. Man musste sich nur auf das Match der großen Verwandlung einlassen – so wie eben Bond, James Bond, der große Spieler aus dem Casino Royale.

Femmes fatales aus dem Supermarkt

Da war Q, der moderne Druide, der schon am Beginn einer jeden Reise dem tapferen Helden im Schneiderleinmaßanzug alle Schlüssel mit an die Hand gab, die später noch einmal wichtig werden würden. Da waren Gehilfen mit sprechenden Namen wie Quarrel oder Christmas Jones, aber auch Riesen und Gespenster waren zu sehen: Mr. Kil oder der Beißer. Und vor allem waren da Frauen – Frauen, so schön und flächenhaft, als wären sie Femmes fatales aus dem Supermarkt; sie trugen mystische Namen wie Pussy Galore, Elektra King oder Strawberry Fields. Für unseren nachreifenden Helden waren sie so glatt wie die Benutzeroberflächen seiner unzähligen technischen Accessoires.

Alles war also bereit. Doch seit GoldenEye welkte das Wesentliche dahin: der innerpsychische Impuls, um überhaupt noch in die Welt zu ziehen. „Tausend Gründe findet das Märchen, einen Helden auswandern zu lassen“, hatte einst noch der große Märchenforscher Max Lüthi geschrieben. Für James Bond reichte sogar lange Zeit ein einziger: Die Kastrationsdrohung von Chef und Vaterfigur M. Immer nämlich, wenn sich Bond in seinen ersten Lebensdekaden an Chefsekretärin Moneypenny heranschmiss, erklang von irgendwo die mahnende Stimme des Übervaters. So blieb am Ende nur die Flucht ins eigene Abenteuer: „Ich hätte Sie gerne zum Dinner ausgeführt, Moneypenny. Aber am Ende würde mich M wegen des Missbrauchs von Staatseigentum erschießen.“ 

Im Dienste Ihrer Majestät

So war James Bond über Jahre hinweg die Geschichte eines jungen Mannes, der Vater und Mutter verlassen musste, um in der Welt die Frauen und sein Glück zu finden. Und das ging auch lange Zeit richtig gut, bis eben ins Jahr 1995. Hier endete die eigentliche Heldenreise. Was dann noch folgte, waren typische Actionfilme, die nur noch wenig mit der Märchenfahrt des letzten Helden im Dienste Ihrer Majestät zu tun hatten. 

Spätestens mit Daniel Craig in der Rolle des smarten britischen Doppelnull-Agenten war auch der merkwürdige Zauber der Oberfläche dahin. Aus dem Affekttheater aus Fundstücken, Aufgaben, Verboten, Glücksfällen und Widerständen wurde ein ganz normaler Agententhriller. Und mit Skyfall aus dem Jahr 2012 hatte Bond sogar das, was vor ihm noch nie ein Märchenheld gehabt hat: eine Beziehung zu seiner eigenen Geschichte, ein Verhältnis zu Vor- und Nachwelt, Mutter, Vater, eine Biografie.

Lohnt es sich bei all diesen Veränderungen dann überhaupt noch, in den am Donnerstag anlaufenden 25. James-Bond-Film mit dem etwas gehetzten Titel „Keine Zeit zu sterben“ zu gehen? Die Antwort liegt auf der Hand: Man sollte sich diesen Film auf keinen Fall entgehen lassen, denn der letzte Bond mit Daniel Craig ist eine Art Alterswerk ohne Altersweisheit: James Bond genießt hier seinen Ruhestand auf Jamaika, als mit einem alten Freund ein letztes Abenteuer bei ihm anklopft. Es geht somit um die vielleicht wesentlichste Frage einer Generation, die am Ende ohne Heldenreise auskommen musste. Damals, im Sommer 1995 habe ich sie mir wohl zum ersten Mal gestellt: Kann man eigentlich auch altern, ohne zuvor gereift zu sein?

Anzeige