Installationskünstler Manaf Halbouni - Grau ist auch nur eine Farbe

Berühmt wurde Manaf Halbouni als „der Typ mit den Bussen vor der Frauenkirche“, jetzt hat der Installationskünstler seine erste Einzelausstellung im Lübecker Museum St. Annen. Das musste wegen einer Bombendrohung geräumt werden. Halbounis Kunst wird kontrovers diskutiert. Porträt eines unbequemen Kreativen.

Wurde quasi über Nacht berühmt: Der deutsch-syrische Künstler Manaf Halbouni / Luca Abbiento
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Jana Kühle arbeitet als freie Autorin und Fotografin in Hamburg und Berlin.

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Ein spätsommerlicher Montagvormittag, das Septemberlicht fällt warm zwischen die Betonbauten, sogar das Berliner Grau wirkt heute unerwartet ansehnlich. Manaf Halbouni ist erst frisch von Dresden in die Hauptstadt gezogen. Sein Atelier hat der viel beschäftigte und selbst ernannte Kunstnomade noch nicht eingerichtet. Und doch ist er jeden Tag acht Stunden dort, „eleven to seven“ statt „nine to five“. Hier ein Kaffee, da ein Blick in sein Little Black Book, in dem er seine Ideen bündelt. Was bisweilen wie diszipliniertes Nichtstun aussieht, ist für den Künstler der Schlüssel zur Kreativität: Die besten Ideen kommen ihm beim Meditieren. 

Heute aber sind wir mit ihm in seiner neuen Wohnung verabredet, von der er nicht möchte, dass wir sie näher verorten. Zu viele Hassmails hat er in den vergangenen Jahren erhalten, darunter auch Morddrohungen. „Wer meinen Namen googelte, bekam als erstes Schlagwort ‚Islamist‘“, erinnert sich der 36-Jährige ins Jahr 2017 zurück, als sein symbolträchtiges Kunstwerk neben der Dresdner Frauenkirche aufgerichtet war: drei auf der Schnauze stehende Busse, rund um die Uhr beschützt. Ein Werk der Kontextualisierung, verweist es doch auf die einstige Busbarrikade im syrischen Bürgerkrieg zum Schutz gegen scharfe Geschosse. Was von Halbouni als Friedensmahnmal installiert worden war, wurde von Pegida-Demonstranten als volksverräterischer Angriff gelesen. 

„So einen Scheiß brauchen wir hier nicht“

Wir nehmen Platz auf dem roten Sofa unter einem großformatigen Tafelbild von Christian Manss, einem Dresdner Künstlerkollegen. Daneben ein selbst kuratiertes Diptychon: eine Ikone des syrischen Künstlers George Januras, platziert neben einer zeitgenössischen Arbeit Nadine Wölks, ebenfalls aus Dresden – Halbounis bisherige Lebensmittelpunkte, vereint in einer Hängung. Zwischen einem schweren Holzsekretär („ein Erbstück der Mutter“) und einem nicht minder monumentalen Schreibtisch („ein Erbstück des Großvaters“), mit Blick auf sauber aufgereihte Transformer-Figuren („eine Kindheitsliebe“) und Origami-Elefanten („bringen Glück“) nimmt uns der Künstler mit auf eine kurze Reise in seine Geschichte. 

Geboren 1984 in Damaskus als Sohn einer Deutschen und eines Syrers, spielte er als Kind gern zwischen Bauschutt und Betonmauern. „Bis heute bin ich fasziniert von der Farbe Grau. Es ist eine emotionale Farbe, sie sagt viel aus – oder auch gar nichts.“ Der Künstler trägt ein buntes Hemd und spricht mit leiser Stimme. 2008 floh er vor dem Militärdienst nach Dresden, studierte fortan an der Hochschule für Bildende Künste. Sein Professor aber begutachtete sein damals sehr klassizistisches Schaffen – ein Relikt seines Studiums in Syrien – und stellte klar: „So einen Scheiß brauchen wir hier nicht.“ Darauf folgte der Bruch, später der Durchbruch. Halbouni änderte seine Arbeitsweise radikal, arbeitete mit Beton und sperrigen Installationen. Wenige Jahre später stellte er die drei Busse auf und wurde quasi über Nacht berühmt.

Was, wenn die Araber als Kolonialmacht nach Europa gekommen wären?

Heute ist Manaf Halbouni mehr als „der Typ mit den Bussen“. Seine Werke werden international gezeigt. London, Havanna, Istanbul. Derzeit bestückt er mit seiner ersten musealen Einzelausstellung das St. Annen-Museum in Lübeck. Man sieht dort eingemauerte Kirchenfenster, Stahlstreben ragen brachial aus dem Beton. Man sieht Sicherheitspoller, die zu „Wir sind das Volk“-Rufen von 1989 runter- und zu „Wir sind das Volk“-Rufen von Pegida hochfahren. Und man sieht die Werke seines Gedankenspiels „What if“, in dem er in die Rolle des fiktiven Generals Hadid schlüpft und eine alternative Weltgeschichte ersinnt: Was wäre, wenn es das Sykes-Picot-Abkommen von 1916 nie gegeben hätte? Wenn der Westen nach dem Zerfall des Osmanischen Reiches die Gebiete nicht neu aufgeteilt hätte? Wenn stattdessen die Osmanen und Araber als Kolonialmacht nach Europa gekommen wären? „England und Frankreich haben damals einfach Linien gezogen“, erklärt Halbouni sein Projekt. „Dasselbe habe ich auf einer Europakarte getan: Linien gezogen, die Geschichte umgedreht.“ 

Sein „vice versa“ ist dekonstruierend, seine ironischen Ent- beziehungsweise Neukontextualisierungen sind unbequem. Und immer wieder sind es Grenzen, die sich leitmotivisch durchs Werk ziehen. „Ich finde das Konstrukt Grenze pervers, diese imaginäre Linie, die irgendwo durchgezogen ist. Der Lockdown hat gezeigt, was es uns bringen kann, wenn auf einmal alles dicht ist. Das macht Menschen unzufrieden.“

Noch bis zum 8. November ist die Ausstellung „Ostwind“ in Lübeck zu sehen. Eigentlich wollte Halbouni zu diesem Anlass ein echtes Flugzeug vors Holstentor stellen – mit der Aufschrift „Go Home“. Am Ende blieb es bei einem Foto von der skurrilen Idee. „Vielleicht wäre ich ansonsten nicht mehr der Typ mit den Bussen, sondern der mit dem Flugzeug.“

Dieser Text stammt aus der Oktober-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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